Vielfalt durch Veränderung

Trotz unterschiedlicher biologischer Komplexität ist die Zahl der Gene in tierischen Organismen vom Fadenwurm bis hin zum Menschen erstaunlich ähnlich. Wenn Gene in RNA kopiert und weiter in Proteine übersetzt werden, wird die Information durch "RNA-Editing" oftmals verändert. Solch modifizierte Bauanleitungen tragen – über die Bildung mehrerer Proteinvarianten – zur biologischen Komplexität bei. Bei manchen Erkrankungen kann das "RNA-Editing" jedoch gestört sein. Der Chromosomenbiologe Franz-Michael Jantsch untersucht in einem FWF-Projekt, wie das "RNA-Editing" ausgelöst wird, und geht der Frage nach, wie wichtig dieser Prozess für den Gehirnstoffwechsel ist.

Genetische Information ist in den Chromosomen gespeichert, wird kopiert und an Tochterzellen weitergegeben. "Lange Zeit haben wir geglaubt, dass die in den Genen abgespeicherte Information über die RNA eins zu eins in Proteine umgesetzt wird", erzählt Franz-Michael Jantsch vom Department für Chromosomenbiologie. "Heute wissen wir, dass auf Ebene der RNA, wenn die Information abgeschrieben und ins Zytoplasma transportiert wird – also bevor letztendlich die Proteine gemacht werden – die Information leicht modifiziert wird", fährt der Wissenschafter fort.

Wundersame Vermehrung

Ausgelöst wird diese Modifikation von Enzymen, die in allen tierischen Organismen vorkommen. Diese machen aus der genetisch gespeicherten Veränderung mehrere Varianten eines Proteins. "Denn die Zahl der Gene ist bei einfachen Organismen – wie dem Fadenwurm – fast dieselbe wie beim Menschen. Doch durch das 'RNA-Editing' können aus der Bauanleitung eines Gens viele verschiedene Varianten eines Proteins entstehen", erklärt Jantsch. Im Gehirn ist dieser Prozess am stärksten ausgeprägt: Dort muss mit der gleichen Zahl an Genen die maximale Komplexität erreicht werden.

"Prozac" beeinflusst "RNA-Editing"

In seinem aktuellen FWF-Projekt untersucht Jantsch den Prozess, der für die RNA-Modifikation verantwortlich ist. Im Gehirn – wo dieses "Editing" am häufigsten vorkommt – sehen die Proteine oftmals anders aus, als es die genetische Information vorgeben würde. "Dieser Prozess ist anscheinend essenziell, denn wenn er nicht funktioniert, kommt es zum Beispiel bei Mäusen zu embryonaler Sterblichkeit", erklärt der Projektleiter.

Da der Prozess des "RNA-Editing" für die Modifikation der neuronalen Rezeptoren im Gehirn sehr wichtig ist, wird er auch für die Gehirnentwicklung und Komplexität des Gehirns verantwortlich gemacht. "Das Medikament 'Prozac', das chronisch Depressiven oftmals verschrieben wird, verändert den Prozess des 'RNA-Editings'", erklärt der Wissenschafter. Denn bei depressiven Menschen kommt die Modifikation der Serotoninrezeptoren häufiger vor. Doch ob dies insgesamt am veränderten Stoffwechsel des Gehirns bei Kranken liegt, ist unklar. "Der Beweis für den kausalen Zusammenhang fehlt noch", betont der Experte.

Vom Fisch bis zum Menschen

Doch welche RNA wird verändert? Zusammen mit seinem Forschungsteam hat Jantsch verschiedene RNAs gefunden, die hochkonserviert sind. Das heißt, sie sind evolutionär gut erhalten geblieben und somit vermutlich wichtig für den Organismus. "Die RNA-Modifikation innerhalb dieser RNAs ist ebenfalls konserviert und kommt innerhalb vieler Wirbeltierarten – vom Fisch bis zum Menschen – vor", erklärt der Molekularbiologe, der die Bedeutung dieser Modifikation für Säuger untersucht.

"Dafür haben wir in einer Kollaboration mit ForscherInnen der Medizinschen Universität Wien einzelne modifizierte Gene dahingehend verändert, dass die RNA-Modifikation nicht mehr greift und das Protein – wie im Genom gespeichert – produziert wird", so Jantsch weiter. Welche Folgen das für die Funktion des Proteins hat, prüft er in einem nächsten Schritt. "Dabei untersuchen wir die Physiologie und das Verhalten von Mäusen und konnten bereits zeigen, dass die Modifikation hier notwendig ist", erklärt der Wissenschafter, der mit KollegInnen an der Deutschen Mausklinik in München zusammenarbeitet.

Erbkrankheiten und Fehlbildungen

Die RNA-Modifikation wirkt sich auf die Aminosäure-Abfolge eines hochkonservierten Proteins aus. In diesem können Mutationen vorkommen, die zu Erbkrankheiten führen. "Neben der hohen Konservierung war für uns wichtig, dass über das ausgewählte Protein besonders viel bekannt ist", betont Jantsch. Wenn das besagte Protein fehlt oder lädiert ist, kann dies zu verschiedenen Fehlbildungen – wie mentaler Retardation, Knochenmissbildungen oder kardiovaskulären Problemen – führen. "Das Besondere an dem Projekt ist, dass wir uns direkt eine proteinkodierende RNA-Sequenz anschauen. Das wurde bisher erst einmal – bei einem Gehirnrezeptor – gemacht", erklärt der Biologe stolz. Die detaillierte Untersuchung des RNA-Editing führt zu einem besseren Verständnis, wie dieser Prozess auf den Organismus wirkt.

Gehirnentwicklung

"Die Projektergebnisse sollen schlussendlich Aufschluss darüber geben, ob sich der untersuchte Prozess positiv oder negativ auf das Zellwachstum auswirkt, wie er die neuronale Plastizität beeinflusst – was z.B. für das Lernen im Alter wichtig ist – und ob es Unterschiede im Wachstum kardiovaskulärer Zellen – sprich von Blutgefäßen – gibt", fasst Jantsch, der bereits seit zehn Jahren an dem Prozess des "RNA-Editing" arbeitet, zusammen. (ps)

Ao. Univ.-Prof. Dr. Franz-Michael Jantsch ist Leiter des Departments für Chromosomenbiologie und Projektleiter des FWF-Projekts "Mäuse mit verändertem RNA-Editing" das von 1. August 2010 bis 31. Juli 2013 läuft.