Palästina: Leben und Arbeit am Beginn des 20. Jahrhunderts

Ein bleibendes Vermächtnis hat Gustaf Dalman, einer der bedeutendsten deutschen Bibelwissenschafter, vor allem auf dem Gebiet der biblischen Landes- und Altertumskunde hinterlassen: Das Werk des angesehenen Theologen wird heuer – 70 Jahre nach seinem Tod – gemeinfrei, und sein Hauptwerk "Arbeit und Sitte in Palästina" somit Gegenstand eines von Friedrich Schipper vom Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie und Ronny Reich von der Universität Haifa initiierten internationalen Projekts. Ziel ist eine kommentierte Neuausgabe und Übersetzung des mehrbändigen Werks sowohl ins Hebräische als auch ins Englische.

Als Gustaf Dalman Mitte der 1920er Jahre mit der Ausarbeitung der Ergebnisse seiner jahrelangen Feldforschungen in Palästina (1902-1914) begann, hatten der Erste Weltkrieg und die britisch-europäische Kolonialisierung bereits einen nachhaltigen Einfluss auf die lokale Kultur entfaltet. Vieles, das Dalman in den Jahren zuvor noch beobachten konnte, begann mit rasender Geschwindigkeit zu verschwinden. Die 3.000 Seiten und 700 Abbildungen umfassende Publikation "Arbeit und Sitte in Palästina" – der erste Band erschien 1928 – gilt daher bis heute als Standardwerk für die biblische Landes- und Altertumskunde bzw. deutschsprachige Palästinawissenschaft.

Übersetzung und Neukommentierung

Friedrich Schipper vom Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie widmet sich aktuell mit KollegInnen aus Haifa (Ronny Reich), Jerusalem (Dieter Vieweger) und Greifswald (Julia Männchen) den einst bahnbrechenden und heute noch gültigen Ergebnissen der Forschung Dalmans: Um das Werk, das nur in deutscher Sprache vorliegt, der internationalen Fachwelt zugänglich zu machen, nehmen sich die WissenschafterInnen die Übersetzung ins Hebräische und Englische vor. Darüber hinaus streben sie eine historische, archäologische und ethnographische Kommentierung an, die die Forschungserkenntnisse der vergangen Jahre mit den Beobachtungen und Interpretationen Dalmans in Beziehung setzt.

Neben dem Umfang des Werkes stellt auch das altertümlich-wissenschaftliche Deutsch seiner Zeit eine Herausforderung dar: Es beinhaltet eine Vielzahl arabischer, hebräischer und deutscher Fachbegriffe aus den Bereichen der Landwirtschaft, des Handwerks, der Natur, etc. Ein professionelles ÜbersetzerInnenteam, das sowohl die Kompetenzen der Translationswissenschaft als auch jene der Landeskunde und Ethnologie Palästinas sowie der Archäologie des Raumes vereint, stellt sich nun dieser Herausforderung. Die Laufzeit des Projekts ist auf acht Jahre angelegt, jährliche Fachtagungen in Jerusalem sollen die Kooperation vertiefen.

Von der Beschreibung der Natur …

Die Reichhaltigkeit und Vielfältigkeit des Werkes lässt der knappe Titel "Arbeit und Sitte in Palästina" kaum erahnen. In Band eins und zwei beginnt Dalman mit einer ausführlichen Schilderung der Jahreszeiten und des Tagesablaufs. Weiters führt er aus, wie man in Palästina die Natur erlebt, sie buchstäblich am eigenen Leibe erfährt – Kälte, Hitze, Regen und Dürre. Er beschreibt das Land, das für ihn immer auch das Heilige Land ist, in seiner Eigenart und mit seinen Gegensätzen. Die Bodenbeschaffenheit der Region, ihre Pflanzen und Tiere werden zunächst unabhängig von ihrer menschlichen Bearbeitung thematisiert.

… zur Charakteristik der Arbeit

Erst mit dem nächsten Band folgt dann die eigentliche Beschreibung von "Arbeit": angefangen mit dem Ackerbau, der Getreideernte und den damit verbundenen Arbeiten wie Dreschen, Worfeln, Sieben, Verwahren; dem Mahlen des Korns zu Mehl; dem Backen von Brot sowie dem Pressen von Öl und Wein. Weitere Nutzpflanzen – jene zur Textilherstellung wie Flachs, Hanf, Baumwolle, Seide, etc. – behandelt er im Rahmen der Themenblöcke Spinnen, Weben und Kleidung.

Besprochen werden auch jene Nutztiere sowie ihre Haltung, deren Produkte in der Textilherstellung ebenfalls eine wichtige Rolle spielen – so beispielsweise Schafwolle, Ziegenhaar, Kamelhaar und Rosshaar. Die letzten beiden Bände handeln dann vermehrt von den unterschiedlichen Lebensformen der BewohnerInnen Palästinas. Zunächst beschreibt Dalman die Lebensweise von NomadInnen: das Leben im Zelt, Vieh- und Milchwirtschaft, Jagd und Fischfang. Im letzten Band erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Hühner-, Tauben- und Bienenzucht. Der eigentliche Abschlussband, dessen Manuskript zum Zeitpunkt von Dalmans Tod 1941 zur Hälfte vorlag, sollte das häusliche Leben, Gesang, Musik, Geburt, Heirat und Tod schildern. Im Jahr 2001 erschien dieser achte Band als Fragment.

Die in den verschiedenen Bänden behandelten Aspekte bilden den Ausgangspunkt für eine Vielzahl an fächerübergreifenden – u.a. geographischen, ethnographischen und ethnoarchäologischen – Themen, die das internationale ExpertInnenteam auf Basis des aktuellen Forschungsstandes ausarbeiten wird. (dh)


Das Projekt "Gustaf Dalmans 'Arbeit und Sitte in Palästina' auf Hebräisch und Englisch. Kommentar und Übersetzung" ist eine Kooperation zwischen Mag. Dr. Friedrich Schipper, stv. Vorstand des Instituts für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie, Dr. Ronny Reich vom Department of Archeology der University of Haifa, Dr. Julia Männchen, Kustodin des Gustaf-Dalman-Instituts der Universität Greifswald sowie Univ.-Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger, Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem. Die Laufzeit des drittmittelfinanzierten Projekts beträgt acht Jahre.