Klimabericht: Städte wie Wien könnten um 5 Grad heißer werden
| 25. August 2021Die Warnungen vor den Auswirkungen der menschengemachten Klimakrise sind seit mehr als 30 Jahren dieselben, schreibt Meeresbiologe Gerhard J. Herndl im Gastbeitrag. Machen wir so weiter, sind ganze Ökosysteme inklusive der Menschheit bedroht. So exakt wie im neuesten IPCC-Klimabericht (AR6) waren die Prognosen noch nie. Der größte Unsicherheitsfaktor ist aber gleichzeitig die größte Chance: Nämlich die Handlungsmacht der Menschheit in der Klimakrise.
Was ist der IPCC Assessment Report #6?
Der 1. Teil des Assessment Report Nr. 6 (AR6) des International Panel on Climate Change (IPCC) wurde Anfang August veröffentlicht. Seit 30 Jahren erscheinen diese Berichte zur Lage des Weltklimas und dessen Auswirkung auf Natur und Menschheit. Was hat sich nun über die 30 Jahre verändert an den Berichten des IPCC und in deren Wirkung auf die Öffentlichkeit?
Die Berichte sind über die Jahre stetig umfangreicher geworden. Die Prognosen, anfänglich oft als übertrieben und zu pessimistisch bewertet bezüglich der Auswirkungen menschlichen Handelns auf das Klima, finden die alarmierenden Forschungsergebnisse nun breite öffentliche Wahrnehmung und werden in den meisten Medien mehr oder weniger detailliert behandelt.
Hoffnung gibt es nur mit radikalen Änderungen
Während in den ersten Berichten des IPCC eine Zusammenfassung von Messdaten und deren Projektion in die Zukunft im Vordergrund stand, finden wir im AR6 eine umfassende und detaillierte Vorschau mit exakten Prognosen auf die zu erwartende Entwicklung des Klimas in verschiedenen Regionen unserer Erde. Der regionale Aspekt wird also detaillierter als in den bisherigen Berichten behandelt.
Die globale Temperatur unserer Erde ist gegenwärtig höher als in den letzten 125.000 Jahren. Der Bericht des IPCC zeigt aber auch auf, dass die Beschränkung der globalen Erhitzung um 1,5°C, wie im Pariser Klimaschutzabkommen 2015 vereinbart, möglicherweise noch erreicht werden kann, wenn wir es schaffen die Netto-Kohlendioxidemission bis allerspätestens 2050 auf Null zu bringen. Um dies zu erreichen, bleibt also nicht mehr viel Zeit.
Der 6. Weltklimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wurde von drei Arbeitsgruppen erarbeitet. Die Ergebnisse der ersten Gruppe zeigen die aktuellsten, physikalischen Ergebnisse der Klimakrise. Sie wurden Anfang August publiziert. 2022 erscheinen der zweite und dritte Teil des IPCC Berichts. Im zweiten Teil wird konkret prognostiziert, wie die Klimakrise Ökosysteme und letztendlich auch gesellschaftliches Zusammenleben der Menschheit bedroht. Der dritte Teil wird sich mit nötigen Maßnahmen beschäftigen, die es braucht, um die Klimakrise einzudämmen.
Wien 2100 wahrscheinlich um 5 Grad heißer
Die gegenwärtige Oberflächentemperatur unserer Erde hat, bezogen auf die Durchschnittstemperatur zwischen 1850 und 1900 um 1,1°C zugenommen. Das bedeutet, der verbleibende Zeitraum ist klein geworden, rasches Handeln der politischen Akteure ist ein Gebot der Stunde, um die Rahmenbedingungen zu setzen, die das Erreichen des Pariser Klimazieles möglich macht. Sollten sich die globalen Treibhausgasemissionen so weiterentwickeln wie bisher, sagt der AR6 Bericht einen Anstieg der Temperatur global zwischen 2,1 und 3,5°C bis 2100 voraus.
