Unseren Körper und die Umwelt (noch) besser verstehen

Bei der Erforschung von Krebszellen, Darmbakterien und Umweltprozessen heißt es seit Anfang 2015 an der Universität Wien: Chemistry meets Microbiology. In dem gleichnamigen Forschungsverbund kombinieren WissenschafterInnen der Fakultäten für Lebenswissenschaften und Chemie ihre Stärken.

Zwei Fakultäten, sieben Departments, 25 WissenschafterInnen, zahlreiche Masterstudierende, DoktorandInnen und Postdocs: Ziel des neuen Forschungsverbunds "Chemistry meets Microbiology" ist es, die Synergien an der Schnittstelle der beiden Fächer optimal zu nutzen. Auf diese Weise sollen zusätzliche Impulse in aktuellen Forschungsbereichen entstehen.

"Wir haben natürlich auch schon vorher mit KollegInnen aus der Chemie zusammengearbeitet. Aber durch das neu entstandene Netzwerk bekommt das Ganze einen formalen Rahmen", erklärt der Leiter des Forschungsverbunds, Michael Wagner, der auch dem Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung vorsteht: "Die beteiligten WissenschafterInnen lernen sich noch besser kennen und es ergeben sich automatisch neue Interaktionen."

"Chemistry meets Microbiology" fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit durch gemeinsame Veranstaltungen (im Bild bei einem Retreat im Mai) und die Unterstützung von Forschungsprojekten, wie z.B. der Anschubfinanzierung von Kooperationsprojekten von JungwissenschafterInnen. (Foto: Matthias Horn)

Von den Methoden "der anderen" profitieren

Das erste gemeinsame Projekt des Verbunds wurde bereits im März 2015 vom FWF genehmigt (zum uni:view-Artikel). Darin untersuchen ForscherInnen des Instituts für Anorganische Chemie und des Departments für Mikrobiologie und Ökosystemforschung die Verteilung antitumoraler Platinverbindungen in menschlichen Krebszellen.

Sie arbeiten dabei mit den hochauflösenden Analysemethoden der Mikrobiologie: "Wir nutzen die Nano-Sekundärionen-Massenspektrometrie (NanoSIMS), die in der Mikrobiologie zur Lokalisation von Metaboliten der Mikroben verwendet wird", erläutert Projektleiter Bernhard Keppler, Vorstand des Instituts für Anorganische Chemie und stv. Leiter des Forschungsverbunds: "Auf diese Weise ist es uns möglich, den Wirkmechanismus von Platinverbindungen zu erforschen, die heute bei der Verstärkung der Wirkung von Immuntherapeutika eine ganz entscheidende Rolle spielen."

Welche Rolle spielen Darmmikroben für unsere Gesundheit?

Ein weiterer Schwerpunkt im Verbund ist die sogenannte Mikrobiomforschung: Das Mikrobiom, die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroben, spielt eine wesentliche Rolle für die Gesundheit des Menschen. In diesem Zusammenhang untersuchen die Mitglieder von "Chemistry meets Microbiology" zum Beispiel, inwiefern die Aufnahme von Aromastoffen zur Aufrechterhaltung der mikrobiellen Vielfalt im Darm beiträgt.

"Der Einfluss des Mikrobioms auf die verschiedensten Stoffe, die wir mit der Nahrung aufnehmen, ist in vielen Bereichen erst im Ansatz aufgeklärt", erklärt Michael Wagner. Erst seit kurzem weiß man zum Beispiel, dass eine geringe Vielfalt von Darmmikroben mit Fettleibigkeit zusammenhängen kann. "Wenn wir neue Therapieansätze entwickeln wollen, müssen wir lernen, unsere mikroskopisch kleinen 'Mitbewohner' zu verstehen. Der Mensch besteht aus viel mehr Bakterien-Zellen als menschlichen."

