Klimawandel: "Wir müssen schnell und konsequent handeln"

Fünf Jahre lang haben ForscherInnen aus 23 Ländern die Auswirkungen des Klimawandels auf polare und bergige Ökosysteme untersucht. Ökosystemforscher Andreas Richter von der Universität Wien war einer von ihnen. Er hat sich angeschaut, wie Böden auf die Erwärmung reagieren.

uni:view: Herr Richter, Sie waren fünf Jahre lang an einem internationalen Projekt zur Erforschung der Auswirkungen des Klimawandels auf fragile polare und bergige Ökosysteme beteiligt. Inwiefern ist diese Art von Grundlagenforschung wichtig?
Andreas Richter: Wir brauchen schon lange nicht mehr darüber diskutieren, dass es menschengemachten Klimawandel gibt. Das ist wissenschaftlich so gut belegt wie kaum etwas Anderes. Warum dann noch immer Projekte im Bereich der Grundlagenforschung zum Thema Klimawandel? Weil wir eben noch immer nicht genau wissen, was für Rückkopplungen es eigentlich gibt und wohin wir uns in den nächsten 50 Jahren bewegen werden – und bei diesen Fragen spielen die polaren Ökosysteme der Erde eine zentrale Rolle. Sie müssen wir beantworten, um klare Handlungsoptionen für die Politik erarbeiten zu können.

uni.view: Das Projekt wurde diesen Sommer abgeschlossen. Worum ging es konkret?
Richter: Gesamtziel war es, die Auswirkungen des Klimawandels auf die besonders empfindlichen Ökosysteme in den Polar- und Hochgebirgsregionen auf lokaler und globaler Ebene besser zu verstehen, um deren Management und Erhaltung zu verbessern zu können. Dazu wurden an 13 Standorten weltweit – auf allen Kontinenten außer Australien – Untersuchungsstandorte eingerichtet und Basisuntersuchungen durchgeführt. Ein weiteres Ziel war auch "Capacity Building", also die Ausbildung von jungen WissenschafterInnen vor allem aus Entwicklungsländern, die die Forschung, die wir begonnen haben, weiterführen sollen, sowie das Erstellen von Protokollen für die Langzeitforschung an den ausgewählten Standorten.

Veranstaltungstipp: Polar Talk #3 
Am 23. Oktober, 18.30 Uhr, findet der Polar Talk #3 im Naturhistorischen Museum Wien statt. Andreas Richter hält einen Vortrag mit dem Titel "Was die Veränderung arktischer Ökosysteme für den globalen Klimawandel bedeutet". Die Veranstaltung wird von "APRI – the Austrian Polar Research Institute" organisiert. Nach dem Vortrag gibt es einen kleinen Umtrunk. 
Der Vortrag ist auf Deutsch. Eintritt frei. Nähere Informationen

uni:view: Zu Ihren Forschungsschwerpunkten zählen Kohlestoffvorkommen in arktischen Böden sowie Boden-Mikroorganismen allgemein. Was haben Sie sich im Projekt genau angeschaut?
Richter: Meine Rolle im Projekt war es, bodenmikrobiologische Untersuchungen durchzuführen sowie am Aufbau von Standorten in der Antarktis, in Chile, China, Spitzbergen und in den österreichischen Alpen als Bodenökologe mitzuwirken.

Was uns wirklich interessiert, ist, was in den nächsten Jahrzehnten in den Böden der Polargebiete passieren wird, wenn die Klimaerwärmung ungebremst weitergeht wie bisher. In Permafrostböden sind sehr große Mengen an organischem Kohlenstoff gespeichert, die durch mikrobiellen Abbau nach dem Auftauen theoretisch in die Atmosphäre gelangen können. Das könnte die Klimaerwärmung weiter anheizen, also zu einer starken, positiven Rückkoppelung führen. Um hier genauer Vorhersagen treffen zu können, müssen wir aber erst einmal besser verstehen, wie mikrobiellen Prozesse in Permafrostböden ablaufen und wodurch sie möglicherweise limitiert sind.

uni.view: Welche Rolle spielen Mikroorganismen beim Klimawandel?
Richter: Eine zentrale Rolle, die allerdings oft genug nicht richtig verstanden oder überhaupt ignoriert wird. Grundsätzlich bauen Mikroorganismen ja Pflanzenstreu ab und bringen dadurch CO2 zurück in die Atmosphäre. Auf der anderen Seite entsteht durch das Wachstum der Mikroorganismen auch Humus, also organisches Material, das über Jahrzehnte bis zu Jahrtausenden im Boden stabil sein kann. Ein gutes Verständnis davon, was Mikroorganismen genau machen, wenn es wärmer wird, ist kritisch für eine Beurteilung der Effekte die eine weitere Klimaerwärmung haben wird.   


