Menschenrechte in Europas Sicherheitspolitik

Datenaustausch, Familienzusammenführung, Asyl: menschenrechtlich und sicherheitspolitisch sensible Bereiche, die seit 1999 nicht mehr rein zwischenstaatlich geregelt werden. Florian Trauner von der Universität Wien hat untersucht, was das für die Menschenrechte in Europas Sicherheitspolitik bedeutet.

Im Jahr 2011 hatte ein afghanischer Asylwerber in Griechenland eine elfprozentige Chance, den Asylstatus zu erhalten. In Schweden waren es über 70 und in Österreich etwa 65 Prozent. Das zeigt, wie unterschiedlich die nationalen Regelungen – in einem formell vereinheitlichten Politikbereich – immer noch sind. Denn Asylpolitik wird – ähnlich den Bereichen Einwanderungspolitik, Terrorismusbekämpfung, Straf-, Zivilrecht und Datenschutz – seit dem Vertrag von Amsterdam nicht mehr zwischenstaatlich, sondern auf supranationaler Ebene geregelt. "D.h., den supranationalen Institutionen, wie Parlament, Gerichtshof und Kommission, wurden mehr Mitspracherechte zugesprochen", erklärt Florian Trauner vom Institut für europäische Integrationsforschung der Universität Wien.

Stärkung der Menschenrechte?

Damit hat die EU auf massive Kritik von Seiten des Parlaments und Menschenrechtsorganisationen reagiert. "In den Bereichen Justiz- und Innenpolitik tadelten diese die EU als menschenrechtlich unsensibel und zu sicherheitsorientiert – vor allem im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Durch die Mitsprache des Parlaments erhofften sie sich eine Richtungsänderung", erklärt Trauner.

Haben sich diese hohen Erwartungen erfüllt? Hat mehr Parlamentarismus den Stellenwert der Bürger- und Menschenrechte auf EU-Ebene wirklich gestärkt? Diesen und anderen Fragen ging Trauner gemeinsam mit seiner Projektmitarbeiterin Ariadna Ripoll Servent – und in Kooperation mit renommierten PolitikwissenschafterInnen aus ganz Europa – im Rahmen eines FWF-Projekts auf den Grund.


VERANSTALTUNGSTIPP:
"Macht das Europäische Parlament einen Unterschied? Einblicke in die EU Justiz- und Innenpolitik": Unter diesem Titel präsentieren Florian Trauner und Ariadna Ripoll Servent von der Universität Wien am Montag, 17. Juni, in der Aula am Campus ihre Forschungsergebnisse. Im Anschluss findet eine hochkarätig besetzte Diskussion statt. Programm und Anmeldung (PDF)



Parlament positioniert sich neu

Die ForscherInnen haben die Politikfelder Asyl- und Einwanderungspolitik, Terrorismusbekämpfung, Straf- und Zivilrecht sowie Datenschutz der letzten 20 Jahre systematisch untersucht. "Anhand von Dokumenten und Interviews mit EU-ParlamentarierInnen oder Kommissionsangestellten haben wir nachgezeichnet, wie sich die einzelnen AkteurInnen positioniert und wie sich deren Positionen – z.B. in Verhandlungsgesprächen – verändert haben", erzählt der Europaexperte.

Die Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass das Parlament seine ursprünglichen Forderungen – vor allem im Asylwesen – in wesentlichen Punkten aufgegeben und die restriktivere Position des Ministerrats akzeptiert hat. Laut Trauner hat der institutionelle Wandel daher nicht zu einer Neuausrichtung der Politikbereiche, sondern vielmehr zu einer Neupositionierung des Parlaments geführt.

Geht Sicherheitspolitik vor?

"Das Rollenverständnis hat sich verändert, da das Parlament Verantwortung im Politikprozess übernehmen musste. Dies hat zu mehr Verständnis für die sicherheitsorientierten Argumente des Ministerrats geführt", erklärt der Politologe und ergänzt: "Natürlich spielen dabei auch die gestärkte rechts-konservative Fraktion im Europäischen Parlament und nicht zuletzt die informellen Verhandlungsdynamiken eine Rolle. Der Ministerrat verweist auf seine langjährige Erfahrung und appelliert an das Parlament, als 'Newcomer' in diesem Politikfeld, nichts zu beschließen, was die Sicherheit Europas gefährden könnte." Obwohl also Ministerrat und Parlament formal gleichgestellt sind, hat sich gezeigt, dass das Parlament seine formellen Machtbefugnisse nicht zur Gänze ausspielen kann.


"Im Projekt ist der Bereich Asylpolitik besonders interessant, da wir dazu die Positionen der Akteure sehr gut nachzeichnen konnten", erklärt Trauner. Zwischen 1999 und 2004 wurde ein EU-Regelwerk geschaffen, das Mindeststandards in der Asylpolitik festlegt. Obwohl das Parlament den Ministerrat in der ersten Phase stark kritisiert hat, konnte es sich in der zweiten Phase in nur wenigen Punkten durchsetzen. (Im Bild: Asylbewerber in einer Sammelunterkunft, Foto: Andreas Bohnenstengel/Wikipedia)



Europäischer Gerichtshof als "Gesetzesbrecher"

Eine besondere Rolle kommt dem Europäischen Gerichtshof zu. "Die Forschungsergebnisse haben uns diesbezüglich wirklich überrascht", betont der Europaexperte. In Bereichen wie der Einwanderungspolitik hat der Gerichtshof zwar erst mit dem Vertrag von Lissabon 2009 volle Rechtssprechungskompetenz erhalten, seitdem aber bedeutende Dynamiken in Gang gesetzt. So sind z.B. einzelne Pro-MigrantInnengruppen und AkteurInnen vor den Europäischen Gerichtshof gezogen, haben dort Entscheidungen bewirkt und damit nationale Regelungen in Frage gestellt.

"Im Jahr 2011 betrafen allein 14 von 17 solcher Vorabentscheidungsverfahren Italien und dessen Abschiebepolitik", so Trauner. In Folge wurde es für Italien schwieriger, seine rigorosen Abschiebepraktiken beizubehalten. Auch in den Niederlanden wurden aufgrund eines bahnbrechenden Prozesses beim Europäischen Gerichtshof die strengen Regelungen hinsichtlich der Familienzusammenführung gelockert.

Gesellschaftspolitisch ist dieser Forschungsbereich äußerst bedeutend, da menschenrechtlich und sicherheitspolitisch sensible Bereiche untersucht wurden: "Immerhin sprechen wir hier von Regelungen, die den Alltag aller EU-BürgerInnen und EinwanderInnen betreffen", schließt Trauner. (ps)

Das FWF-Projekt "Die Rolle der supranationalen Institutionen in der EU Justiz- und Innenpolitik" unter der Leitung von  Mag. Dr. Florian Trauner startete im September 2011 und läuft bis November 2013.