Risikoforschung: Wenn der Hang rutscht
| 11. Mai 2012Knapp 13.000 Hangrutschungen haben Thomas Glade und seine Arbeitsgruppe in Niederösterreich dokumentiert. Wird sich die Zahl solcher Naturkatastrophen in Zukunft – etwa durch Klimawandel und Landnutzung – erhöhen? Diese Frage beschäftigt die GeographInnen aktuell im EU-Projekt "ChangingRISKS".
In seinem laufenden EU-Projekt blickt Thomas Glade, Vorstand des Instituts für Geographie und Regionalforschung und Leiter der Arbeitsgruppe ENGAGE (Geomorphologische Systeme und Risikoforschung), weit in die Zukunft. Konkret interessieren ihn die Zeiträume 2020 bis 2050 und 2070 bis 2100: Diese beiden Perioden wurden vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen als sogenannte "Zielszenarien" vorgegeben, um die Auswirkungen des Klimawandels in der Zukunft absehen bzw. Risikominimierung für künftige Generationen betreiben zu können.
Risikominimierung für die Zukunft
Die drei Projektnehmer von "ChangingRISKS" – die Universität Wien, das CNRS Frankreich und das CSIC Spanien – konzentrieren sich in ihrer Forschung auf zwei kleine Gemeinden in den Alpen. Thomas Glade und Projektmitarbeiterin Catrin Promper untersuchen Hangrutschungen und ihre Folgen im Zusammenhang mit Klimawandel und veränderter Landnutzung im Bezirk Waidhofen an der Ybbs; die spanischen und französischen KollegInnen erforschen die Bewegungsmechanismen von Massenbewegungen in Barcelonnette in Südfrankreich.
Buchtipp: "Naturrisiken und Sozialkatastrophen", Carsten Felgentreff und Thomas Glade (Herausgeber), Spektrum Akademischer Verlag |
"Das gemeinsame Forschungsziel ist es, Methoden und Konzepte der Risikominimierung für die Zukunft auszuarbeiten, die folglich im gesamten Alpenraum angewendet werden können. Unsere konkrete Expertise an der Universität Wien liegt dabei im Bereich Landnutzung und Massenbewegungen", erklärt Glade: "Das Gebiet um Waidhofen an der Ybbs kennen wir bereits aufgrund früherer Forschungen. Das heißt, wir können auf bestehende Daten aufbauen und haben bereits gute Kontakte zur niederösterreichischen Landesregierung."
Hangrutschungen: Ernstzunehmendes Problem in Niederösterreich
Insgesamt konnten Glade und sein Team in jüngster Zeit über 12.891 Rutschungen in Niederösterreich identifizieren, davon über 1.063 nur im Bezirk Waidhofen an der Ybbs. "Diese Zahlen machen deutlich, dass Hangrutschungen im größten Bundesland Österreichs ein ernstzunehmendes Problem darstellen", so Glade, "und dass zu erwarten ist, dass Hangrutschungen auch in der Zukunft ein Thema sein werden."
Der Frage nach möglichen Risiken von Hangrutschungen für die lokale Bevölkerung wird daher im Projekt ein besonderer Stellenwert eingeräumt: Was kann passieren? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Gesellschaft? Welche bewohnten oder bewirtschafteten Gebiete und Infrastrukturen – wie beispielsweise Häuser, Straßen und Bahnlinien, Felder, Äcker und Forste – sind besonders betroffen? Im Rahmen von "ChangingRISKS" erstellt das Österreich-Team im EU-Projekt u.a. Gefahrenhinweiskarten und Risikokarten für den Bezirk, die Informationen über mögliche Konsequenzen von Hangrutschungen – inklusive Zukunftsszenarien - enthalten.
Rechnen mit dem Klimawandel
Niederösterreich im Jahr 2050: Durch den globalen Temperaturanstieg verdampft mehr Meerwasser, Regenfälle nehmen zu und damit die Zahl an Hangrutschungen – wäre dies ein realistisches Szenario? "Es ist noch zu früh für solch konkreten Prognosen", erklärt Thomas Glade. Aktuell vergleichen er und sein Kollege Rainer Bell die Klimamodelle für die Zukunft – die Daten erhalten sie sowohl von IPCC als auch von österreichischen MeterologInnen der ZAMG – mit den aktuellen Untersuchungen der Hangrutschungen.
Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter Mai 2012 Lesen Sie auch: > "Wenn Bakterien zellulären Selbstmord verhindern" > "Himalayaforschung: Grenzüberschreitendes Initiativkolleg" |
---|
Eine weitere wichtige Quelle sind die lokalen Informationen, die den WissenschafterInnen beispielsweise über Raum- und Nutzungspläne wichtige Grundlagen für die Untersuchungen liefern. Denn neben den Klimadaten werden auch Bebauungspläne wie Straßen mit in die Forschung einbezogen. "Die Zusammenarbeit funktioniert ausgezeichnet", erklärt der Geograph: "Auch die niederösterreichische Landesregierung wird natürlich über unser Projekt unterrichtet, da die Analysen für deren zukünftige Entwicklung interessant sein könnten."
Erste Zukunftsszenarien
Über seine ersten Vermutungen verrät Thomas Glade, dass es aufgrund der bisherigen Datenerhebung scheint, dass Hangrutschungen weniger durch Klimaveränderungen als durch Landnutzungen hervorgerufen werden. "Etwas zugespitzt formuliert wäre somit ein Anstieg der Regenfälle weniger dramatisch als die Umwandlung von Forst- in Ackerland", so der Experte, der diesen ersten Prognosen durchaus etwas Positives abgewinnen kann: "Das Klima können wir nur schwer beeinflussen, Landnutzungen aber sehr wohl." (td)
Das EU-Circle-2 Projekt "Changing Risks" startete im Februar 2011 und ist auf zwei Jahre anberaumt. Projektpartner sind die Universität Wien (Institut für Geographie und Regionalforschung, Leitung: Univ.-Prof. Dipl.-Geogr. Dr. Thomas Glade), das Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS, Frankreich) und das Consejo Superior de Investigaciones Científicos (CSIC, Spanien).