Städte in Zeiten der Klimakrise: Die Verschmutzung unserer Gewässer
| 08. September 2021Resilienz der Städte gegen Hitze und Starkregen ist das Stichwort der Zukunft. Die Infrastruktur in Ballungsräumen braucht viel mehr Grün als Beton und Asphalt, plädiert Umweltgeowissenschafter Thilo Hofmann in seinem Gastbeitrag: "Wien könnte hier Vorbild sein, es geschieht aber zu wenig und viel zu langsam".
Denkt man an die Klimakrise und den aktuellen AR6 IPCC Klimabericht, der neben Wissenschafter*innen auch von 195 im Klimarat vertretenen Regierungen abgesegnet wurde, kommt einem nicht als erstes der Eintrag von Schadstoffen in Gewässer, also die Verschmutzung von Flüssen, Seen und Meeren, in den Sinn. Wien könnte um bis zu fünf Grad heißer werden, steigende Meeresspiegel, Dürren, Hitzewellen, all dies wird vom aktuellen Bericht mit einer bisher noch nicht gekannten Genauigkeit vorgesagt.
Jedes der letzten vier beobachteten Jahrzehnte ist sukzessive heißer als die vorhergehende Dekade. Während frühere Berichte oft noch die Ursache der vom Menschen verursachten Klimakrise diskutierten, steht dieser nun völlig außer Frage und man konzentriert sich auf die immer besseren Vorhersagen der unterschiedlichen Emissionsszenarien.
Thilo Hofmann ist Direktor des Forschungsnetzwerks Umwelt, stellvertretender Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft und Professor am Division for Environmental Geosciences. (© Universität Wien)
Mehr Starkregen und Überschwemmungen auch in unseren Breiten
Ein anderer Aspekt der Klimakrise sind die Änderungen der Regenverteilung und -intensität. Der globale Niederschlag hat sich seit 1950 über den Kontinenten erhöht. Durch den Anstieg der Temperatur der Meeresoberfläche und Landmassen befindet sich mehr Energie und Feuchtigkeit in der Atmosphäre, die nicht nur zu stärkeren Stürmen, höheren Wellen, sondern auch zu intensiveren Regenfällen führt.
Die Frequenz und Intensität von Starkregenereignissen hat sich über den Landmassen für alle Gebiete, in denen wir ausreichend Messdaten haben, signifikant erhöht. Während im mediterranen Raum Niederschläge abnehmen, steigen in unseren Breiten mit hoher Sicherheit die Intensität und Menge des Niederschlages an. Dies führt zu häufigeren Hochwasserereignissen. Man rechnet mit zirka einer Verdopplung der Starkregenereignisse bei 2 C° Erwärmung und mit in etwa einer Verdreifachung bei 4 C° Erhitzung.
Abwasserüberlauf führt zu Schadstoffen in Gewässern
Wie funktioniert die Rückhaltung von Schadstoffen: Moderne Kläranlagen mit drei Stufen (mechanisch, biologisch, chemisch) reinigen unser Abwasser von Schadstoffen, eine vierte Reinigungsstufe (z.B. Filtration, UV, Aktivkohle) ist in Europa in Planung. Diese schaffen es, den größten Teil der Schadstoffe und Keime aus unserem Abwasser zu entfernen. Kläranlagen sind jedoch für einen kontinuierlichen Betrieb ausgelegt und können nicht gut mit Starkregenereignissen umgehen. Während Starkregenereignissen fließt das Abwasser oft ungeklärt an der Kläranlage vorbei, als "Combined Sewer Overflow", also einer Mischung des Regenwassers mit dem häuslichen und industriellen Abwasser, da fast alle Städte in Europa keine getrennten Abwasserkanäle für Regenereignisse haben.
Der Schadstoffeintrag in unsere Flüsse, Seen und letztendlich Meere, wird von diesen kurzen Ereignissen dominiert: Bis zu 90 Prozent der Schadstofffracht entspringt diesen kurzen Regenevents. Auch ist bekannt, dass zum Beispiel antibiotikaresistente Keime, welche eine besondere Bedrohung darstellen, vermehrt bei Starkregen ausgetragen werden. Städte reagieren hierauf seit Jahren mit dem Bau von riesigen, oft unterirdischen Regenwassersammelbecken, so auch Wien, Hamburg oder Berlin. Doch diese sind für das bisherige Klima ausgelegt, fast keine Stadt ist auf die veränderten Bedingungen, also häufigere und wesentlich intensivere Starkregenereignisse vorbereitet, wie aktuell die Überschwemmungen in New York durch Ida zeigen. Städte sind für die anstehende Klimakrise nicht gerüstet.
