Viel Lärm um die Fische Amazoniens

Der Jubel der Fußballfans aus dem Stadion in Manaus hat die vielfältige Fischpopulation im Amazonas wohl recht kalt gelassen. Mit dem Schiffslärm sieht es da schon anders aus. Walter Lechner von der Universität Wien erforscht die bioakustische Lebenswelt der Amazonasfische.

Der Grund, warum Kognitionsbiologe Walter Lechner einen rund 18-stündigen Flug nach Manaus, die Hauptstadt brasilianischen des Bundesstaats Amazonas, auf sich nimmt, liegt auf der Hand: An keinem anderem Ort der Welt ist die Vielfalt der Süßwasserfischarten größer. "In ganz Österreich leben etwa 60 Fischarten; im Amazonasbecken hingegen an die 6.000. In Österreich haben wir eine einzige Welsart, im Amazonasbecken tummeln sich etwa 2.000 verschiedene Welse – von der Größe eines kleinen Regenwurms bis zu Exemplaren mit mehreren hundert Kilogramm Gewicht, gestreifte und gepunktete, Pflanzenfresser, Parasiten und Raubfische", schwärmt Walter Lechner vom Department für Kognitionsbiologie, der schon in der Volksschule "auf den Fisch gekommen" ist und damals sein erstes Aquarium bekam – natürlich mit tropischen Fischen.

"Klangkonzert" im Amazonasbecken

Kürzlich erst aus Manaus zurückgekehrt, stapeln sich in Lechners Büro noch mehrere Kisten mit technischen Geräten, die er für seine Unterwasseraufnahmen braucht. Mit vielen, vielen Stunden Audioaufnahmen aus dem Amazonasbecken ist er von seiner letzten Feldforschung im Mai 2014 zurückgekehrt: "Die Auswertung wird ein Wahnsinn. Eigentlich bräuchte ich dafür fünf DiplomandInnen", schmunzelt der Biologe, der sich auf das Hörvermögen und die Lautbildung von Süßwasserfischen spezialisiert hat. Wenn er sich die Audioaufnahmen anhört, erkenne er in diesem "Klangkonzert" eigentlich die Fischlaute ganz gut heraus, nur manchmal, wenn sich besonders viele Insektengeräusche dazu mischen, sei es etwas schwierig.


Neun Wochen verbrachte Walter Lechner diesen Frühling in Manaus. Dort wo das Schwarzwasser des Rio Negro und das Weißwasser des Amazonas zusammenfließen und die berühmte Wasserhochzeit bilden (Encontro das Aguas), finden sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Süßwasserbiotopen: von den Hauptströmen mit Inseln, Seen und Lagunen, den schwimmenden Wiesen und überfluteten Wäldern, über reißende Flüsse mit Wasserfällen bis hin zu kleinen Urwaldbächen.


 
Fischlaut ist nicht gleich Fischlaut

Welse interessieren Lechner besonders, da sie, wie die ebenso im Amazonas verbreiteten Salmler und Messerfische zur Gruppe der Otophysi ("Ohr-Blase") zählen und über ein spezielles Hörsystem verfügen: Ihre Schwimmblase ist über eine Kette von Knöchelchen mit dem Innenohr gekoppelt und auf diese Weise verfügen sie, im Gegensatz etwa zu unseren Forellen oder Saiblingen, über ein besonders gutes Gehör.

Außerdem können die meisten Welse auch Laute von sich geben – eine Eigenschaft, über die kaum ein in Österreich heimischer Fisch verfügt. "Das Spektrum der Lauterzeugung bei Fischen ist ganz unterschiedlich, manche produzieren mit ihrer Schwimmblase Töne, andere mit dem Kiefer und wiederum andere durch das Reiben von Knochenelementen", so Lechner: "Unser Wissen in der Fisch-Bioakustik ist allerdings noch sehr beschränkt, ganz besonders trifft das auf die zahlreichen Arten aus tropischen Süßgewässern zu. Viele Fragen zu Hörvermögen, Lautkommunikation und zum Einfluss von natürlichem oder durch menschliche Aktivitäten verursachtem Lärm auf Fische sind noch ungeklärt."

Viel Verkehr am Rio Negro

Manaus – Walter Lechner arbeitet dort mit KollegInnen des INPA (Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia) Forschungsinstitutes zusammen – liegt am Zusammenfluss von Rio Negro und Amazonas und verfügt über einzigartige Biotope, oftmals in kurzer Fahrzeit mit dem Boot erreichbar. "Das ist wirklich toll. Zum Vergleich: In den rund 20 Minuten, die ich von meinem Büro im Biozentrum Althanstraße der Universität Wien bis auf die Donauinsel brauche, bin ich vom Hafen in Manaus in der tiefsten Wildnis mit schwimmenden Wiesen, Lagunen, überfluteten Wäldern, etc.", freut sich Lechner: "Und die Fischvielfalt ist dementsprechend."


"Kompliziert und teuer", so beschreibt Walter Lechner die Geräte, die er für seine Unterwasseraufnahmen braucht. Mit einem Laserentfernungsmesser misst er den Abstand zu den Schiffen, mit dem Hydrophon und spezieller Aufnahmetechnik (im Bild) zeichnet er den Schallpegel der Unterwassergeräusche auf. Hier fand gerade keine Schiffslärm-Aufnahme statt, sondern eine Aufzeichnung des Biotop-Lärms unter einer schwimmenden Wiese.



