Vom Eigensinn der Freiwilligen Feuerwehr

Freiwilligkeit im Staatssozialismus – geht das überhaupt? Dieser Frage widmen sich Philipp Ther und Mojmir Stransky vom Institut für Osteuropäische Geschichte in einem aktuellen Forschungsprojekt. Nach Antworten suchen sie bei einer altehrwürdigen Institution: der Freiwilligen Feuerwehr.

"Bohu ke cti, k obraně vlasti, bližnímu ku pomoci" – so wird sich bei der Freiwilligen Feuerwehr in Tschechien bis heute begrüßt. Die Grußformel geht auf das 19. Jahrhundert zurück und fasst den Leitgedanken der altehrwürdigen Institution zusammen: "Gott zu Ehr', Heimat zu Wehr', Mitmenschen helfen." Und das vor allem eines: freiwillig.

Freiwilligkeit und Staatssozialismus

Freiwillige Strukturen in der Zeitgeschichte der Tschechischen Republik bzw. der Tschechoslowakei, genauer gesagt von 1980 bis 2000, erforschen Mojmir Stransky und Philipp Ther vom Institut für Osteuropäische Geschichte. Wäre da nicht ein Dilemma: "In einem staatssozialistischen System ist freiwilliges Handeln per Definition nicht möglich, gleichzeitig aber vom Staat vorgeschrieben." Zum Hintergrund: Tschechien wurde bis in die späten 1980er Jahre kommunistisch regiert. Freiwilligkeit war als Teil der Staatsideologie quasi Pflicht und wurde von der Staatsführung eingefordert.

Wann wird Freiwilligkeit zum Eigensinn?

"Es braucht eine neue Begriffsdeutung, um Freiwilligkeit in staatssozialistischen Gesellschaften zu beschreiben", so die Historiker von der Uni Wien: "Der Begriff Eigensinn beschreibt die Handlungsspielräume der einzelnen Menschen im sozialen Miteinander und funktioniert für verschiedene Herrschaftsstrukturen."

Projektleiter Philipp Ther hat kürzlich das Buch "Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa" veröffentlicht. Es wurde in Deutschland von "Geisteswissenschaften International" mit einem Übersetzungspreis ausgezeichnet und stand auf den Shortlisten für das Wissenschaftsbuch und das Politische Buch des Jahres 2018. Das Buch gibt es auch in der Universitätsbibliothek. (© Suhrkamp)

Angehörigen und AussteigerInnen

In ihrem aktuellen Projekt über Freiwillige Feuerwehren möchten Stransky und Ther aufzeigen, dass Freiwilligkeit und damit Eigensinn – in begrenzter Form – auch in staatssozialistischen Regimen Raum hatten und nach der Transformation zu Demokratie und Marktwirtschaft fortwirkten.

Hierfür beleuchtet das Forscher-Duo die Freiwilligen Feuerwehren in drei tschechischen Städten: Kutná Hora, Havlíčklv Brod und Velké Meziříčí. Sie durchforsten Staats- und Regionalarchive, führen Interviews mit Angehörigen und AussteigerInnen der Freiwilligen Feuerwehren, werten Protokolle von Generalversammlungen und Jahrestagungen aus. Das Projekt wird in Kooperation mit dem Hannah-Arendt-Institut in Dresden unter Leitung von Thomas Lindenberger durchgeführt und dort von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Fallstudie über Tschechien bzw. die Tschechoslowakei wird mit weiteren Fallstudien in Deutschland (Meißen), Slowenien (Ptuj) und Serbien (Vojvodina, Bačka Topola) verglichen.

Stabilitätsanker in turbulenten Zeiten

Projektleiter Philipp Ther erklärt den Kontext des Projekts: "Die tschechoslowakische Freiwillige Feuerwehr kam nach 1945 unter die Herrschaft der kommunistischen 'Hardliner'-Regierung, erfuhr Anfang der 1990er deren Erosion, gefolgt von Prozessen der Transformation hin zu einem demokratischen und marktwirtschaftlichen System. Für die Bevölkerung war die Freiwillige Feuerwehr in diesen turbulenten Zeiten stets ein Stabilitätsanker, ein Raum, in dem sich Gesellschaftlichkeit weiterhin manifestierte." Das wird dadurch deutlich, dass die freiwilligen Trupps seit jeher nicht nur Brände löschten und Sanitätsdienste übernahmen, sondern auch kollektives Sporteln organisierten und Kulturveranstaltungen unterstützten.

Eigensinn unter "Hardliner"-Regierung

Weiters waren die Freiwilligen Feuerwehren für die Brandschutzaufklärung zuständig, hielten Vorträge in Schulen oder sichteten brennbares Material bei Wohnungsbegehungen. Sie nahmen auch bei den großen Militärübungen der 1980er Jahren teil, sodass sie im Falle des vielbefürchteten Dritten Weltkrieges die Regierung hätten unterstützen könnten. "Die Freiwilligen Feuerwehren versuchten hierbei so apolitisch wie möglich zu sein und ihre traditionellen Aufgaben wahrzunehmen. Ihren Eigensinn demonstrierten sie, wenn sie beispielsweise ihre Fahrzeuge nicht für Polizeieinsätze zur Verfügung stellten", so Stransky, der im Rahmen des Projekts seine Dissertation anfertigt.

Wissenschaft im Herzen der Stadt. Das Institut für Osteuropäische Geschichte ist eines von 16 Instituten der Universität Wien, die am Campus angesiedelt sind. Der 96.000m² große Campus auf dem Areal des ehemaligen AKH wurde 1998 offiziell eröffnet. Anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums präsentiert die Universität Wien am Campus aktuelle Wissenschaft im Rahmen unterschiedlicher Formate. (© Universität Wien)

Österreichisches Zutun

Auf einen überraschenden Fund stieß Stransky, als er die Protokolle der CTIF Jahrestagung sichtete: "Die CTIF, eine internationale Organisation zur Feuerbekämpfung, wirkte seit 1975 auch in der Tschechoslowakei. In den Tagungsprotokollen bin ich auf die Namen von österreichischen PoltikerInnen, Ex-PolitikerInnen und Polizeidirektoren gestoßen. Gerätschaften wurden auf österreichische Rechnung ausgetauscht und Feuerwehrfahrzeuge ersetzt. Dass Österreich offenbar die Freiwillige Feuerwehr als Kanal nutzte, um mit der StB, der tschechischen Staatssicherheit, zusammenzuarbeiten, hat mich erstaunt."

Daten auswerten und vergleichen

Die Historiker sind nun dabei, ihre Daten auszuwerten, zu kontextualisieren und in einem weiteren Schritt mit denen der ProjektpartnerInnen zu vergleichen. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein: Es werden ein Sammelband in englischer Sprache und zwei Dissertationen auf Deutsch erscheinen. Des Weiteren sind Tagungen zum internationalen Austausch geplant, den Auftakt machte eine Konferenz Ende März in Ljubljana. "Nazdar" (Zum Gelingen!) würde man bei der Freiwilligen Feuerwehr wohl wünschen. (hm)

Das Projekt "Die Geschichte Freiwilliger Feuerwehren in Deutschland und Ostmitteleuropa, 1980-2000" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Philipp Ther und der Mitarbeit von Mojmir Stransky, MA vom Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien läuft vom 01.02.2017 bis zum 31.01.2020 und ist Teil des 2018 eröffneten Research Cluster for the Study of East Central Europe and the History of Transformations (RECET). Es wird in Kooperation mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt und vom FWF gefördert.