Neusiedlersee: Im Einklang mit der Natur
| 07. Mai 2012Warum soll der Neusiedlersee Biosphärenpark bleiben? Im Projekt "BIOSERV" haben ÖkologInnen unter der Leitung von Thomas Wrbka, gemeinsam mit der BOKU Wien und der Universität Westungarn untersucht, welche Vorteile das Ökosystem rund um "das Meer der WienerInnen" für Natur und Gesellschaft bringt.
Der Neusiedlersee ist ein UNESCO-Biosphärenpark – aber vielleicht nicht mehr lange. Denn er läuft Gefahr, die Auszeichnung – die im Gegensatz zu Deutschland in Österreich relativ unbekannt ist – zu verlieren. Deshalb obliegt es nun den ForscherInnen, aufzuzeigen, inwiefern Natur und Mensch von dem Label profitieren und wie eine Neuausrichtung des Biosphärenpark aussehen sollte.
Das waren auch die zentralen Frage zweier grenzüberschreitender Projekte, deren Ergebnisse im November 2011 in Illmitz vor lokalen InteressensvertreterInnen präsentiert wurden.
Mensch und Umwelt
Im Auftrag des UNESCO-Programms "Man and Biosphere" (MAB) der ÖAW hat Thomas Wrbka vom Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie die Sinnhaftigkeit der Schutzgebietskategorie "Biosphärenpark" am Neusiedlersee untersucht. Während Biosphärenparks ursprünglich allein für die Ökosystemforschung gedacht waren, kam es in den 90er Jahren zum Paradigmenwechsel: Die Interaktion zwischen Mensch und Natur steht seitdem im Vordergrund. "In einem Biosphärenpark sollen die Aspekte nachhaltige Entwicklung, Naturschutz und Forschung im Gleichklang sein – genau das ist beim Neusiedlersee der Fall", stellt Wrbka fest.
Leeres Label?
"Der Neusiedlersee ist seit 1977 ein Biosphärenreservat – aber leider nur auf dem Papier", erklärt der Ökologe weiter. Laut UNESCO muss sich eine Region das Prädikat "Biosphärenpark" erst verdienen und einige Kriterien – von Naturschutz über eine bestimmte Flächengröße, einer Zonierung der Verwaltungsstruktur in Kernzone, Pufferzone und Entwicklungszone bis hin zu einem entwicklungsplanerischen Rahmenkonzept – erfüllen: "Da dies für die Punkte 'Naturschutz' und 'Größe' bereits der Fall ist, wollten wir mit wissenschaftlichen Methoden die Möglichkeiten der Gebietsausweitung- und Ausweisung erarbeiten sowie der Gesellschaft zeigen, was die Landschaft dort für sie leistet." Für letzteres wandte das interdisziplinäre Forschungsteam das Konzept der Ökosystemdienstleistungen an.
Dienstleistungsträger Natur
Dafür haben die ForscherInnen fünf Landschaftsfunktionen definiert: die Regulationsfunktion – z.B. Klimaregulation durch Wasserverdunstung –, die klassische Produktionsfunktion, die Habitat-Funktion – sozusagen der Eigenwert der Natur –, die soziokulturelle Funktion – z.B. Bildung oder religiöse Bedeutung der Landschaft – sowie die Trägerfunktion – wie viel Land kann bebaut oder landwirtschaftlich genutzt werden?
"Anhand eines 'rapid assessment' haben wir zwei Sommer lang vierzig Landschaftsstichproben erhoben und das Ökosystem – anhand der fünf Funktionen – als Ganzes bewertet", erklärt der Projektleiter den neuen Ansatz.
Koordinierte Entwicklung
"Ein überraschendes Ergebnis war der klare Einklang zwischen ökologischen und soziokulturellen Faktoren", betont Wrbka. Ansonsten hat die Gegenüberstellung die Annahme der ForscherInnen bestätigt: "Für die Neuausrichtung des Biosphärenparks ist im Prinzip nur die Installation einer zentralen Verwaltungsstelle erforderlich", bringt es der Naturschutzbiologe auf den Punkt. "Auch wenn lokale EntscheidungsträgerInnen einen Kontrollverlust befürchten, wäre eine solche Koordination sinnvoll: Denn im Moment werden die zahlreichen, bereits vorhandenen Schutzgebiete – wie Nationalpark, Naturpark, Welterbe und Biotope –, einzeln verwaltet", kritisiert Wrbka den Fleckerlteppich, der einer nachhaltigen regionalen Entwicklungsstrategie entgegen steht. "Außerdem funktionieren kleinere Schutzgebiete oft nur oberflächlich", so der Naturschutzbiologe.
"Learning by Doing"
Der Biosphärenpark würde die zehn bestehenden Schutzkategorien umhüllen und zusätzlich einen Teil des – im Moment noch ungeschützten – Wirtschaftsraums hinzunehmen. In dieser äußeren Entwicklungszone der "Modellregion des Lernens" gibt es – außer der Nachhaltigkeit – keine Regeln: "Die Menschen müssen selber lernen, ihre eigene Lebensgrundlage nicht zu zerstören und mit der Biosphäre richtig umzugehen", so der Ökologe. Davon würden neben dem Naturschutz auch der Tourismus und die Landwirtschaft profitieren: Deren AkteurInnen seien sich der Vorteile einer intakten Natur und des Vermarktungspotenzials des Labels "Biosphärenpark" bereits bewusst.
"Anhand der Region Neusiedlersee kann man sehr gut zeigen, dass Ökosysteme nicht nur aufgrund ihres Eigenwerts geschützt werden müssen, sondern auch, weil die Menschen von der Landschaft profitieren", schließt der Experte, der im Verlust des Biosphärenparks auch einen großen Nachteil für die Wettbewerbsfähigkeit der Region ortet. (ps)
Das Projekt BIOSERV wird vom UNESCO-Programm "Man and Biosphere" (MAB) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gefördert und lief bis 29. Februar 2012, es ist das Nachfolgeprojekt von "Neuausrichtung des Biosphärenparks Neusiedlersee". Die Projekte leitete Ass.-Prof. Dr. Thomas Wrbka vom Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie in Kooperation mit der Universität für Bodenkultur Wien und der Universität Westungarn. ProjektmitarbeiterInnen an der Universität Wien waren Mag. Dr. Christa Hainz-Renetzeder, Mag. Anna Hermann, Mag. Michael Kuttner, Mag. Sonja Völler sowie Mag. Tamara Zhuber.