NanoSIMS: Schleimfressern im Darm auf der Spur

Erstmals ist es ForscherInnen gelungen Mikroorganismen beim Fressen der Darmschleimhaut zu beobachten. Aktuell publizierten dazu David Berry, Alexander Loy und Michael Wagner von der Universität Wien in Zusammenarbeit mit ForscherInnen der Max F. Perutz Laboratories.

Wer das Forschungsprojekt von Michael Wagner und seinem Team verstehen will, muss bereit sein, dem Wissenschafter in die Untiefen des Mäusedarms zu folgen. Michael Wagner, Professor für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien, erklärt das vereinfacht so: "Wie die Kuh auf der Wiese weidet, so weiden dort die Bakterien auf dem durch die Darmschleimhaut ausgeschiedenen Schleim. Sie ernähren sich also nicht vom Futter der Mäuse. Es gibt eine Gruppe von Mikroorganismen, die darauf spezialisiert ist, Ausscheidungsprodukte ihres Wirts zu fressen."

Die Schleimschicht im Darm ist eine wesentliche Barriere für das Eindringen krankheitserregender Mikroorganismen in den Körper und spielt auch bei entzündlichen Darmerkrankungen eine große Rolle. Darum interessiert sich die Wissenschaft dafür, welche Bakterien im gesunden Organismus diese Schleimschicht bewohnen und somit möglicherweise die Besiedelung und den Abbau dieser Barriere durch Krankheitserreger unterdrücken.

Kooperation: Department für Mikrobielle Ökologie und Max F. Perutz Laboratories

Das Team um Michael Wagner und Alexander Loy wollte im Rahmen ihres durch das österreichische Genomforschungsprogramms GEN-AU unterstützten Projektes wissen: Für welche Organismen in gesunden Mäusen ist die Mucosa, die Darmschleimschicht, eine Delikatesse? "Wir haben uns einen Versuchsaufbau ausgedacht, mit dessen Hilfe es uns weltweit zum ersten Mal gelungen ist, in den Darm hineinzuschauen und die Organismen beim Abweiden des Schleims direkt zu beobachten und zu messen, wie viel Schleim von ihnen aufgenommen wurde", erklärt Gruppenleiter Alexander Loy vom Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien.


Korrespondierende FISH- (links) und NanoSIMS- (rechts) Analysen von Darmmikroorganismen; spezifisch angefärbt. Der Gehalt derselben Zellen am stabilen Isotop 15N wurde mittels NanoSIMS analysiert. Je höher der 15N-Gehalt einer Zelle, desto mehr Darmschleim wurde von ihr aufgenommen. Weiße Pfeile zeigen auf Zellen, die Schleim aufgenommen haben. Die mit einem grünen Pfeil markierte Bacteroides-Zelle hat sich nicht von Schleim ernährt. (Foto: Mikrobielle Ökologie, Universität Wien)



Dazu haben MikrobiologInnen mit Unterstützung der Teams um Thomas Decker vom Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik der Max F. Perutz Laboratories und Bärbel Stecher von der LMU München eine Aminosäure mit stabilen Isotopen markiert, von der man weiß, dass ein Gutteil nach der Aufnahme in die Blutbahn im Schleim landet. Wagner sagt: "Nach wenigen Stunden konnten unsere Kooperationspartner Andreas Richter und Wolfram Wanek vom Department für Terrestrische Ökosystemforschung der Universität Wien mit Hilfe der Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie tatsächlich feststellen, dass die Isotopen im Darmschleim angekommen sind und dort von Bakterien abgebaut wurden." Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, um jene Bakterien identifizieren zu können, die sich von der Schleimschicht ernähren.

Forschungserfolg durch NanoSIMS-Facility der Universität Wien

Schlüsseltool bei den Untersuchungen war die hochauflösende Sekundärionen-Massenspektrometrie, kurz NanoSIMS genannt. Dabei handelt es sich um ein mehr als zwei Millionen Euro teures Gerät, das seit Februar 2010 an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien im Einsatz ist und seitdem vom Team um Michael Wagner für Anwendungen in der Mikrobiologie und Ökologie weiterentwickelt wird. "Mit Hilfe dieser Technik können wir für jede Mikrobenzelle in einer Darmprobe die Menge an aufgenommenen stabilen Isotopen genau quantifizieren", erläutert Arno Schintlmeister, der das Gerät an der Fakultät als Operator betreibt.

"Die Invesititonskosten für das NanoSIMS-Gerät waren sehr hoch, und es hat eine Weile gedauert, bis wir dieses hochkomplexe Gerät in unsere Forschung vollständig integrieren konnten. Jetzt werden wir allerdings belohnt: Die Universität Wien hat damit weltweit die erste Studie, bei der man die Funktion einzelner Darmbakterienzellen nicht nur indirekt abzuleiten versucht, sondern wirklich direkt misst", so Mikrobiologe Michael Wagner. Dieser Forschungsansatz hat großes Potenzial und ist ein Thema, das am Department für mikrobielle Ökologie in den von David Berry und Alexander Loy geleiteten Arbeitsgruppen einen Schwerpunkt in den nächsten Jahren darstellen wird.

Darm-Mikrobiota ist heißes Forschungsthema

Die durch die NanoSIMS-Facility vermessenen Bakterienzellen wurden anschließend mit Hilfe der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung – kurz FISH genannt – im konfokalen Laser Scanning Mikroskop identifiziert. "Wir konnten eine Reihe von schleimfressenden Mikroorganismen eindeutig identifizieren. Die wichtigsten Player sind Akkermansia muciniphilia und Bacteroides acidifaciens“. erläutert Wagner und weiter: "Die Darm-Mikrobiota ist weltweit ein ganz heißes Forschungsthema, da viele Krankheiten mit der Zusammensetzung unserer Darm-Mikroorganismengemeinschaften zu korrelieren scheinen – von Fettleibigkeit über Autismus bis zu entzündlichen Darmerkrankungen." (vs)

Die Publikation "Host-compound foraging intestinal microbiota revealed by single-cell stable isotope probing" (AutorInnen: David Berry, Bärbel Stecher, Arno Schintlmeister, Jochen Reichert, Sandrine Brugiroux, Birgit Wild, Wolfgang Wanek, Andreas Richter, Isabella Rauch, Thomas Decker, Alexander Loy und Michael Wagner) erschien am 4. März 2013 in "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).