Veränderungen des Mikrobioms können auch bei vielen Krankheiten, von entzündlichen Darmerkrankungen bis hin zu psychischen Erkrankenungen, beobachtet werden. Im Bild: Darmbakterien einer gesunden (li.) und einer Maus mit entzündlicher Darmerkrankung (re.). (Foto: David Berry)

"Auch in der Mikrobiomforschung treffen sich die chemischen Wissenschaften und die Mikrobiologie", betont Bernhard Keppler: "Wir beginnen gerade erst, das Wechselspiel zwischen Nahrungsinhaltsstoffen, Mikrobiom und dem menschlichen Körper zu verstehen – und gerade in diesem Bereich erwarten wir uns durch die Arbeit im Verbund große Fortschritte." Möglich ist diese Art der Forschung erst seit kurzem, durch neueste bioanalytische Methoden, wie Christopher Gerner, der Leiter des Massenspektrometrie-Zentrums der Fakultät für Chemie, ergänzt.

Gemeinsame Analytik-Plattform für die Umweltforschung

Ein anderes Gebiet, bei dem die "Begegnung" von Chemie und Mikrobiologie in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen wird, ist die Umweltforschung. Mikroorganismen sind Schlüsselspieler in allen biogeochemischen Prozessen, zum Beispiel im komplexen Kohlenstoffzyklus, der eine zentrale Bedeutung für das globale Klima hat. "Um zu verstehen, wie Mikroorganismen die organischen Kohlenstoffverbindungen in den Böden in die klimarelevanten Treibhausgase Kohlendioxid und Methan umwandeln, ist die Zusammenarbeit zwischen ChemikerInnen und MikrobiologInnen fast unabdingbar", betont der Ökosystemforscher und stv. Leiter des Forschungsverbunds, Andreas Richter.

Dazu wird im Verbund auch eine gemeinsame Plattform der komplementären molekularen und chemisch-analytischen Techniken entwickelt, die auf den bestehenden Großgeräten der beiden Fakultäten – wie dem bereits erwähnten "NanoSims" oder der Isotopeneinrichtung "SILVER-Labor" – aufbauen.

Zehn Arbeitsgruppen aus dem Bereich Ökologie an der Fakultät für Lebenswissenschaften bzw. dem Forschungsverbund "Chemistry meets Microbiology" erforschen im Rahmen des Doktoratskollegs "Mikroorganismen im Stickstoff-Zyklus" die Rolle von Mikroorganismen und der von ihnen katalysierten Prozesse im Stickstoffkreislauf. Die PhD-Studierenden erhalten eine interdisziplinäre Ausbildung an der Schnittstelle von Umweltmikrobiologie und Ökosystemforschung. Aktuell werden zehn Doktoranden gesucht.


Computergestützte Methoden sind entscheidend für den "Blick aufs Ganze"

Diese modernen analytischen Methoden – allen voran die Genom-, Transkription- und Proteomanalyse – machen es möglich, die molekularen Eigenschaften biologischer Systeme in höchster Auflösung und Präzision zu messen. Heute können selbst einzelne Zellen detailliert untersucht werden. Um diese stetig wachsenden Datenmengen auswerten zu können, braucht es spezifische, innovative Computerprogramme. Daher arbeiten ChemikerInnen und MikrobiologInnen seit Jahren auch auf dem Gebiet der Bioinformatik eng zusammen.

"Im Verbund wird diese Kooperation nun intensiviert und es werden gemeinsam neue Wege für die computergestützte Analyse komplexer Systeme gesucht", erzählt Bernhard Keppler. Denn ob Krebszellen, Darmbakterien oder Umweltprozesse: Für neue Erkenntnisse sind kleine Details ebenso wichtig wie der "Blick aufs Ganze". "Man muss als WissenschafterIn in Bewegung bleiben und aus der eigenen Komfortzone herausgehen. An den Berührungsflächen unterschiedlicher Disziplinen entstehen häufig die spannendsten Forschungsprojekte", sagt Michael Wagner abschließend. (mw)

Der Forschungsverbund "Chemistry meets Microbiology" wurde vom Rektorat der Universität Wien mit Beginn des Jahres 2015 für die Dauer von vorerst drei Jahren eingerichtet. Gründungsfakultäten sind die Fakultät für Lebenswissenschaften und die Fakultät für Chemie. Als Leiter fungiert Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr. h.c. Michael Wagner, Leiter des Departments für Mikrobiologie und Ökosystemforschung, stellvertretende Leiter sind o. Univ.-Prof. DDr. Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie, sowie Univ.-Prof. Dr. Matthias Horn, Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Rattei und Univ.-Prof. Dr. Andreas Richter.