Spiel mir das Lied der Computertomografie

Normalerweise sind es Knochen und Fossilien, die der Anthropologe Gerhard Weber an der Universität Wien mittels hochmoderner Mikro-Computertomografie analysiert. Aktuell liegen die wertvollsten Geigen der Welt – u.a. Stradivari-Violinen – auf seinem Untersuchungstisch.

Gerhard Weber ist ein wenig nervös. Die Lieferung, die der Leiter des Vienna Micro-CT Lab an der Universität Wien heute erwartet, ist geschätzte fünf Millionen Euro wert: Es ist eine Stradivari-Geige aus dem 17. Jahrhundert, deren innerste Geheimnisse per Mikro-Computertomografie gelüftet werden sollen.

Einen Mikro-Computertomografen (µCT) – das wichtigste Forschungsgerät in der täglichen Arbeit des Anthropologen Gerhard Weber – gibt es üblicherweise nur in Forschungseinrichtungen. Aber ein ähnliches Verfahren, die medizinische Computertomografie, kennen viele Menschen aus dem Spital: Die computergestützte Röntgenuntersuchung ermöglicht es ÄrztInnen, unser Körperinneres durch Schichtaufnahmen dreidimensional darzustellen.

Das Mikro-CT am Standort Althanstraße der Universität Wien, das Gerhard Weber vor rund zehn Jahren mit Hilfe einer hohen Infrastrukturförderung durch das Bundesministerium extra auf seine Bedürfnisse zuschneidern ließ, funktioniert ähnlich – und sogar noch besser: "Wie der Name bereits sagt, erzeugt das Gerät hochauflösende dreidimensionale Bilddaten im Mikrometerbereich. Das heißt, dass selbst winzige Objekte wie Ohrknöchelchen mit einer hohen Auflösung gescannt werden können", erklärt Weber. Der Forschungszweig, dem er sich verschrieben hat, heißt "Virtuelle Anthropologie"; Gerhard Weber gilt als einer seiner Pioniere: Seit über zwanzig Jahren analysiert und rekonstruiert er am Computer dreidimensionale Daten von Fossilien und modernen Menschen. 2009 ging das von ihm gegründete und seither geleitete Vienna Micro-CT Lab in Betrieb.

Das Vienna Micro-CT Lab am Department für Anthropologie ist eine Core Facility der Universität Wien. Es ist spezialisiert auf hochauflösende Digitalisierungen im Mikrometerbereich von biologischen, medizinischen, archäologischen, kunsthistorischen und technischen Proben und finanziert sich zum Teil durch externe Aufträge. (Foto: Gerhard Weber)

Wie der Anthropologe zur Geige kommt

Aber wie kommt es, dass im Vienna Micro-CT Lab seit kurzem nicht mehr nur fossile Knochen, sondern auch Stradivari- und Stainer-Geigen, die teuersten Geigen der Welt, gescannt werden? Die weltberühmten Violinen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind Gegenstand eines von der Österreichischen Nationalbank geförderten Forschungsprojekts, das Gerhard Weber gemeinsam mit Rudolf Hopfner – Direktor der Sammlung alter Musikinstrumente des Kunsthistorischen Museums in Wien und selbst Geigenbauer – durchführt. Ziel der Zusammenarbeit ist es, als weltweit erste Forschungsgruppe Form- und Strukturanalysen der Geigen mittels hochauflösender 3D-Daten durchzuführen. Dabei entsteht das bisher größte Archiv solcher Daten.

"Angefangen hat alles damit, dass mein Kollege Hans Leo Nemeschkal, der sich privat für Geigen interessiert, Rudi Hopfner und mich zusammengebracht hat", erzählt Gerhard Weber, den rasch der Reiz des Neuen packte, und lachend gesteht: "Anfangs hatte ich ja schon etwas Angst, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit vielleicht kompliziert werden könnte. Doch Rudi Hopfner ist für mich ein Glücksfall, wir arbeiten nicht nur fachlich exzellent zusammen, sondern verstehen uns auch persönlich hervorragend."

Spezieller Mikrocomputertomograph

Möglich ist das Projekt nur deshalb, weil das von der Firma VISCOM speziell für Gerhard Weber angefertigte Mikro-CT ganz besondere Zusatzfunktionen hat. "Üblicherweise können Mikro-CT-Scanner lediglich Objekte zwischen zwei und maximal zehn Zentimeter scannen, wir AnthropologInnen müssen aber auch größere Objekte wie Schädel oder Ober- und Unterschenkelknochen scannen können", so der Wissenschafter. "Sein" µCT verfügt daher auch über die Möglichkeit von Spiral-Scans: Nicht die Röntgenquelle dreht sich, wie das bei einem normalen CT der Fall wäre, sondern das Objekt selbst.

