"Meine Forschung": Gesellschaftlicher Wandel in deutschen TV-Serien

Fernsehserien spiegeln gesellschaftliche Veränderungen wider. Aber wie genau zeigt sich das? In ihrem Dissertationsprojekt geht Anna Schmedemann vom Institut für Soziologie dieser Frage am Beispiel der Serien "Der Alte" und "Der Landarzt" nach.

"Der Alte" und "Der Landarzt" zählen – nach "Tatort" und "Lindenstraße" – zu den ältesten deutschen Serien ("Der Alte" wird seit 1976 produziert und "Der Landarzt" seit 1986). Seit Jahrzehnten gehören sie im deutschsprachigen Raum zu den Publikumslieblingen, sind wissenschaftlich jedoch kaum erforscht. Die Nachwuchswissenschafterin Anna Schmedemann untersucht in einer Längsschnittanalyse, wie sich die beiden Fernsehserien im Zeitraum von 1976 bis 2012 entwickelt haben. Wie repräsentiert sich der gesellschaftliche Wandel in den Serien? Wie gehen die Serien mit aktuellen Themen und Vorurteilen um?

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.

Fernsehen und Gesellschaft

Fernsehen genießt weit verbreitete Akzeptanz, es verbindet sich mit Erlebnissen aus der Wirklichkeit und wird deshalb als besonders realitätsgetreu angesehen – vor allem Fernsehserien, deren Hauptaufgabe darin besteht, eine Bindung zu den Zuschauern aufzubauen, um so eine lange Laufzeit zu garantieren. Inwieweit diese unterstellte Realitätstreue zutrifft, will Schmedemann herausfinden. Den Fokus legt sie dabei auf das Bild der Gesellschaft, welches die beiden ausgewählten Serien über Jahrzehnte transportieren und die Frage, wie sich dieses Bild mit der Zeit veränderte.
   
Individualisierung und Risikogesellschaft

Als theoretischer Rahmen dienen die Arbeiten von Anthony Giddens und Ulrich Beck zum gesellschaftlichen Wandel. Bestimmte Aspekte, wie die zunehmende Individualisierung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft oder die Bedeutung von Risiko in der heutigen Zeit lassen sich in den Serien wiederfinden und sollen in die Analyse der einzelnen Folgen mit einfließen.

Ist das rechtens?

Darüber hinaus spricht das Projekt auch Veränderungen in der Rechtsprechung an, wie z.B. die Abschaffung des Paragraphen 175 (der sogenannte "Schwulenparagraph"). Diese können ebenfalls darüber Auskunft geben, wann bestimmte gesellschaftliche "Tabus" gesetzlich aufgehoben und gesellschaftliche Neuerungen offiziell anerkannt wurden. Interessant wird es sein, Parallelen zwischen den Gesetzesänderungen und dem Umgang mit diesen Aspekten innerhalb der Serien zu finden. Hierfür konnte Schmedemann bereits einige Beispiele in ihrem Forschungsmaterial finden, u.a. einen Hinweis auf die Scheidungspolitik der 1970er und 1980er Jahre sowie die Betonung, dass Homosexualität in Deutschland seit 1994 nicht mehr strafbar ist. Das bedeutet, dass in den Serien diese gesellschaftlichen Veränderungen angesprochen werden, in welchem Umfang wird die Arbeit von Schmedemann noch genauer klären.

Der Zufall spielt eine Rolle

Mit Hilfe einer einfachen Zufallsstichprobe wird aus beiden Serien jeweils für alle zwei Jahre eine Folge gezogen. Bei "Der Alte" ergeben sich so 18 Folgen und bei "Der Landarzt" zehn Folgen, da hier zwischen den einzelnen Staffeln größere Abstände lagen. Diese Folgen werden anschließend anhand verschiedener Kategorien – wie etwa "Geschlechterverteilung", "Milieu" und "Frauenbild" – qualitativ sowie quantitativ analysiert und interpretiert.

Quantitativ ...

So werden die quantitativen Kategorien tabellarisch in Verlaufsdiagrammen dargestellt, um die Veränderungen innerhalb der Serien aufzuzeigen und sie anschließend mit den realhistorischen gesellschaftlichen Ereignissen zu vergleichen. Wie entwickelt sich beispielsweise die Geschlechterverteilung in den Serien und in der wirklichen deutschen Gesellschaft? Bilden die Serien dabei ein reales Bild ab oder ist das Bild verzerrt?

... und qualitativ

Im Gegensatz dazu werden die qualitativen Kategorien für jede Folge einzeln analysiert und in den gesellschaftlichen Kontext eingeordnet. Somit wird im Detail untersucht, welche aktuellen Themen in den einzelnen Folgen jeweils angesprochen werden, wie die Serien mit Vorurteilen umgehen oder welche Männer- und Frauenbilder sie transportieren.

Realität versus Fiktion

An die Analyse schließen sich fokussierte Experteninterviews mit VertreterInnen der beiden dargestellten Hauptberufsgruppen (Kriminalbeamte und Ärzte) an. Die ExpertInnen sehen sich einzelnen Folgen an und bewerten das dargestellte berufliche Umfeld anhand ihrer eigenen praktischen Erfahrungen. Auf diese Weise will Schmedemann den generellen Realitätsgehalt der beiden Serien herausarbeiten.

Die Dissertation "Repräsentation des gesellschaftlichen Wandels in den deutschen Fernsehserien 'Der Alte' und 'Der Landarzt' – Eine Längsschnittanalyse von 1976 bis 2012" fertigt Anna Schmedemann, M.A. im Fachbereich Soziologie der Universität Wien, unter Betreuung von Univ.-Prof. Dr. Alfred Smudits an. Anna Schmedemann, geboren 1985 in Walsrode (Deutschland), hat in Deutschland und Österreich Soziologie studiert und beschäftigt sich in ihren Forschungsarbeiten vor allem mit soziologischer Fernseh- und  Serienforschung.

Literaturtipps zum Thema von Anna Schmedemann:
Hepp, Andreas (1998): "Fernsehaneignung und Alltagsgespräche", Wiesbaden, Westdeutscher Verlag.
Jäckel, Michael (Hrsg.) (2005): "Mediensoziologie – Grundfragen und Forschungsfelder", Wiesbaden, VS Verlag.
Schatz, Heribert (Hrsg.) (1996): "Fernsehen als Objekt und Moment des sozialen Wandels", Opladen, Westdeutscher Verlag.