Die kühlere Stadt der Zukunft mit weniger Schadstoffen
Abgesehen von umfassenden Klimaschutzmaßnahmen, wie die Dekarbonisierung von Verkehr, Energie-, und Bausektor ist Resilienz der Städte gegen Hitze und Starkregen das Stichwort der Zukunft. Wien könnte hier Vorbild sein, es geschieht aber zu wenig und viel zu langsam. Hierzu gehören nicht nur die Begrünung von Fassaden und Dächern, die einen wesentlichen Beitrag zu Kälteinseln in der Stadt liefern können. Während Ziegel-, Kies- oder Zinkdächer 40 bis 70 C° im Sommer erreichen, liegen grüne Dächer bei 30 C°. Begrünte Fassaden kühlen um bis zu 16 C°. Doch auch das Regenwasser muss anders als bisher nicht nur in unterirdischen Behältern gesammelt werden; die Kapazität reicht hierfür schlicht nicht aus. Wasser muss in der Stadt versickern können.
Was ist der IPCC Assessment Report #6?
Der 1. Teil des Assessment Report Nr. 6 (AR6) des International Panel on Climate Change (IPCC) wurde Anfang August veröffentlicht. Seit 30 Jahren erscheinen diese Berichte zur Lage des Weltklimas und dessen Auswirkung auf Natur und Menschheit. Die Berichte wurden über die Jahre immer umfangreicher und detaillierter: Die Prognosen von möglichen Szenarien werden immer konkreter vorhersagbar.
Die Kernaussage des Berichts: Wenn wir nicht unverzüglich aufhören, Kohle, Erdöl und -gas zu verbrennen, werden Kipppunkte ausgelöst. Die Erde schlittert in einen katastrophalen Zustand, aus dem sie nicht mehr herauskommt.
Es gibt moderne Konzepte, wie Plätze gezielt genutzt werden können, um als kleine Seen Regen aufzufangen; Kinder haben ihren Spaß beim Spielen in den Lacken. Das gleiche gilt für Rasenflächen mit Kuhlen, oder moderne Baustoffe, die anstatt einer mit Beton oder Asphalt versiegelten Fläche eine poröse Struktur haben, Wasser speichern und langsam versickern lassen und so die Bodenfunktionen erhalten. Dies nennt man "blau" (= Wasser) "grüne" (= umweltnahe, natürliche Systeme) Infrastruktur, welche den Wasserhaushalt der Stadt mit Begrünung, Rückhaltung und Entsiegelung von Flächen verbindet.
"Dringend Zeit zu handeln"
Die Stadt der Zukunft kann nicht mehr wie bisher überwiegend aus grauer Infrastruktur, also Glas, Beton, Asphalt und Parkplätzen gedacht werden; grüne Infrastruktur muss in den Vordergrund der Stadtplanung rücken. Die Stadt muss vom Auto wieder dem Menschen zurückgegeben werden. Die lebenswerte Stadt von morgen ist die der Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen, eine Stadt, welche Regenwasser zurückhält und infiltrieren lässt, kühler ist, und somit erheblich nicht nur der Gesundheit dient, sondern auch den Schadstoffeintrag in Flüsse verringert, da nur so Kläranalagen optimal arbeiten können.
"Blue-Green Infrastructure Cities", also die nachhaltige, ökologische Bewirtschaftung des Regen- und Abwassers in Städten sind keine Fantasie: Die Planungsgrundlagen sind da, die Städte wissen was zu tun ist, aber setzen dies nur zaghaft in kleinen Pilotprojekten um, es fehlt an der Weitsicht, was die Klimakrise für Städte bedeutet, so Wolfgang Dickhaut in "Die Zeit", Professor für umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung. Auch Wien agiert hier noch viel zu langsam, zögerlich, autozentriert. Es gibt weltweit und in Europa Städte, welche klima- und wassergerechte Konzept ambitionierter verfolgen, wie z.B. Amsterdam, Rotterdam, Singapore, oder Melbourne. Es ist dringend Zeit zum entschlossenen Handeln - auch in Wien.