Umweltbelastendes Quecksilber im Neusiedler See

Quecksilber gelangt vor allem über seine Anreicherung in Gewässern in die Nahrungskette. Was die Umsetzung des gesundheitsschädlichen Metalls antreibt, untersucht ein Team um Franz Jirsa von der Fakultät für Chemie der Universität Wien im Neusiedler See.

Eine positive Nachricht vorab: "Die Fische aus dem Neusiedler See kann man alle essen." Franz Jirsa und seine Gruppe von der Fakultät für Chemie haben über die vergangenen Jahre die Quecksilberbelastung von über 130 Fischen (acht Fischarten) aus dem Neusiedler See untersucht. In größeren Fischen wie dem Zander, Barsch und Hecht fanden die ForscherInnen durchgehend zwischen 0,05 und 0,49 Milligramm Quecksilber pro Kilogramm Muskelfleisch. Das liegt – teilweise knapp – unter dem EU-Grenzwert für den menschlichen Verzehr von 0,5 Milligramm, der für einen Großteil der Fische vorgegeben ist. Der Befund stimmt den Chemiker dennoch nicht glücklich: "Der Mensch sollte nicht immer das Maß aller Dinge sein, wenn wir uns um die Umwelt kümmern wollen."

Franz Jirsa und seine MitarbeiterInnen konnten im Zuge ihrer Analysen zeigen, dass der Neusiedler See "wesentlich über dem sogenannten Umweltqualitätsziel für Quecksilber liegt": In Österreich ist dieser Grenzwert bei 0,02 Milligramm Quecksilber pro Kilogramm Fisch festgelegt – alles was darüber liegt, kann "als eventuell belastend" für die Fressfeinde angesehen werden: "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass wir von einer Überbelastung der Fischkonsumenten rund um den See, etwa den fischfressenden Vögeln wie Reiher und Fischotter, ausgehen müssen", sagt der stellvertretende Institutsleiter des Instituts für Anorganische Chemie.

Quecksilber in Wasser, Land und Luft: Das gasförmige Quecksilber Hg(0) und das ionische Quecksilber Hg(II) kommen vor allem in der Atmosphäre und auf dem Land vor; im Wasser dominiert das hochgiftige Methylquecksilber. Es entsteht laut Annahme durch die Aktivität von Bakterien aus Quecksilber unter sauerstofffreien Verhältnissen. Die genauen Umwandlungsmechanismen sind noch ungeklärt.

Fische als Bioindikatoren

"Quecksilber ist das einzige Metall, von dem man weiß, dass es sich entlang der Nahrungskette über die sogenannte Biomagnifikation anreichert", erläutert Jirsa: Über das Wasser, Plankton, kleinere Organismen bis hin zu den immer größeren Fressfeinden wird das hochgiftige Methylquecksilber – die in Wasserorganismen vorherrschende Form des Metalls – als Schadstoff entlang der Nahrungskette weitergegeben. Die Konzentrationen steigen damit an und können laut einigen Studien zum Beispiel bei den Großräubern wie den Haien ein- bis zehnmillionenfach höher liegen als im Meerwasser selbst.

Grund für die Anreicherung ist die gute Fettlöslichkeit des Methylquecksilbers: Es kann so in jede Zelle eindringen, die Darmwand leicht durchdringen und überall im Fettgewebe wie auch in den Muskeln anheften. Ist Quecksilber einmal im Fettgewebe positioniert, geht es nur sehr langsam wieder heraus. Das macht die Fische für die Forschung zu hervorragenden Bioindikatoren, die Hinweise auf Umwelteinflüsse und -veränderungen über lange Zeiträume liefern können.

