"Tun wir es einfach!"

Am 12. Juni erschien die neueste Ausgabe von "univie", dem Magazin des Alumniverbandes. Lesen Sie hier einen ausgewählten Artikel aus dem aktuellen Heft: Anton Zeilinger verrät, was ihn antreibt, wie er die Konkurrenz abschüttelt und warum auch er manchmal im Dunkeln tappt.

Warum trifft die Quantenphysik auf ein derart großes öffentliches Interesse, obwohl sie für die meisten Menschen wahrscheinlich völlig unverständlich ist?
Anton Zeilinger: Es könnte sein, dass die Menschen merken, dass es hier eine Forschungsrichtung gibt, bei der fundamentale Fragen offen sind. Dass es nicht nur darum geht, eine neue Technologie zu entwickeln, wie es in vielen Bereichen der Fall ist, sondern dass es um philosophische und weltanschauliche Fragen geht. Ich vermute, dass das der Grund ist, warum die Leute begeistert sind.

Wie hat es die Quantenphysik an der Universität Wien in die Top-Liga geschafft?
Zeilinger: Als ich hier an der Universität Wien in den 60er Jahren studiert habe, gab es eine sogenannte provinzielle Internationalität. Das ist, wenn man froh ist, dass man irgendwo im Ausland mitmachen kann. Zur wirklichen internationalen Spitze gehört man, wenn man Themensetzer wird. Wenn man Dinge macht, bei denen man achtgeben muss, dass die Konkurrenz nicht einmal weiß, was man macht. Wesentlich ist, dass man bei Berufungen ausschließlich nach Qualitätskriterien vorgeht. Man muss ganz stur und kompromisslos die Besten berufen, die man kriegen kann. Das hat sich an der Uni Wien sehr verbessert in den letzten 20 Jahren. Wenn es die berühmten Seilschaften nicht mehr gibt, sondern man nur die Besten beruft, ist man in vernünftiger Zeit auch in anderen Fächern an der Spitze.

Der ERC fördert Projekte im Bereich "Frontier research", wo es darum geht, sich an die Grenzen des Wissens vorzuwagen. Wo sind denn diese Grenzen des Wissens für Sie persönlich?

Zeilinger: Das Wesentliche am Forschen an der vordersten Front ist, dass man ziemlich im Dunkeln tappt. Man kann nicht mehr als einen Riecher dafür haben, wo es langgehen soll. Die wirklich interessanten Dinge kommen dann tatsächlich meistens unerwartet. In der Experimentalphysik muss man zuerst dafür sorgen, dass man alles zur Verfügung hat, was technisch möglich ist. Das ist nicht nur kostenintensiv, auch hirnschmalzintensiv. Ich bin in meiner Gruppe bekannt dafür, dass ich frage: "Was machen wir als Nächstes?" Dann macht jemand einen Vorschlag und ich sage, "das ist der nächste Schritt, den würde aber jeder gehen. Den machen wir nicht, lass dir was anderes einfallen." Es stellt sich dann meistens heraus, dass das, was die Leute als Nächstes machen wollten, schon irgendwer auf der Welt publiziert. In der Spitzenforschung muss man sehr beweglich sein, man muss sehr schnell auf etwas Neues setzen können.

Geht es in der Forschung mehr darum, immer wieder neue Fragen zu generieren, als sie zu beantworten?

Zeilinger: Es geht darum, neue Fragen zu generieren, neue Sichtweisen, und es ist das Ermöglichen von Neuem. Mental das Neue herauszufordern bei den MitarbeiterInnen und dann auch technisch zu ermöglichen. Bewährt hat sich, einen gewissen Geldbetrag in Reserve zu habe, sodass wenn eine neue Idee kommt, man sofort starten kann und nicht erst lange Anträge schreiben muss. Sonst ist man bei vielen Dingen schon der Zweite international. Bei der Teleportation war es so. Es gab zwei Gruppen in den USA, die das Experiment auch machen wollten, aber die waren halt ein halbes Jahr langsamer als wir. Während die AmerikanerInnen noch ausgerechnet haben, wie das genau funktioniert, und geschaut haben, woher sie das Geld kriegen, haben wir das Experiment gemacht. Und diesen Mut muss man auch haben, dass man etwas dann startet und ein Investment in die Hand nimmt, auch wenn man nicht ganz genau weiß, wo es langgeht. Man hat nur ein Gefühl, man weiß nicht ganz genau, wie es funktionieren kann, und sagt dann: "Tun wir’s einfach!"

Sind Sie oft selbst von den Ergebnissen überrascht?
Zeilinger: Meistens läuft es besser, als man gedacht hat. Gelegentlich geht's schief und es kommt nichts raus. Das gehört aber dazu. Da muss man sagen: "OK, hier habe ich leider eine halbe Million Euro in den Sand gesetzt." Das passiert. Aber das muss Teil des Spiels sein. Wenn das nicht erlaubt wäre, dann kann ich keine interessante Forschung machen. Bei einem Experiment haben wir Geräte um fast eine Million Euro gekauft, und es ist schief gegangen. Das konnte man vorher nicht wissen, man musste das einfach starten und schauen, wie es läuft.

Oft gewinnt man den Eindruck, Sie seien an philosophischen Fragen der Quantenphysik mehr interessiert als an deren technischen Anwendungsmöglichkeiten. Darf man das als Physiker?

Zeilinger: Das Grundmotiv meiner Arbeit ist schon die fundamentale Fragestellung: "Wie funktioniert die Welt wirklich?" Und zu sehen, wie man diese überraschenden Vorhersagen der Quantenmechanik, die dem sogenannten gesunden Menschenverstand widersprechen, im Laboratorium verwirklichen kann, und natürlich auch, wie man sie anwenden kann. Aber das Prinzipielle ist die Neugier.

Sie sind jetzt 67. Andere denken in diesem Alter an den Ruhestand, welche Ziele hat Anton Zeilinger?

Zeilinger: Ziele gibt es immer, es gibt noch so viele offene Fragen. Wir wurden eingeladen, ein Satelliten-Projekt mit China zu machen. Quantenkommunikation über Satelliten. Der Satellit soll in fünf Jahren im All sein. Ich freue mich schon, in China bei diesem Satellitenstart dabei zu sein. Das wird sicherlich "a Hetz", wie man auf gut Wienerisch so sagt (lacht). Es ist ein kleines Wettrennen derzeit zwischen Kanada, Japan, den USA vermutlich, dort wird es geheim gehalten. Es geht darum, diese Quantenkorrelationen erstmals über so große Entfernungen zu testen, und es geht darum, ein echtes weltweites Netz zur Nachrichtenübertragung über Quanten zu entwickeln. Viele der technologischen Fragen sind noch zu klären. Es ist ein großer Unterschied, ob ich ein Experiment im Laboratorium mache, wo ich jederzeit eingreifen kann, wenn etwas schief geht, oder ob das mit Satelliten geschieht. Da kann niemand hingehen, wenn ein Laser ausfällt. Das ist eine interessante Herausforderung.

Am 12. Juni erschien die neueste Ausgabe von "univie", dem Magazin des Alumniverbandes der Universität Wien.