Von den (Um-)Wegen des mehrsprachigen Schreibens

Ob Seminararbeit oder Forschungsantrag: Im universitären Umfeld ist man oft gefordert, Texte in einer anderen Sprache als der eigenen Erstsprache zu verfassen. Sabine Dengscherz vom Zentrum für Translationswissenschaft untersucht "Strategien des professionellen Schreibens".

"Das Schreiben professioneller Texte ist eine Herausforderung. Zum einen aufgrund der Vielfalt der Textsorten. Zum anderen, weil viele Studierende und Lehrende vor der Aufgabe stehen, Texte in einer anderen Sprache als ihrer Erstsprache zu verfassen", führt Sabine Dengscherz vom Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien an das Thema heran. Sie interessiert sich in ihrem aktuellen Forschungsprojekt dafür, welche Strategien zum Einsatz kommen, um "funktionierende" Texte – seien es Präsentationen,  Arbeiten, Forschungsanträge oder journalistische Artikel – zu produzieren. Gefördert wird die Arbeit vom FWF im Rahmen des Elise-Richter-Programms.

Konkret analysiert Sabine Dengscherz, wie Personen mit Deutsch als Fremd- bzw. Zweitsprache zu Zieltexten in deutscher Sprache gelangen. Hier fließt ihre Expertise als Lehrbeauftragte für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache am Institut für Germanistik mit ein. Aber auch das Schreiben auf Englisch – aus dem universitären Alltag kaum wegzudenken – interessiert die sprachbegeisterte Wissenschafterin, die selbst neben Englisch auch Ungarisch und Französisch beherrscht und sich in ihrer Forschung seit einiger Zeit den Themen "Mehrsprachigkeit" und "professionelles Schreiben" widmet.

Den Schreibprozess beobachten

Wie gelingt der Blick über die Schulter der Schreibenden? Rund 30 ProbandInnen – Studierende und Lehrende – installieren auf ihrem Computer ein spezielles Programm, das alle Bildschirmvorgänge sowie Geräusche aufzeichnet. Darüber hinaus werden sie gebeten, laut zu denken bzw. in Rahmen von Interviews ihre Vorgangsweise zu kommentieren. Die verschiedenen Schreibaufträge ergeben sich aus den Anforderungen des universitären Lebens und werden nicht von der Forscherin "künstlich" erzeugt. Dengscherz analysiert die Videoaufzeichnungen in Hinblick auf die verwendeten Schreibstrategien.

Die vielen verschiedenen Wege zum Zieltext  

Eine solche Strategie wäre beispielsweise, den Text zuerst in der Erstsprache zu formulieren und dann in die geforderte Zielsprache zu übersetzen. "Andere SchreiberInnen bevorzugen es, eine Rohfassung in der Zielsprache zu erstellen, also zuerst auch einmal das 'Zweitbeste' stehenzulassen und dann daran zu feilen. So bleibt der Schreibfluss erhalten", sagt die Philologin. Denn den roten Faden nicht zu verlieren, sei eine besondere Herausforderung des professionellen Schreibens in mehreren Sprachen.

"Interessant ist, dass sich Sprach- und Textkompetenz ergänzen, d.h. mit guter Textkompetenz kann man einiges an mangelnder Sprachkompetenz wettmachen. Es ist überaus hilfreich, die Struktur einer Textsorte sehr gut zu kennen." Neben den diversen Schreibstrategien interessiert sich die Wissenschafterin auch für die Qualität des "Endprodukts". Dabei kommt Dengscherz auch ihre journalistische Erfahrung zu Gute, u.a. als Leiterin des Kulturressorts der deutschsprachigen Wochenzeitung Pester Lloyd in Budapest von 2002 bis 2004.

Das Schreiben reflektieren

In den an die Analyse der Videoaufzeichnungen anschließenden qualitativen Interviews sollen auch die subjektiven Theorien der ProbandInnen nicht zu kurz kommen. Dengscherz meint dazu: "Eine Aussage wie 'Natürlich ist es einfacher, in der Erstsprache zu schreiben' wird wohl nicht von allen ProbandInnen bestätigt werden. Aus der Beschäftigung mit dem Thema weiß ich, dass es viele SchreiberInnen gibt, die sich lieber –  und möglicherweise auch besser – in der Zweitsprache ausdrücken."

Im Gespräch soll auch geklärt werden, ob die individuellen Schreibwege bewusste, reflektierte Strategien sind oder sich von Moment zu Moment unterscheiden. Dazu werden auch die Sprachbiografien der TeilnehmerInnen erhoben. Um Trends feststellen zu können, hat Dengscherz in einer späteren Phase des Projekts eine quantitative Befragung geplant.

Ergebnisse sollen in die Schreibdidaktik einfließen

Ziel des vom FWF geförderten translationswissenschaftlichen Forschungsprojekts ist es, didaktische Konzepte des professionellen Schreibens zu entwickeln, die einen mehrsprachigen Kontext berücksichtigen. Davon profitieren auch die Studierenden des Zentrums für Translationswissenschaft, die Sabine Dengscherz in diesem Bereich unterrichtet. (dy)
 
Das FWF-Projekt "Strategien für professionelles Schreiben in mehreren Sprachen" unter der Leitung von Mag. Dr. Sabine Dengscherz läuft im Rahmen des Elise-Richter-Programms von Mai 2014 bis Dezember 2018.