uni:view: Was sind diesbezüglich Ihre wichtigsten Projektergebnisse?
Richter: Wir haben Proben von vier Polar- und vier Gebirgsstandorten weltweit analysiert und dabei zwei wesentliche Dinge gelernt: Erstens sind zwar die absoluten Wachstums- und Respirations-Raten von Mikroorganismen je nach Standort sehr unterschiedlich, doch ist der "Temperatur-Response" (die Erhöhung der Respirations- und Wachstumsrate mit Temperaturerhöhung) auf allen Kontinenten und Höhenstufen recht ähnlich. Das ist natürlich erfreulich für Leute, die Modelle benutzen, um den Klimawandel vorauszusagen, weil es ihre Arbeit deutlich vereinfacht.

Zweitens hat der Klimawandel auf die Effizienz, mit der Mikroorganismengemeinschaften arbeiten, praktisch keinen Einfluss. Das ist so nicht erwartet worden, weil aus theoretischen Überlegungen heraus die Effizienz eigentlich mit der Temperatur abnehmen sollte. Das sind aber ebenfalls gute Nachrichten, weil es bedeutet, dass mehr Kohlenstoff potenziell in den Böden verbleiben kann.

uni:view: An dem Projekt waren WissenschafterInnen aus 23 Ländern beteiligt: Welche Vorteile hat solch internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit?
Richter: Ich schätze Arbeiten in großen Teams sehr. Zwar ist die Kommunikation oft mühsamer und braucht mehr Zeit, aber andererseits kann man Probleme wesentlich breiter untersuchen und kommt den Lösungen so oft näher als bei kleineren Teams. Insbesondere, wenn man in komplexen Systemen wie Böden arbeitet, sind interdisziplinäre Gruppen sehr wichtig. Es macht auch Spaß, in internationalen Teams zu arbeiten, insbesondere auch mit jungen WissenschafterInnen und KollegInnen aus Entwicklungsländern, weil man viel Neues kennenlernen kann.

uni.view: Was war für Sie persönlich das Spannendste in all der Zeit?
Richter: Die Zusammenarbeit mit so vielen Leuten aus den verschiedensten Ländern und Kulturen. Und natürlich, dass ich so viele Standorte in den Polargebieten und den Hochgebirgen sehen und bearbeiten konnte, die mir bis dahin noch unbekannt waren.

uni.view: Im vergangenen Jahr stellte die Uni Wien die Semesterfrage "Wie können wir das Klima retten?". Welche Antwort geben Sie als Ökosystemforscher?
Richter: Das Klima an sich kann man ja nicht retten. Aber man kann eine weitere Klimaerwärmung verhindern oder zumindest stark begrenzen. Das ist vielfach gezeigt worden, wie etwa gerade aktuell im Bericht der deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die klare Maßnahmen zur nachhaltigen Reduktion der CO2-Emissionen vorschlagen. Die Botschaft aus der Wissenschaft ist jedenfalls eindeutig: Wir können den Klimawandel begrenzen, nur müssen wir dazu schnell und konsequent handeln. 

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (mw)

Andreas Richter ist seit 2011 Professor an der Uni Wien und leitet die Abteilung Terrestrial Ecosystem Research (Terrestrische Ökosystemforschung) am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemforschung, Richter ist auch Vorstandsmitglied des Austrian Polar Research Institute. Mehr zu seiner Forschung und der Bedeutung von Mikroorganismen im 'Big Picture' des Klimawandels erklärt der Bodenökologe ausführlich im Podcast "Audimax" der Uni Wien (© A. Richter)

Das Projekt "Assessing the Impact of Climate Change on Land-Water-Ecosystem Quality in Polar and Mountainous Regions" lief von 2014-2018 und wurde von der IAEA, der Internationalen Atomenergie-Organisation, im Rahmen des "Interregional Technical Cooperation Programs" durchgeführt. Beteiligt waren 23 Länder: Argentinien, Österreich, Belgien, Bolivien, Brasilien, Kanada, Chile, China, Finnland, Deutschland, Japan, Kirgisistan, Norwegen, Peru, Russland, Spanien, Schweden, Schweiz, Tadschikistan, Tansania, Großbritannien (UK), Amerika und Uruguay. Mit dabei für Österreich: Univ.-Prof. Dr. Andreas Richter vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung.