Mit dem Radl von Stadt zu Stadt
| 18. April 2017Drei Informatiker der Universität Wien haben den globalen Bike Sharing Atlas entwickelt, der aktuell die Citybike-Netzwerke und Mobilitätsmuster von über 460 Städten weltweit abbildet.
Donnerstagvormittag, 10 Uhr, Bike Station Camden Town in London: Kein Fahrrad zum Ausborgen vorhanden. Anders schaut es an den Bike Stationen im Stadtzentrum aus: Um diese Uhrzeit sind sie überfüllt und bieten kaum mehr Platz, das Leihrad abzustellen – abends ist es genau umgekehrt. Das bedeutet: Das Citybike-System von London wird gut von PendlerInnen angenommen. Mit insgesamt 774 Stationen hat London eines der größten Citybike-Netzwerke weltweit, nur Paris ist mit seinen 1.226 Stationen noch umfangreicher. Im Vergleich: Wien hat 121 Stationen.
Open Data in Echtzeit
Von Vancouver, Seattle, San Francisco über New York, Rio de Janeiro, Istanbul bis hin zu Taipeh, Melbourne und Auckland – über 460 Städte weltweit und über 21.000 einzelne Stationen sind im Bike Sharing Atlas verzeichnet. Die Daten wie freie Plätze, volle Stationen, etc. werden alle 15 Minuten aktualisiert; dabei kommen unglaubliche Datenmengen zusammen, die es zu verarbeiten gilt.
Konzipiert und entwickelt wurde der Bike Sharing Atlas von den Informatikern Michael Oppermann, Michael Sedlmair und Torsten Möller, alle aus der Forschungsgruppe Visualization and Data Analysis der Universität Wien. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass der Großteil aller Citybike Netzwerk-Daten Open Data sind. "Unser Ziel ist Open Data auch wirklich für die Menschen zugänglich zu machen. Aktuell sind diese Daten ja noch zumeist in komplexen Tabellen und Datenbanken versteckt. Wir hingegen bauen auf interaktive Visualisierung um diese Daten sicht- und greifbar zu machen", erklären die Informatiker.
Auf das Fahrrad gekommen sind die Wissenschafter aufgrund eines Vorgängerprojektes, in dem sie Daten für die Gewista, dem City Bike Wien-Betreiber, aufbereiteten. Nach Projektende dachten sich die drei Forscher, "warum nicht über Wien hinaus in die Welt gehen?"
Eine Übersicht aller Bike-Stationen in London an einem Donnerstagvormittag. Blaue Punkte zeigen volle Stationen an, rote Punkte leere Stationen, orange zeigt an, dass es knapp wird und bei gelb ist das Verhältnis ausgewogen. (Grafik: Bike Sharing Atlas)
Herausforderung Visualisierung
"Wir lassen ganz gerne die Rechner für uns arbeiten", schmunzelt Michael Sedlmair und fügt hinzu, dass die Visualisierung der Unmengen an Daten eine der größten Herausforderungen im Projekt gewesen sei. Hier hat Michael Oppermann ganze Arbeit geleistet, die er auch gleichzeitig für seine Masterarbeit nutzt. Die Informatiker erarbeiteten eigene Algorithmen und komplexe Tools für die Verarbeitung des stetig hereinkommenden Datenpools, der zusätzlich natürlich große Rechenleistung benötigt.
Vielseitige Anwendungen
Zusätzlich zu den Informationen in Echtzeit über den Status der einzelnen Fahrradnetzwerkstationen, bietet der Bike Sharing Atlas noch eine Fülle an weiteren Optionen. So kann via Routenplaner die nächste freie Bike Station gefunden werden, gleichzeitig berechnet der Algorithmus auch den schnellsten Weg zum Ziel.
Das Citybike Wien-Netzwerk ist mittlerweile gut ausgebaut und wird stetig mehr genutzt. Im Jahr 2016 gab es 130.000 Neuanmeldungen und über eine Million Fahrten. Das entspricht einer Steigerung der Anmeldungen um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. (Grafik: Bike Sharing Atlas)
Die Daten werden nach der jeweiligen Aktualisierung nicht gelöscht, sondern aufgezeichnet – anonym versteht sich. So können die jeweiligen Mobilitätsmuster jeder einzelnen Stadt ganz genau nachvollzogen werden; und das über die letzten 15 Monate hinweg. "Als wir die Daten aufbereitet haben, sind wir auf überraschend spannende Gewohnheiten der FahrradfahrerInnen gestoßen", erzählen Oppermann und Sedlmair: "Während die NutzerInnen in London die Leihräder zum Pendeln meist größerer Strecken verwenden, lässt sich in Wien erkennen, dass die Leute viel näher an ihrem Wohnort arbeiten."
Spannende Forschungsmöglichkeiten
Der Bike Sharing Atlas steht allen Internet-UserInnen kostenlos und ohne Anmeldung zur Verfügung. Er ist nicht nur für RadlerInnen nützlich, sondern gerade durch die Aufbereitung diverser Mobilitätsmuster auch für die Wissenschaft. "Mit den Bewegungsmustern lässt sich sicher viel machen", meinen die Informatiker: "Dabei denken wir an SoziologInnen, RaumplanerInnen etc. Es würde uns freuen, wenn unser Bike Sharing Atlas auch zu diversen stadtplanerischen und wissenschaftlichen Fragestellungen einen Beitrag leisten kann. Dazu muss er allerdings erst bekannter werden." (td)
Der Bike Sharing Atlas wurde von den Informatikern der Forschungsgruppe Visualization and Data Analysis Univ.-Prof. Torsten Möller, Dipl.-Inform. Dr. Michael Sedlmair sowie Michael Oppermann, BSc. an der Universität Wien konzipiert, entwickelt und realisiert.