"Gleichzeitig wird das Objekt nach oben geschoben, wodurch es möglich ist, auch längliche Gegenstände wie Oberschenkelknochen oder eben auch Geigen zu scannen." Da die Bilder auf diese Weise nicht nachträglich zusammengefügt werden müssen, erhalten die WissenschafterInnen einen vollständigen Datensatz von hoher Qualität.



"Nicht alle lieben uns"

Die 3D-Bilder erlauben völlig neue Einblicke in die Geigen. Von erfolgten Reparaturen und nachträglichen Veränderungen über die verwendeten Holzarten bis hin zum Holzwurm: Den beiden Projektleitern entgeht nichts und sie können die Korpusformen nun auch quantitativ miteinander vergleichen – innen und außen. Nicht alle Geigen-BesitzerInnen freuen sich gleichermaßen darüber: "Manche möchten über den Zustand ihrer Geige Bescheid wissen, andere nicht. Denn es kann natürlich sein, dass nach unserem Scan und seiner Auswertung herauskommt, dass die Geige gar nicht fünf Millionen Euro, sondern tatsächlich nur zwei Millionen wert ist, weil beispielsweise die Decke im Laufe der Zeit ausgetauscht wurde", erklärt Gerhard Weber.

Zeitaufwändige Angelegenheit

Bislang wurden im Rahmen des Projekts bereits 21 Stradivari- und neun Stainer-Geigen gescannt. Eine zeitaufwändige Angelegenheit – in vielerlei Hinsicht. "Es bedarf schon einer gewissen Vertrauensarbeit, MusikerInnen aus aller Welt zu überzeugen, uns ihre zwischen zwei und zehn Millionen teuren Geigen kurzzeitig auszuleihen. Rudi Hopfners Kontakte sind dabei unerlässlich", schmunzelt der Wissenschafter. Insgesamt dauert der µCT-Vorgang pro Geige 24 Stunden: Zwölf Stunden wird gescannt, dabei entstehen bis zu 7.000 einzelne Röntgenbilder. Weitere zwölf Stunden braucht das Computerprogramm, um daraus die tomografie-typischen Schichtbilder zu errechnen. 

Das Mikro-CT im Vienna Micro-CT Lab kann durch Spiral-Scans auch lange Objekte wie Geigen scannen. Doch auch sehr viel kleinere Objekte untersucht der Anthropologe und Lab-Leiter Gerhard Weber; so arbeiten er und sein Team aktuell u.a. an der internen Morphologie von Zähnen von modernen Menschen und Menschenaffen. (Foto: Gerhard Weber)

Weltweit größtes virtuelles "Stradivari"-Archiv

Doch auch technisch ist die Sache nicht so einfach. Schon beim Scannen müssen bestimmte Bedingungen geschaffen werden, damit die wertvollen Stücke keinen Schaden nehmen. Anfangs gab es natürlich auch keine Scan-Protokolle für historische Geigen. Zusammen mit seinem Techniker Martin Dockner optimierte Gerhard Weber die Scanqualität schrittweise und beseitigte Fehlerquellen. Die anfallenden Datenmengen liegen dann bei an die 100 GB Rohdaten pro Scan und damit weit höher als bei üblichen Scans.

"Vicky Krenn, unsere Projektmitarbeiterin, hat methodisch sehr viel weiterentwickelt und wir feilen immer noch an Kleinigkeiten, damit wir mit den riesigen Datenmengen bis über 20 GB pro 3D-Datensatz zurechtkommen. Wir zerlegen die virtuellen Aufnahmen in vier Teile, damit die Software überhaupt damit arbeiten kann. Das klingt simpel, ist es aber nicht, denn die Überlappungsbereiche müssen vorher genau definiert werden, um keine Schnittkanten zu bekommen – wir bewegen uns da immerhin im Mikrometerbereich", erklärt Gerhard Weber. Doch die Arbeit lohnt sich: "Wir verfügen zurzeit über das weltweit größte und beste Archiv virtueller Stradivari- und Stainer-Daten", freut sich der Anthropologe.

Ein wertvoller Schatz

Gerhard Weber hofft, durch die gewonnenen Daten einen Grundstock für weitere Forschungen zu legen. Eine Art "virtuelles Museum", das von jedem Punkt der Erde aus zugänglich ist. "Unser virtuelles Archiv wird es vermutlich noch in 500 Jahren geben. Ich weiß nicht, wie viele Stradivari-Geigen es dann noch gibt. Wir schaffen an der Universität Wien gerade einen Schatz für zukünftige Generationen", resümiert der engagierte Wissenschafter. (mw)

Das Projekt "A 21st century approach to the study of historic violin bodies (Violin Forensic)" wird von der ÖNB gefördert und läuft von 1.9.2014 bis 31.08.2017. Projektleiter ist ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Weber vom Department für Anthropologie der Universität Wien, ProjektmitarbeiterInnen sind Dr. Rudolf Hopfner vom Kunsthistorischen Museum Wien (KHM) und Viktoria Krenn, BSc MSc, ebenfalls vom Department für Anthropologie.