Ungleiche Schicksale

Ungleichheiten werden in Familien oft über Generationen weitergegeben. So kann die Ausbildung der Eltern die Lebenssituation der Urenkel mitbestimmen. Caroline Berghammer vom Institut für Soziologie untersucht, wie Bildungsunterschiede das Verhalten beeinflussen und damit Ungleichheiten verstärken.

Eine Scheidung in den 1950er Jahren – kaum denkbar. Eine Scheidung in den 1970er Jahren – eine Option. Allerdings nur für jene, die es sich leisten konnten und das waren hauptsächlich Menschen mit höherem Bildungsabschluss, wie Caroline Berghammer vom Institut für Soziologie der Universität Wien weiß. In ihrem aktuellen vom FWF geförderten Elise Richter-Projekt geht sie der Frage nach, wie das unterschiedliche Verhalten von Familien mit der Verstärkung von Ungleichheiten zusammenhängt.

Dass eine höhere Bildung zu mehr Ressourcen führt, die unabhängigere Entscheidungen ermöglichen, scheint ein naheliegender Schluss. Doch in den letzten Jahrzehnten drehte sich der sogenannte Bildungseffekt um: heute sind die Scheidungsraten bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss am höchsten – dass eine Scheidung Ressourcen mindert, ändert am Verhalten nichts. Genau hier setzt Berghammer mit ihrem Projekt an: Ungleichheit, so die These, entsteht (auch) durch das unterschiedliche Familienverhalten der Eltern. Die so entstehenden ungleichen Ressourcen werden an ihre Kinder weitergegeben.

"Diverging destinies"

Den Gedanken, dass unterschiedliche Voraussetzungen im Kindesalter zu anderen Lebensverläufen führen, hat bereits die amerikanische Soziologin Sara McLanahan als "diverging destinies" etabliert: Kinder, deren Eltern einen höheren Bildungsabschluss vorweisen, haben bessere Startbedingungen. "Mit der Zeit geht die Schere zwischen Kindern mit höher und niedrig gebildeten Eltern immer weiter auf", so Berghammer über die Grundlage ihrer vergleichenden Studie. Diese Entwicklung wird auch durch die stärkere Bildungshomogamie gefördert. Das heißt, dass es vermehrt Ehen zwischen Partnern mit demselben Ausbildungsstand gibt.

"Um beim Beispiel Scheidung zu bleiben: die meisten Familien verlieren Ressourcen, weil sie zwei Haushalte gründen müssen und Gerichtskosten anfallen. Wenn Familien mit niedrigem Bildungsabschluss und einer schlechteren ökonomischen Ausgangsbasis durch eine Scheidung weitere Ressourcen entzogen werden, verstärkt das die Ungleichheit", erklärt Berghammer. Dieses Mehr oder Weniger an Ressourcen werde auf diese Weise von einer Generation zur nächsten weitergegeben. 

Die Zeit mit Kindern

Die Höhe der Scheidungsrate ist allerdings nur ein Aspekt von vielen. In insgesamt drei Kategorien analysiert die Wissenschafterin, wo sich bildungsbedingte Unterschiede manifestieren können. Neben dem Partnerschaftsverhalten werden auch in der Erwerbstätigkeit der Eltern und in der Zeit, die mit den eigenen Kindern verbracht wird, Differenzen sichtbar, wie Berghammer erklärt: "Die Daten aus mehreren europäischen Ländern zeigen, dass Eltern mit höherem Bildungsabschluss mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Das bringt diesen Kindern wiederum einen Startvorteil."

Um mehrere Länder vergleichen zu können, analysiert Berghammer vorhandene Umfragedaten und Studien zur Zeitverwendung, bei denen Eltern eine Art Tagebuch führen und ihre Tagesaktivitäten in 15-Minuten-Intervallen aufzeichnen. Der anschließende Vergleich gibt Aufschluss darüber, wann sich in den letzten Jahrzehnten das Familienverhalten in welcher Bildungsgruppe wie verändert hat. Berghammer unterscheidet dabei zwischen drei Gruppen: mit Pflichtschulabschluss, Matura und akademischem Abschluss.

Bildung als treibender Faktor 

Dass sich Bildungsunterschiede nicht in jedem Land gleich auswirken, hat laut Berghammer auch mit kulturellen Rahmenbedingungen zu tun. Für das Partnerschaftsverhalten spielt es etwa eine wichtige Rolle, wie das Verhältnis von ehelichen zu nicht-ehelichen Beziehungen geregelt ist.

"Hier spielt die rechtliche Angleichung zwischen ehelichen und nicht-ehelichen Beziehungen eine Rolle, mit ihr ändert sich auch die Einstellung zu Eheschließung und Scheidung", wie die Wissenschafterin erklärt. Auch das fließt in die statistische Analyse ein: Berghammer arbeitet unter anderem mit einem sogenannten Mehrebenenmodell, das nicht nur den Einfluss des Bildungsgrades auf das Familienverhalten, sondern auch kulturelle Werte und institutionelle Rahmenbedingungen miterfasst. 

Caroline Berghammer forscht und lehrt am Institut für Soziologie der Universität Wien. Ihr aktuelles FWF-Projekt dreht sich um das Thema Ungleichheiten im Familienverhalten. Neben Familie zählen auch Demographie, Arbeitsmarkt und Religion zu ihren Forschungsschwerpunkten. (© Universität Wien)

Vergleich der Chancen

Auch im dritten Bereich, der Erwerbstätigkeit der Eltern, den Berghammer analysiert, steht der Vergleich im Mittelpunkt: Nicht nur zwischen Ländern und Jahrzehnten sondern auch zwischen Männern und Frauen. Wann und in welchem Ausmaß Mütter nach der Geburt eines Kindes wieder in den Beruf einsteigen, beeinflusst die Ressourcen, die einem Kind weitergegeben werden (können).

"Die soziale Realität ist nicht deterministisch. Es gibt verschiedene Faktoren, die beeinflussen, in welche Richtung sich ein Kind entwickelt. Aber die Zahlen zeigen, dass ein Kind mit einem bestimmten familiären Hintergrund bessere oder schlechtere Chancen für die Zukunft hat", gibt Berghammer zu bedenken. Ziel sei es, am Ende der drei Jahre ein besseres Bild darüber zu haben, wie sich Bildungsunterscheide auf die wachsende Ungleichheit auswirken und welches Familienverhalten diese Ungleichheit im europäischen Kontext immer wieder reproduziert. (pp)

Das Projekt "Families and inequality: Trends in the education gap in family behaviour across Europe" wird vom FWF im Rahmen des Elise Richter-Programms gefördert und läuft unter der Leitung von Univ.-Ass. Dr. Caroline Berghammer am Institut für Soziologie der Universität Wien von 1. März 2018 bis 28. Februar 2021