Während seiner letzten Feldforschung im Frühling 2014 verbrachte Walter Lechner seine Tage mit der Aufnahme von Schiffslärm, Fischlauten und Umgebungslärm, dem Fang von Versuchsfischen und natürlich auch Laborarbeit am Forschungsinstitut in Manaus. Mit brasilianischen KollegInnen, die die Flusswildnis wie ihre Westentasche kennen, ging es zu interessanten Aufnahme- und Fangplätzen, entweder mit dem Boot oder zu kleineren Bächen und Flüsschen auch mit dem Auto oder zu Fuß.

Drei Boots- bzw. Schiffstypen sind hauptsächlich am Amazonas unterwegs: kleinere, mit Außenbordmotor angetriebene Kanus, mittlere Fährschiffe und bis nach Manaus sogar große Containerschiffe – aber auch Jetskier oder Motoryachten. Von allen Schiffstypen hat Lechner Unterwasseraufnahmen gemacht und den Lärmpegel bestimmt. Interessant wird es dann für den Wissenschafter, den Lärm der verschiedenen Schiffe mit den vielen Stunden "natürlichen" Lärms der unterschiedlichen Biotope zu vergleichen.

Fische auf großer Reise

Zurück in Wien im Labor spielt Lechner diese Aufnahmen den Fischen, die gerade eine lange Reise vom Amazonas bis an die Universität hinter sich haben, vor und schaut sich an, inwieweit ihr Gehör dadurch beeinträchtigt wird. "Die verschiedenen Fischarten, die wir auch jetzt im Amazonas für unsere Forschungen gefangen haben, werden mit einem professionellen Unternehmen, das auf den Transport von Süßwasserfischen spezialisiert ist, vom Amazonas über Miami und Amsterdam nach Wien gebracht", so der Fischexperte: "Zunächst muss ich allerdings noch Hörtests mit jedem einzelnen Fisch durchführen, also schauen, welches Hörvermögen er bei Stille zeigt – gemessen werden die elektrischen Impulse, die die Fische als Antwort auf Schallreize liefern. So ermittle ich die Ausgangsbasis für die Messungen des Schiffslärm-Einflusses auf das Hörvermögen."

Neuland oder besser gesagt "Neu-Wasser"

Im Zuge des FWF-Projekts arbeitet Lechner mit verschiedensten Arten von Antennenwelsen, Dornwelsen, Falschen Dornwelsen, Harnröhrenwelsen, Panzer- und Schwielenwelsen, Walwelsen sowie auch fleischfressenden Piranhas und pflanzenfressenden Pacus. "Wir betreten hier wirklich absolutes Neuland", freut sich Lechner: "Generell gibt es zu Hörvermögen und Lautbildung bei Fischen noch recht wenig Forschung, und der vom Menschen verursachte Lärm auf Fische des Amazonasgebietes wurde bis jetzt noch nicht untersucht."

Der Kognitionsbiologe der Universität Wien vermutet, dass der Lärm der Schiffsmotoren einen Einfluss auf die Lebensumstände, also quasi den Alltag der Fische hat: So wird die Wahrnehmung von Kommunikationslauten oder Fressfeinden unter Umständen behindert.

Bis Ende August wird Walter Lechner seine Zeit hauptsächlich im Labor verbringen und diesen "Lautfragen" nachgehen, um mehr über die bioakustische Lebenswelt der Amazonasfische erfahren. Im September 2014, zur Niedrigwasserzeit, geht es dann wieder nach Brasilien, wo Lechner drei Monate lang weitere Aufnahmen durchführen und vor allem einen Großteil der Versuchsarten fangen wird. Dieses Mal legt er dann auch einen Schwerpunkt auf die "Ablaichlaute" der Fische beim Einsetzen der Regenzeit im Dezember. "Der vom Menschen verursachte Lärm ist ein bis heute noch kaum berücksichtigter Faktor, der in Zukunft auch bei Umwelt- und Artenschutzbemühungen in Amazonas bedacht werden sollte", so Lechner abschließend. (td)

Das FWF-Projekt "Bioakustik von Amazonasfischen" unter der Leitung von Dr. Walter Lechner vom Department für Kognitionsbiologie der Fakultät für Lebenswissenschaften startete im Jänner 2014 und läuft bis Dezember 2016.

Walter Lechner zur WM:

 

Verfolgen Sie die Fußball-WM?
Ja, auf alle Fälle. Ich bin ein großer Fußballfan.
Was sagen Sie zum hohen Sieg der Deutschen über die Gastgeber im Halbfinale?
Das Spiel war unfassbar, so etwas hätte niemand jemals erwartet. Die Deutschen waren super, die Brasilianer unglaublich schwach. Das 7:1 wird wohl ganz Brasilien in Depression fallen lassen. Die sind so fußballverrückt, das kann man sich in Österreich kaum vorstellen, da stehen ProfessorInnen mit dem Fußball(vereins)-Shirt im Hörsaal. Ein Schock für die Brasilianer. Ich hoffe schwer, dass sie sich bis zu meinem nächsten Brasilien-Trip im September wieder erholt haben - aber ganz erholen werden sie sich davon wohl Jahre nicht.