Österreichisches Deutsch im Unterricht

Ribisel, Gewand, heuer: Austriazismen gehören zu den vielen Besonderheiten, die das österreichische Standarddeutsch charakterisieren. Welche Rolle unsere Varietät der deutschen Sprache als Bildungs- und Unterrichtssprache in Schulen spielt, erforschen Rudolf de Cillia und ein Projektteam von der Universität Wien.

"Die deutsche Standardsprache ist nicht einheitlich. Es gibt Varietäten, die alle korrekt sind – das Schweizerdeutsch, das bundesdeutsche und das österreichische Deutsch", erklärt der Sprachwissenschafter Rudolf de Cillia: "Diese plurizentrische Sprachauffassung existiert in der Sprachwissenschaft bereits seit den 1980er Jahren." Und doch ist die Vorstellung nach wie vor weit verbreitet, dass es sich beim österreichischen Deutsch um einen Dialekt handle oder dass grammatikalische Besonderheiten – wie z.B. das Perfekt als Erzählform – und Austriazismen kein "richtiges" Deutsch wären.


"Noch ist es in den Köpfen vieler Menschen verankert, dass es in der Sprache nur eine richtige Form gibt. Damit sind uns viele Grenzen gesetzt. Daher: Sensibilität für Varietäten!", sagt Rudolf de Cillia vom Institut für Sprachwissenschaft. (Foto: Schiffl)



Erdapfel oder Kartoffel, Sackerl oder Tüte?


Welche Bedeutung dabei den Bildungsinstitutionen zukommt, untersucht de Cillia gemeinsam mit den beiden Sprachwissenschafterinnen Jutta Ransmayr und Elisabeth Fink der Universität Wien. Im Mittelpunkt steht die Frage, welches Sprachverständnis bei SchülerInnen und PädagogInnen vorliegt. Korrigieren PädagogInnen Austriazismen wie z.B. "Erdapfel", "Greißler" oder das Perfekt als Erzählzeit in der Deutsch-Schularbeit? Werden die Varietäten des Deutschen im Unterricht thematisiert? Welche Bedeutung hat das bundesdeutsche Deutsch im Sprachgebrauch der SchülerInnen und LehrerInnen?

Plurizentrisches Sprachkonzept noch keine Praxis

Mit ihrer groß angelegten Studie, die umfangreiche Befragungen und Beobachtungen in Schulen unterschiedlicher Schulstufen in ganz Österreich beinhaltet, betreten die WissenschafterInnen Neuland. Der Entwicklung des Forschungsdesigns gingen ExpertInneninterviews mit DeutschdidakterInnen voraus. Sie zeichnen ein Bild, das den Hypothesen des Forschungsteams sehr nahe kommt: In der PädagogInnenausbildung und folglich im Unterricht haben die nationalen Varietäten wenig Platz, eher geht man von einer gesamtdeutschen Standardsprache aus: "Auch die Analyse der Lehrpläne der Schulen sowie der Studienpläne in der PädagogInnenausbildung hat gezeigt, dass die plurizentrische Sprachentheorie noch nicht in der Praxis angekommen ist", erklärt Projektmitarbeiterin Jutta Ransmayr.


Fortbildungen zum "Österreichischen Deutsch" gibt es seit 2012 für LehrerInnen aller Schultypen. Ziel soll es aber sein, die Varietäten der deutschen Sprache schon in der PädagogInnen-Ausbildung zum Thema zu machen. So können alle zukünftigen LehrerInnen erreicht und sensibilisiert werden.



Geringe Sprachloyalität gegenüber österreichischem Deutsch

Welche Konsequenzen kann das haben? LehrerInnen sind normsetzende "Instanzen": Sie bestimmen, was richtig und falsch ist, und beeinflussen damit, welche Vorstellungen weitergetragen werden. "Der aktuelle Forschungsstand lässt darauf schließen, dass ein Zusammenhang zwischen den in der Schule vermittelten Vorstellungen und der geringen Sprachloyalität der ÖsterreicherInnen gegenüber ihrer Varietät des Deutschen besteht", so de Cillia.

Austriazismen als Spaßfaktor

"In den seltenen Fällen, in denen das Thema österreichisches Deutsch in Schulbüchern vorkommt, ist es in erster Linie als 'Spaßstunde' zu verstehen", erzählt Ransmayr. Skurrile, auch dialektale, Ausdrücke in Abgrenzung zum bundesdeutschen Deutsch lassen sich auch im 1995 auf der Frankfurter Buchmesse verteilten Mini-Wörterbuch "Deutsch-Österreichisch" finden. Noch fehlt also das Bewusstsein für gleichwertige, ernstzunehmende Sprachvarietäten.

Empfehlungen für die Bildungs- und Spachenpolitik

Zurück zur Schule: "Momentan scheint es so, als würden LehrerInnen mit diesem Thema noch sehr alleine gelassen. Es liegt uns viel daran, dass die Erkenntnisse zum Thema plurizentrische Sprache auch in die PädagogInnen-Ausbildung einfließen. Österreichisches Deutsch soll seinen Platz haben. Da wird sich in den nächsten Jahren einiges tun", ist Projektleiter de Cillia überzeugt. Die Ergebnisse seiner Forschung sollen in Empfehlungen für den Unterricht und das Erstellen von Lehrmaterialien münden. (dy)

Das FWF-Projekt "Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache" läuft von 1. September 2012 bis 31. Oktober 2014. Projektleiter ist a.o. Univ. Prof. Mag. Dr. Rudolf de Cillia vom Institut für Sprachwissenschaft. Mitarbeiterinnen sind Mag. Dr. Jutta Ransmayr und Mag. Elisabeth Fink, ebenfalls vom Institut für Sprachwissenschaft.