Von schöngeredeten Bilanzen und finanziellen Risiken

War die globale Banken- und Finanzkrise vorhersehbar? Mit dem neuen mathematischen Ansatz des Wahrscheinlichkeitstheoretikers Mathias Beiglböck von der Universität Wien, START-Preisträger 2014, könnten in Zukunft extreme Ereignisse in der Finanzwelt mathematisch berechenbar sein.

"Die Finanzmathematik macht eigentlich nur einen kleinen Teil meiner Forschung aus", betont Mathias Beiglböck, der u.a. auch zur Wahrscheinlichkeitstheorie und der Stochastischen Analysis forscht. "Aber es ist sicherlich der Teil, der in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommen wird, weil er einfach der greifbarste ist und eine große gesellschaftliche Relevanz hat."

Spätestens seit der letzten Krise steht das neoliberale Finanzsystem unter starkem Beschuss. Internationale ÖkonomInnen und FinanzexpertInnen streiten darüber, wie der richtige Weg zur Reformierung des Finanzsystems aussehen könnte. "Kritisiert werden unter anderem die Derivate. Das sind künstliche Finanzinstrumente, die von traditionellen Anlageformen wie Aktien, Anleihen oder Rohstoffen abgeleitet sind. Diese werden in einem extremen Umfang gehandelt und tragen daher zu den großen Finanzkatastrophen bei", erklärt der Mathematiker von der Universität Wien: "Sogar der US-amerikanische Großinvestor Warren Buffett bezeichnete Derivate als 'finanzielle Massenvernichtungswaffen'."

Die Theorie des  "optimalen Transports" …

Um das Gesamtrisiko im Finanzsektor besser einschätzen zu können, hatte Beiglböck, der seit September 2014 assoziierter Professor am Institut für Mathematik ist, eine innovative Idee: Er will die Forschungsbereiche "optimaler Transport" und "robuste Finanzmathematik" miteinander verbinden. Für die Umsetzung hat der Wiener Jungmathematiker den START-Preis 2014 erhalten – den höchstdotierten Preis für NachwuchswissenschafterInnen, der in Österreich vergeben wird.

Die Theorie des "optimalen Transports" ist eigentlich eine klassische innermathematische Idee. Sie wird v.a. in der Physik oder Geometrie angewandt, um "extreme Wege" – sprich sehr kurze oder besonders effiziente Wege – über mathematische Metaphern auszurechnen. "Der Name täuscht – die Theorie hat nichts mit Lastwagen bzw. Transport im klassischen Sinne zu tun", schmunzelt Beiglböck, der mit dieser Theorie extreme Ereignisse in der Finanzwelt vorhersagen will.


"Man hat die Idee, dass ein bestimmter Satz wahr sein könnte, und sucht dann nach dem richtigen Beweis", beschreibt Mathias Beiglböck die mathematische Forschung. Im Juni 2014 hat der Mathematiker der Universität Wien den begehrten START-Preis erhalten, um über die Verbindung zweier nicht verwandter Theorien extreme Ereignisse in der Finanzwelt berechenbar zu machen.



… mit "robuster Finanzmathematik" verbinden

Mit Hilfe der klassischen Finanzmathematik hingegen erstellen Banken einerseits ihre Bilanzen, andererseits verwenden sie das Modell, um ihre Derivate mit Preisen zu versehen. "Hält eine Bank Derivate, so ist zu diesem Zeitpunkt gar nicht klar, wieviel diese in Zukunft wert sein werden. Die Bank verwendet ein einziges mathematisches Modell, um dem Derivat einen Preisstempel aufzudrücken", so der Experte und betont: "In gewisser Weise ist das ziemlich fahrlässig, denn mit einem anderen Modell würde der Preis oft ganz anders aussehen."

Banken würden solche Modelle auch dann heranziehen, wenn es darum gehe, Bilanzen "schönzurechnen", so Beiglböck: "Im Moment wird auf diese Weise das Gesamtrisiko im Finanzsektor oft gravierend unterschätzt." Der START-Preisträger will eine "robuste Variante" der Finanzmathematik dafür nutzen, auf Probleme hinzuweisen und zu zeigen, dass es stets mehr als nur einen möglichen Preis gibt. "Zieht man einen anderen heran, kann eine Bilanz auf einmal deutlich trister aussehen."

Risiken einschätzen

Der Mathematiker verwendet in seinem Forschungsprojekt an der Universität Wien deshalb mehrere Modelle, um eine möglichst große Bandbreite an Zahlen zu errechnen und das Modellrisiko zu quantifizieren: "Auf diese Weise ist es möglich, das reale Risiko von bestimmten Finanzinstitutionen besser einzuschätzen. Das ist eine notwendige Voraussetzung, um den Finanzsektor zu regulieren."

Zur Finanzmathematik ist Beiglböck eigentlich nur "über biographische Zufälle" gekommen: "Ich habe mich früher mit Zahlentheorie beschäftigt. Da ich an der Universität Wien aber Wahrscheinlichkeitstheorie und Finanzmathematik unterrichten sollte, habe ich angefangen, mich näher mit der Materie zu beschäftigen. Dabei bin ich auf interessante Probleme gestoßen, an deren Lösung ich nun arbeite."

In erster Linie ist es die Wahrscheinlichkeitstheorie, die den jungen Forscher fasziniert. "Diese auf die Finanzmathematik anzuwenden, macht das Projekt für mich so spannend." Gemeinsam mit seinem internationalen Projektteam arbeitet er nun an einer Lösung, die weitreichende Fortschritte in der robusten Finanzmathematik möglich macht. "Dieser Ansatz eröffnet uns ganz neue Sichtweisen auf altbekannte Themen der Wahrscheinlichkeitstheorie."

"Mathematik ist wie Basteln"

Extreme Modelle und extreme Ereignisse mathematisch besser verstehen – das ist das übergeordnete Ziel des Wissenschafters, der nicht nur als Mathematiker, sondern auch als Fotograf seine Kreativität auslebt. "Mathematik ist für mich ein wenig wie Basteln oder etwas Erfinden. Schon im Kindergarten war Legospielen meine Lieblingsbeschäftigung – in der Schule hat Mathematik schließlich ein ganz ähnliches Gefühl in mit hervorgerufen", erinnert sich Beiglböck – der eigentlich in die Fußstapfen seiner Mutter treten und Mathematiklehrer werden wollte – und fügt ironisch hinzu: "Jetzt bin ich Mathematikoberlehrer." (ps)

Das START-Projekt "Robustes Hedgen und Optimaler Transport" startet im März 2015 unter der Leitung von Assoz. Prof. Dipl.-Ing. Dr. Mathias Beiglböck und läuft – nach positiver Zwischenevaluierung – sechs Jahre lang. ProjektmitarbeiterInnen sind: Julio Backhoff, Claus Griessler, Tobias Preinerstorfer und Florian Stebegg.