Open PHACTS: Mit Big Data zu neuen Medikamenten
| 13. April 2016Die Suche nach neuen Medikamenten ist ein kostspieliges, langwieriges Unterfangen. Mit Open PHACTS gibt es nun eine innovative Plattform, die von Universitäten und Pharmafirmen gemeinsam entwickelt wurde, um riesige Datenmengen aus dem Internet für die Arzneimittelforschung zu nutzen.
Ob für Krebs, Multiple Sklerose oder Epilepsie – die Entwicklung neuer Medikamente für verschiedenste Krankheiten bedeutet einen enormen Forschungsaufwand, langwierige klinische Studien und hohe Kosten. Mit Open PHACTS (Open Pharmacological Concepts Triple Store) ist seit kurzem eine neue Plattform online, die von einem internationalen Konsortium aus 30 Universitäten, Pharmafirmen und anderen Unternehmen entwickelt wurde, um die Hürden bei der Arzneimittelforschung deutlich zu reduzieren.
"Bislang war es den Pharmakonzernen nicht möglich, ihre internen Daten mit frei im Web verfügbaren Informationen zu vernetzen. Open PHACTS verknüpft beides auf einer einzigen offenen Plattform, sorgt für Interoperabilität der unterschiedlichen Daten und erlaubt es, gezielt komplexe Fragestellungen zu bearbeiten", fasst Gerhard Ecker, wissenschaftlicher Koordinator des Projekts, zusammen. Das spare Geld und Zeit.
"Die Verknüpfung dieser Daten ist ungemein wichtig, weil dadurch neues Wissen über die komplexen Zusammenhänge von Krankheiten, Proteinen, Substanzen und deren Nebenwirkungen generiert wird und man schneller erkennt, welche Stoffe für eine weitere Erforschung interessant sind", so Ecker, Vizedekan der Fakultät für Lebenswissenschaften und Leiter der Pharmacoinformatics Research Group, die sich neben der Erforschung und Vorhersage von Nebenwirkungen auch mit der Entwicklung neuer Computermethoden zur Identifizierung biologisch aktiver Verbindungen beschäftigt.
Open PHACTS, das mit Ende Februar abgeschlossen wurde, war eines der größten Drittmittelprojekte der vergangenen Jahre an der Universität Wien: Das Gesamtbudget betrug 20,9 Millionen Euro. Als Public Private Partnership im Rahmen der Innovative Medicine Initiative der Europäischen Kommission ging es beim Projekt auch darum, die universitäre Forschung enger mit der industriellen zu vernetzen. (Foto: Samuel Erik Colombo/Optical Engineers)
"Mehr als eine Website"
"Open PHACTS ist aber weit mehr als eine Website. Genau genommen verbirgt sich dahinter nämlich ein ganzes System aus vernetzten pharmazeutischen Daten zu Krankheiten, Arzneistoffen, Proteinen, deren Wirkung und Nebenwirkungen", fährt Gerhard Ecker fort. Die eigentliche Plattform teilt sich in zwei Bereiche: den Open PHACTS Explorer und die Open PHACTS Programmierschnittstelle (API). "Der Explorer ist gewissermaßen das User-Interface auf der Website und die API bietet die Möglichkeit, noch detailliertere Suchanfragen durchzuführen", erläutert der Experte und betont: "Das alles ist völlig kostenfrei nutzbar."
Von ForscherInnen – sowohl an den Universitäten als auch in den Pharmabetrieben – wird dieses Angebot bereits ausgiebig genutzt, so verzeichnet die Seite mittlerweile bereits mehrere Millionen Zugriffe pro Tag und hat rund 500 registrierte UserInnen.
Gerhard Ecker erklärt, wie er Open PHACTS in der Praxis nutzt: "Mithilfe der Plattform waren wir in der Lage, Daten zu 40 verschiedenen Antidepressiva und 20 Proteinen mit Nebenwirkungsprofilen aus klinischen Studien mit 50.000 PatientInnen zu verknüpfen. Auf diese Weise konnten wir ganz schnell erkennen, welches Profil zu welcher Nebenwirkung führt. Diese Zusammenhänge wären sonst in der Fülle von Informationen verborgen geblieben." (Foto: Flickr.com/Ryan Melaugh)
Richtungsweisendes Projekt
Dem Professor für Pharmacoinformatics zufolge ist Open PHACTS richtungsweisend für die Zukunft der Arzneimittelforschung. "Dieses Projekt hat unsere Forschung massiv beeinflusst. Mittlerweile gleichen wir die Daten jeder unserer Forschungsprojekte über die Plattform mit denen im Netz ab. Das wäre vor fünf Jahren noch völlig unmöglich gewesen", schildert Ecker. Dies gilt aber auch für andere Aspekte, etwa den rechtlichen oder den technischen. "Die Art und Weise, wie wir die Lizenzfragen und technischen Herausforderungen gemeistert haben, wird auch anderen Projekten einen gangbaren Weg eröffnen", ist Ecker überzeugt.
Aus seiner Sicht hat Open PHACTS auch eines ganz klar gezeigt: Von einer engen Kooperation zwischen Universitäten und Industrie können beide Seiten profitieren. "Wir von der wissenschaftlichen Seite sehen so genau, wo die aktuellen Probleme und Interessen der Industrie liegen. Und die Firmen können durch unsere Grundlagenforschung generelle Zusammenhänge besser verstehen, zum Beispiel, um später effizientere Medikamente auf den Markt zu bringen", erläutert der Forscher.
Open PHACTS Foundation gegründet
Mit dem Start der Webplattform hat das Open PHACTS-Konsortium sein Projektziel bereits erreicht. "Jetzt geht es aber noch darum, den weiteren Betrieb der Seite aufrecht zu erhalten. Das System muss regelmäßig gewartet und aktualisiert werden", erläutert Ecker. Um die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen wird sich in weiterer Folge eine eigens gegründete NGO kümmern, die Open PHACTS Foundation. "Es freut mich, dass die Universität Wien als erster universitärer Partner zu den Gründungsmitgliedern der Foundation zählt. Mit ihr gemeinsam sind dort im Moment noch drei große Pharmafirmen – GlaxoSmithKline, Janssen und Lilly – vertreten", so Gerhard Ecker abschließend. (ms)
Der erfolgreiche Projektabschluss wurde von den Open PHACTS-Mitgliedern am 18. und 19. Februar mit einer internationalen Konferenz an der Universität Wien zelebriert. Dabei wurde auch eine symbolische Flagge an die Direktoren der neu gegründeten Open PHACTS Foundation übergeben. V.l.n.r.: Stefan Senger (GSK), Derrek Marren (Lilly), Herman van Vlijmen (Jannsen), Gerhard Ecker (Universität Wien) und Barend Mons (Leiden University Medical Center). (Foto: Samuel Erik Colombo/Optical Engineers)
Das Projekt Open PHACTS war im Rahmen der Innovative Medicines Initiative (IMI) als Public Private Partnership der Europäischen Kommission und der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) angelegt und lief vom 1. März 2011 bis zum 29. Februar 2016. Als wissenschaftlicher Koordinator fungierte Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Ecker, Vizedekan der Fakultät für Lebenswissenschaften und Leiter der Pharmacoinformatics Research Group. An dem Projekt waren insgesamt 30 Universitäten, Pharmafirmen und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) beteiligt.