Box-Plot der totalen Quecksilbergehalte im Fleisch von Fischen aus dem Neusiedler See: Bei der Untersuchung lagen nur drei von insgesamt 133 Fischen mit ihren Werten unter dem Umweltqualitätsziel für Quecksilber. (© Franz Jirsa)

Reine Neugier

Aus purer Neugier heraus haben Jirsa und sein Team damals begonnen, Fische aus österreichischen Gewässern auf Quecksilber und andere Metalle hin zu untersuchen. In den Wassergüteberichten findet sich, so der Chemiker, seit einigen Jahren kein Hinweis mehr darauf, dass es eine Quecksilberbelastung in den österreichischen Gewässern geben könnte.
Dann landete plötzlich ein Barsch aus dem Neusiedler See auf Jirsas Labortisch: mit einer Belastung von 0,26 Milligramm Quecksilber pro Kilogramm: "Nun ist der Neusiedler See ein ausgewiesenes Schutzgebiet mit einem angeblich unbelasteten Gewässer. Wie passte das also zusammen?"

Viele offene Fragen

Noch gibt es viele offene Fragen zum Quecksilber und seinem Verhalten in der Umwelt. Vor allem die Zusammenhänge zwischen dem Metall und alkalischen Gewässern wie dem Neusiedler See sind bis dato wenig erforscht. Österreichs Steppensee hat dabei sehr spezielle Eigenschaften: Mit einem pH-Wert von zirka neun ist er sehr alkalisch. Er ist vergleichsweise stark getrübt und liegt in einem ariden Klima mit hoher Sonneneinstrahlung. Hinzu kommen eine gute Durchmischung des Sees und viel organisches Material, welches vom umgebenden Schilfgürtel und ein hoher Nährstoffgehalt, der von der umliegenden Landwirtschaft abstammt.

Der Beitrag ist im "Newsletter Forschungsverbund Umwelt" erschienen (Anmeldung). Seit Jahrzehnten wird an der Universität Wien in vielen Instituten erfolgreich zu Umweltfragen gearbeitet. Der Forschungsverbund Umwelt will diese exzellente Umweltforschung nach innen und außen sichtbarer machen. (© Franz Jirsa)

Auf der Suche nach Anhaltspunkten

Das Sediment des Sees lieferte bisher keine Anhaltspunkte dafür, als Hauptquelle für die übermäßige Belastung in Frage zu kommen. "Wir müssen im Moment davon ausgehen, dass atmosphärische Deposition eine große Rolle spielt – Quecksilber kann gasförmig oder an Partikel gebunden über weite Strecken durch die Luft transportiert werden. Zugleich wird das Metall im Neusiedler See über weitere verstärkende Faktoren sehr rasch biologisch umgesetzt und verfügbar gemacht, so dass es sofort in die Lebewesen hineingeht", so Jirsa.

50 Prozent anthropogener Eintrag: Die Hälfte der globalen Quecksilberemissionen ist laut Schätzungen natürlichen Ursprungs (z.B. über Gase von Vulkanen, Ausbruch von Geysiren, Erosion und Waldbrände), die andere Hälfte stammt vom Menschen ab. ForscherInnen sprechen von weltweit bis zu 2.000 bis 3.000 Tonnen eines anthropogenen Eintrags pro Jahr, die z.B. von der Verbrennung fossiler Energien, besonders Kohlekraftwerken, aus den Verfahren zur Gewinnung von Gold und der Chloralkali-Elektrolyse sowie von Anwendungen wie Zahnamalgam und Energiesparlampen herrühren.

Bei ihren aktuellen Untersuchungen messen die Forscher nun die Freisetzung des Quecksilbers vom Wasser in die Luft in Form vom gasförmigen Hg(0). Auch hier sind die Raten überdurchschnittlich hoch. Eine Vermutung ist, dass hier die starke Sonneneinstrahlung das Quecksilber vermehrt aus Huminstoffen, die z.B. vom Abbauprozess des Schilfs stammen, herauslöst und damit zur atmosphärischen Re-Emission beiträgt.

Um einer zunehmenden Quecksilberbelastung entgegenzuwirken, müsste der Mensch seine Quecksilber-Emissionen zurückfahren. Auch weil "eine Fixierung des Quecksilbers über technologische Verfahren nach dem derzeitigen Stand des Wissens kaum vorstellbar ist", sagt Franz Jirsa. Letztendlich macht das "flüchtige Element" seinem Namen in vielerlei Hinsicht alle Ehre. (ly)