Neurobiologie: Wie kommt die Wanze zum Wirt?

An der in Lateinamerika weit verbreiteten Chagas-Krankheit sterben jährlich rund 15.000 Menschen. Übertragen wird sie von einer Wanze. Wie das blutsaugende Tier zum Wirt findet, untersucht nun ein Team um Harald Tichy: Erforscht werden dabei Rezeptoren, die sich auf den Fühlern der Wanze befinden.

Von Frankreich nach Wien: Rund 20 blutsaugende Raubwanzen der Gattung "Rhodnius" sind kürzlich am Department für Neurobiologie eingetroffen. Sie zählen zu den wichtigsten Überträgern der Chagas-Krankheit, die durch den einzelligen Parasiten "Trypanosoma cruzi" hervorgerufen wird. Hier sind sie nun der Forschungsgegenstand von Harald Tichy und seiner Kollegin Lydia Zopf. Gemeinsam mit Claudio Lazzari (Universität Tours), einem renommierten Raubwanzen-Experten, erforschen sie mittels elektrophysiologischer Methoden, wie diese blutsaugenden Insekten ihren Wirt finden.


Harald Tichy und Lydia Zopf nutzen elektrophysiologische Methoden – im Bild ist die über Jahre hinweg entwickelte Reizapparatur zu sehen –, um die Funktion der Sinnesrezeptoren auf den Fühlern der Wanzen zu erforschen.



Welche Sinnesreize leiten Wanzen zu ihrem Blutmahl? Neben Kohlenstoffdioxid sowie Gerüchen ist es v.a. Infrarotstrahlung, die Wanzen anzieht. Doch: Registrieren die Wanzen die elektromagnetischen Wellen der Infrarotstrahlung oder aber die Wärme, die bei ihrer Aufnahme entsteht? Denn die Wahrnehmung von Infrarot erfordert spezielle Sinnesorgane – noch ist jedoch nicht bekannt, ob Wanzen Infrarotrezeptoren besitzen. "Wärmereize hingegen werden von Thermorezeptoren registriert, die zumindest bei anderen Insekten schon beschrieben wurden", sagt Harald Tichy.

Diese beiden Rezeptortypen ermöglichen unterschiedliche Strategien bei der Orientierung hin zum Warmblüter. Infrarotsensoren benötigen zwar direkten Sichtkontakt zur Infrarotquelle, können die von der Infrarotquelle emittierte Strahlung aber über große Entfernungen wahrnehmen. Thermorezeptoren hingegen eignen sind nur als Nahsinn, dessen Empfindlichkeit durch die Körpertemperatur der Tiere selbst sowie die Umgebungstemperatur vermindert werden kann. Stechmücken und Zecken besitzen keine Infrarotrezeptoren. "Nur bei einem einzigen Tier wurden bisher Infrarotrezeptoren beschrieben – dem australischen Feuerprachtkäfer, der Waldbrände auf eine Entfernung von bis zu 80 Kilometer perzipiert."

Chagas-Krankheit

Ob sich auf den Antennen der Wanzen Infrarot- oder Thermorezeptoren befinden, ist nicht nur für die neurobiologische Grundlagenforschung interessant: "Neue Ergebnisse können dazu beitragen, adäquatere Fallen zu entwickeln und somit die Wanzenpopulation bzw. die Infektionsrate zu verringern", erklärt Tichy.



Infektiös ist nicht der Stich der Wanzen, sondern ihr Kot, denn darin befindet sich der Erreger der Chagas-Krankheit: der Einzeller Trypanosoma cruzi. Am Department arbeiten die NeurobiologInnen mit gezüchteten, also erregerfreien Tieren. Um die Infektionsrate der Krankheit reduzieren zu können, sind die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung  besonders bedeutend. "Denn aktuell sind mehr als 100 Millionen Menschen in Gefahr, an Chagas zu erkranken", so Tichy.



An der Chagas-Krankheit, deren chronische Form sehr schwer zu behandeln ist und als Darmdurchbruch oder Bauchfellentzündung tödlich enden kann, leiden weltweit über 18 Mio. Menschen; 50.000 infizieren sich jährlich neu. Die Wanzen verstecken sich in Strohdächern und Wandritzen und gefährden daher v.a. Personen, die in einfachen Verhältnissen leben. Infektiös ist der Wanzenkot, der über die Stichwunde oder die Schleimhaut des Auges – die Wanze sticht bevorzugt in Körperregionen mit dünner Haut – in den menschlichen Organismus gelangt.

Elektrophysiologische Experimente


Am Department für Neurobiologie leben die noch jungen, aber schon "weitgereisten" Wanzen nun in einem Insektarium. Den Raum teilen sie sich mit anderen Insekten und Spinnen. "Unsere Wanzen sind erregerfrei", beruhigt die Projektmitarbeiterin Zopf, bevor wir die "stechwütigen" Tiere genauer betrachten. Interessant sind aber nicht nur die Wanzen selbst, sondern auch die Technik, die neue Erkenntnisse zur Funktion von Sinnesorganellen auf den Fühlern von Insekten ermöglicht: Im Labor des Neurobiologen Tichy steht die in mehrjähriger Forschungsarbeit entwickelte Reizapparatur, mit der die ForscherInnen elektrophysiologische Experimente zur Temperatur - und Infrarotwahrnehmung durchführen.


Während des Experiments, bei dem die Wanze erwärmten Luft- sowie Infrarotstrahlen ausgesetzt ist, befindet sich das lebende Tier auf diesem Halter und kommt nicht zu Schaden.



"Zuerst untersuchen wir mit dem Rasterelektronenmikroskop die Lage und Verteilung der Sinnesorgane auf den Fühlern, die als Rezeptoren für Infrarot oder Temperaturreize in Frage kommen. Danach starten wir die elektrophysiologischen Experimente, um den adäquaten Reiz dieser Sinnesorgane zu ermitteln", beschreibt der Projektleiter.

Getestet wird sowohl die Reaktion auf Infrarotstrahlung als auch auf Temperaturreize (Konvektionsreize) – für den eindeutigen Nachweis von Infrarotrezeptoren unumgänglich. Falls die Rezeptoren auf beides reagieren, liegen keine Infrarot- sondern Temperaturrezeptoren vor.

Reagieren die Rezeptoren dagegen nur auf Infrarotstrahlung, dann besitzen die Wanzen ein Fernsinnesorgan dafür. Dieses wäre in der Lage, einen Warmblüter ohne Beeinträchtigung durch die Umgebungstemperatur zu lokalisieren, ähnlich wie Photorezeptoren, die bei uns Menschen das Farbsehen unabhängig von Wind und Wetter ermöglichen. "Diese Versuche mit Infrarotstrahlung und Konvektionsreizen, wie wir sie im FWF-Projekt durchführen, wurden auch bei den Infrarotorganen der australischen Feuerprachtkäfer noch nicht angewandt", freut sich Tichy über die komplexe Forschungsmethode, die bedeutsame Erkenntnisse zur Familie der Raubwanzen verspricht. (dh)

Das FWF-Projekt "Die Wahrnehmung von Infrarot und Temperatur bei blutsaugenden Wanzen" hat am 1. Oktober 2011 begonnen und endet im September 2014. Ao. Univ.-Prof. Dr. Harald Tichy, Departments für Neurobiologie, leitet das Projekt. Mag. Lydia Zopf ist Projektmitarbeiterin. Das Team kooperiert mit Prof. Claudio Lazzari (Universität Tours, Frankreich).