Neue Mikroskopietechnik: Die Neuronenwolken lichten sich

Unter der Beteiligung von WissenschafterInnen der Universität Wien ist es gelungen, eine neue Mikroskopietechnik zu entwickeln, die die Aktivität vieler Neuronen gleichzeitig erfassen kann. Dies ermöglicht wichtige Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neurowissenschaften. Die Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Nature Methods" publiziert.

WissenschafterInnen am Campus Vienna Biocenter um Alipasha Vaziri und Manuel Zimmer liefern technologische Neuerungen und wichtige Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neurowissenschaften, die der Erforschung neuronaler Schaltkreise dienen. Dabei gingen physikalisches und molekularbiologisches Know-how Hand in Hand. Die Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Nature Methods" publiziert.

Das Nervensystem des Fadenwurms C. elegans besteht aus lediglich 302 Nervenzellen (Neuronen). Das Besondere am Fadenwurm ist, dass seit über 25 Jahren bekannt ist, wie alle seine Neuronen genau miteinander verknüpft sind. Ein solch kompletter neuroanatomischer Atlas ist bisher für keinen anderen Organismus erhältlich. Zudem weiß man von einzelnen Neuronen, welche Reaktion – etwa bestimmte Bewegungsabläufe – sie im Wurm hervorrufen.

Lücke geschlossen

Dennoch liegt für die Neurowissenschaften auch beim einfachsten Modellorganismus das Wichtigste noch im Dunkeln: Es fehlt ein funktionaler Atlas, der zeigt, wie ganze Neuronengruppen (neuronale Netzwerke) dynamisch miteinander interagieren. Nur mit diesem Wissen kann man ein Nervensystem als Ganzes verstehen. Dann könnte man auch noch bessere Rückschlüsse auf andere Organismen, wie etwa den Menschen, ziehen. Diese Lücke haben nun ForscherInnen am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP), an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) sowie an der Forschungsplattform "Quantum Phenomena & Nanoscale Biological Systems" (QuNaBioS) der Universität Wien mit einer neu entwickelten Methode geschlossen. Die neue Methode ist sowohl aus mikroskop-technischer als auch molekularbiologischer Sicht für die Forschung neu ist.

Neue Mikroskopietechnik

Zentrales Anliegen war die Entwicklung einer neuen Mikroskopietechnik, welche die Aktivität sehr vieler Neuronen rasch und gleichzeitig erfassen kann. "Normalerweise scannt das Objektiv eines Lichtmikroskops in allen drei Dimensionen. Das dauert viel zu lange, um die Aktivität aller Neuronen gleichzeitig aufnehmen zu können. Wir haben nun einen physikalischen Trick gefunden, die Form des zur Mikroskopie eingesetzten Lichtes gezielt zu gestalten, was wir 'Light Sculpting' nennen. Dadurch brauchen wir nur noch in einer Dimension zu scannen", erklärt der Physiker Robert Prevedel, Senior Postdoc im Labor von Alipasha Vaziri, IMP-MFPL Gruppenleiter und Leiter der QuNaBioS-Forschungsplattform der Universität Wien.

Die neue Mikroskopiemethode wurde von Physikern dieser Forschungsplattform entwickelt. "Mit den so produzierten dreidimensionalen Videos beobachten wir, wie sich die gleichzeitige Aktivität vieler Neuronen über einen bestimmten Zeitraum verändert", sagt Prevedel.

Komplette neuronale Netzwerke im Blickfeld

Die neue Mikroskopietechnik war aber nur der halbe Weg zum Erfolg. Die Aktivität von Neuronen wird mit Hilfe von Kalziumsensoren gemessen. Ein bestimmtes zur Markierung verwendetes fluoreszierendes Protein leuchtet auf, wenn es Kalzium bindet. Sobald die Neuronen aktiviert werden, steigen die Kalziumkonzentration und damit auch die Intensität der Fluoreszenz an, die gemessen werden kann. Jedoch lagen die vielen Neuronen auf den Scanbildern so dicht aneinander, dass sie nicht voneinander zu unterscheiden waren.

"Indem wir daraufhin den Kalziumsensor nur in den Zellkern anstatt in das gesamte Zellinnere gebracht haben, umgingen wir dieses Problem. So wurden die Umrisse einzelner Neuronen sichtbar, was deren Identifikation erlaubte", so Tina Schrödel, Neurobiologin und Doktorandin im Labor von Manuel Zimmer am IMP und Co-Erstautorin der Studie. "Mit dieser Methode erfassen wir gleichzeitig fast alle Neuronen im Gehirn des Wurms", so Schrödel weiter.

Vom Aktivitäts- zum Verhaltensmuster

Die ForscherInnen machen auf diese Weise Neuronengruppen aus, die bestimmte Aktivitätsmuster zeigen. Daraus lässt sich schließen, wie Information im gesamten Gehirn des Wurms verarbeitet wird. "Das große Ziel der Neurowissenschaften ist es, aus den Aktivitätsmustern von Neuronen abzuleiten, wie Organismen Sinnesreize verarbeiten, Entscheidungen treffen und dann reagieren. Die neue Methode, die nur durch enge Zusammenarbeit von PhysikerInnen und NeurobiologInnen entwickelt werden konnte, bringt die ForscherInnen diesem Ziel entscheidend näher.

"Wir beginnen gerade, wichtige neue Erkenntnisse zu gewinnen, zu denen man vorher keinen experimentellen Zugang hatte. In den nächsten Schritten werden wir erforschen, wie unterschiedliche Reize im Gehirn verarbeitet werden" erklärt Schrödel. "Wir werden auch weiterhin neue Methoden dazu entwickeln. Wir wollen zum Beispiel wissen, wie bestimme Bewegungsabläufe im Gehirn geplant und ausgeführt werden. Dazu müssen wir sowohl die Mikroskopietechnik als auch die Datenanalyse verbessern, sodass wir dies auch bei frei beweglichen Würmern aufzeichnen können – das wird unser Ziel für die kommenden ein bis zwei Jahre sein", erklärt Prevedel abschließend. (miwe)

Die Publikation "Brain-wide 3D imaging of neuronal activity in Caenorhabditis elegans with sculpted light" (AutorInnen: Tina Schrödel, Robert Prevedel, Karin Aumayr, Manuel Zimmer und Alipasha Vaziri) erschien im September 2013 in der Fachzeitschrift Nature Methods.