Migrantisches Unternehmertum. Selbstwahrnehmung vs. Fremdzuschreibung

Rund ein Drittel aller Betriebe in Wien haben das Etikett "Migrantische UnternehmerInnen". Petra Dannecker, Leiterin des Instituts für Internationale Entwicklung, untersucht gemeinsam mit ihrem Team, was – und vor allem wer – hinter diesen Begrifflichkeiten steckt.

Mittags auf einen Falafel-Teller beim Kebabstand, am Nachmittag einen Abstecher zum serbischen Automechaniker und abends chinesisches Essen bestellen: Migrantische Unternehmen sind aus unserem Stadtbild und Konsumverhalten nicht mehr wegzudenken. Sie machen in Wien immerhin ein Drittel aller Selbständigen aus und sind zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden: MigrantInnen schaffen allein in Wien 20.000 Arbeitsplätze und sind vor allem in den Branchen Gastronomie, Handel und Bau zu finden. Soweit zu den Zahlen der Wirtschaftsagentur Wien.

Die Frau im Fokus

"Aber sowohl in diesen Statistiken als auch in der qualitativen Forschung wurden Frauen bzw. das weibliche Unternehmerinnentum bisher komplett vernachlässigt", erklärt die Soziologin Petra Dannecker, Leiterin des Instituts für Internationale Entwicklung an der Universität Wien, die diese Lücke nun gemeinsam mit ihrer Projektmitarbeiterin Alev Cakir schließt. "Aber wir fragen uns nicht nur, warum in Hinblick auf ethnische Ökonomien nie über Gender gesprochen wird, sondern auch, was die Kategorie 'Migrantisches Unternehmertum' überhaupt bedeutet", ergänzt Politikwissenschafterin Cakir den Forschungsansatz.

Während Petra Dannecker (li.) aus Deutschland migriert ist und keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, hat Alev Cakir (re.) diese. "In unseren Interviews hingegen wird mir meist 'die Migrantin' zugeschrieben. Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich wir beide allein aufgrund unserer Namen aufgenommen werden", so Cakir, die sich v.a. für solche "Fremdzuschreibungen" interessiert.

Ethnizität als Ressource

"Im ersten Schritt untersuchen wir daher im Rahmen von Interviews, wie die migrantischen Unternehmer und Unternehmerinnen von außen definiert werden – etwa von Wirtschaftsagenturen oder städtischen Organisationen –, um anschließend zu untersuchen, wie sie sich selbst wahrnehmen", erläutert Cakir und nennt als Beispiel UnternehmerInnen, die sich ganz bewusst eine migrantische Fremdzuschreibung aneignen, um sich in einer Nische zu positionieren. "Sie nutzen sozusagen Ethnizität als Ressource." So gibt es Betriebe – v.a. in der Gastronomie – die zwar in "österreichischer Hand" sind, sich aber als türkisch, asiatisch oder spanisch verkaufen. "Das zeigt, wie flexibel solche Zuschreibungen sind", betont die junge Forscherin.

VERANSTALTUNGSTIPP: Podiumsdiskussion zur Semesterfrage am 20. Juni
Politikwissenschafterin Alev Cakir beteiligt sich am 20. Juni 2016 an einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Semesterfrage "Wie verändert Migration Europa?". Weiters sind dabei: Migrationsrechtsexpertin Christine Langenfeld (Universität Göttingen) – sie hält das Impulsreferat zum Thema "Eine gute Migrationspolitik braucht mehr Europa!" –, Migrationsforscher und Vizerektor Heinz Faßmann, Osteuropa-Historiker Philipp Ther und EU-Forscherin Gerda Falkner von der Universität Wien.

Eigene Chefin sein

Während die Bedeutung migrantischer UnternehmerInnen für den Wirtschaftsstandort Österreich nicht mehr hinterfragt wird, ist dennoch verhältnismäßig wenig über die Menschen hinter den Unternehmen bekannt. "Mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen, was ist ihre Motivation?", beschreibt Dannecker zwei der Fragen, denen sie im Projekt nachgeht.

Was die Motivation anbelangt, sich selbstständig zu machen, so spielt einerseits die Nicht-Anerkennung von Qualifikationen oder Bildungsabschlüssen eine Rolle. "Andrerseits ist aber auch die Unabhängigkeit – 'sein/e eigene/r Boss oder Chefin sein' – ein wichtiges Argument, das sich nicht von jenem anderer UnternehmerInnen unterscheidet", erklärt die Projektleiterin und ergänzt: "Frauen argumentieren vor allem mit flexiblen Arbeitszeiten als Selbständige, die sich mit der Kinderbetreuung oftmals besser vereinbaren lassen."

Eine zweifache Herausforderung

Oft subventionieren die Männer über ihr Einkommen das Unternehmen ihrer Frauen. "Ein Phänomen, das wir ja nicht nur bei migrantischen Unternehmerinnen beobachten", so Cakir und betont: "Die Herausforderung, mit denen migrantische Unternehmerinnen zu kämpfen haben, sowie ihre Motivation und Arbeitsorganisation haben meist gar nichts mit ihrer ethnisierten bzw. migrantischen Herkunft, sondern vielmehr mit ihrem Geschlecht zu tun: Frauen haben es grundsätzlich schwerer, einen Kredit zu erhalten, ein Ladenlokal zu anzumieten oder die notwendigen (familiären), meist männlich dominierten, Netzwerke anzuzapfen."

Letzteres betrifft aber doch verstärkt Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund. Denn Selbstständigkeit wird v.a. innerhalb der migrantischen Bevölkerung oft nicht als "angemessenes weibliches Verhalten" gesehen und Frauen erhalten daher von der Familie wenig bis keine Unterstützung. "In der wissenschaftlichen Literatur bleibt dieses Detail jedoch meist unerwähnt: Hier wird in Hinblick auf ethnische Ökonomien den familiären Netzwerken eine große Bedeutung zugemessen", argumentiert Cakir.



Integration durch Selbstständigkeit?

Die Perspektive der UnternehmerInnen, ihre Lebenswelten und Sichtweisen stehen bei alldem im Zentrum der Forschung von Dannecker und ihrem Team. Die Wissenschafterinnen, die sich vor allem kleine mittelständische Betriebe ansehen, zeigen in erster Linie, dass es sich bei den "migrantischen UnternehmerInnen" um eine sehr heterogene Gruppe handelt. "Und in Hinblick auf Integration rücken wir die MigrantInnen als aktive AkteurInnen ins Zentrum", sind sich Dannecker und Cakir einig.

Inwieweit ist die Selbstständigkeit bei der Integration förderlich? "Wir wollen wissen, ob migrantische unternehmerische Tätigkeit wirklich zur Integration beiträgt – was ja per se immer angenommen wird – oder ob das Prekariat, in dem viele migrantische UnternehmerInnen aufgrund des geringen Einkommens und der Arbeitsbedingungen leben, nicht eher konterproduktiv ist", so Dannecker. Denn Selbstständigkeit und Unternehmertum bedeutet ja nicht automatisch finanziellen Erfolg. (ps)

Das Forschungsproject "'Migrant' Women Entrepreneurs in Vienna" unter der Leitung von Univ.-Prof. Petra Dannecker läuft von 2015 bis 2018 im Rahmen der Forschungsplattform "Mobile Cultures and Societies". Projektmitarbeiterinnen sind Mag. Alev Cakir, MA. und Mag. Alexandra Heis, die über ein Projekt der Österreichischen Nationalbank finanziert wird.