In einigen Regionen, wie in Städten (darunter auch Wien) wird der Temperaturanstieg etwa bei 5°C liegen. Damit würde das 1,5-Grad Limit um mehr als das Doppelte überschritten, was fatale Konsequenzen für den Planeten hätte. Bemerkenswert ist die Abnahme der Schwankungsbreite, der Unsicherheiten der Prognosen im AR6. Wurde im IPCC Bericht des Jahres 2013 noch eine Schwankungsbreite des globalen Temperaturanstieges von 1,5 bis 4,5°C angegeben, so ist sie im rezenten IPCC Bericht nur mehr 2,5 bis 4°C.
Mittelmeerraum als Hot Spot
Der Bericht listet penibel eine Vielzahl an Effekten des globalen Temperaturanstiegs auf, die nun sehr offensichtlich werden. Die Ausdehnung des Meereises der Arktis war im Jahr 2020 niedriger als in den letzten 1000 Jahren. Die Ozeane heizen sich auf, sie haben mehr als 95 Prozent der durch die Treibhausgasemissionen verursachten Wärme aufgenommen. Die gegenwärtige Geschwindigkeit dieser Erhitzung der Ozeane ist nur vergleichbar mit dem Temperaturanstieg am Ende der Eiszeit vor 11.000 Jahren. Regionale Aspekte wurden im rezenten Bericht viel detaillierter behandelt als in den vorigen Berichten.
Der Mittelmeerraum ist einer dieser "Hot Spots" in der globalen Klimakatastrophe, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine weitere Zunahme der Tage mit Temperaturen über 35°C wird erwartet, bei gleichzeitig häufigeren Dürreperioden und damit verbunden erhöhter Häufigkeit von Feuer. All dies stellt gegenwärtig, in diesem Sommer, die Länder des Mittelmeerraumes von Spanien bis Griechenland, vor Probleme.
Für West- und Zentraleuropa wird ein Anstieg von Extremwetterperioden bis 2050 vorhergesagt, Dürreperioden wechseln sich mit Überschwemmungen ab. All diese Vorhersagen in der Entwicklung der einzelnen Parameter wurden im aktuellen IPCC Bericht in ihrer Wahrscheinlichkeit gewichtet. Sie haben alle eine mittlere bis sehr hohe Wahrscheinlichkeit.
Zerstörung der Meere und Überflutung von Städten
Neben dem Abschmelzen des Arktischen Meereis, der Gletscher Grönlands und der Antarktis trägt auch die globale Erhitzung der Meere und die damit verbundene Ausdehnung des Wassers zu einem Anstieg des Meeresspiegels zwischen 10 bis 90 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts bei. Dieser Anstieg des Meeresspiegels wird einige der flachen Inseln im Pazifik und Indischen Ozean gänzlich unbewohnbar machen und Länder wie Bangladesch teilweise überfluten, aber auch Küstenstädte wie New York, Venedig, Amsterdam vor Probleme stellen.
Der Temperaturanstieg der Oberflächengewässer der Ozeane führt zudem zu sogenannten marinen Hitzewellen, wie im Mittelmeer und in tropischen und subtropischen Meeresteilen. Die Folge dieser marinen Hitzewellen in tropischen und subtropischen Regionen ist ein Absterben von Korallenriffen, die zwar warme Temperaturen benötigen aber empfindlich auf Wassertemperaturen über 30°C reagieren. Solche marinen Hitzewellen führten zum Beispiel zu einem Absterben von großen Teilen des Großen Barriere-Riffs vor Australien in den vergangenen Jahren.
Gerhard J. Herndl ist Professor für Meeresbiologie am Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie. Die Arbeitsgruppe um Gerhard J. Herndl untersucht im Rahmen eines internationalen EU-Forschungsprojekts die Veränderungen des arktischen Ozeans. Zudem ist er Leiter der Forschungsplattform‚ Plastics in the Environment and Society und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Ocean Cleanup Initiative. ©Barbara Mair
Meere könnten bald zu CO2 Emittenten werden
Ein weiterer Aspekt, der auch durch den Temperaturanstieg der Ozeane beeinflusst wird, ist der Verlust an Sauerstoff des Ozeans. Gegenwärtig sind nur ca. 0,1 Prozent des Volumens des Ozeans frei von Sauerstoff, also anoxisch. Diese 0,1 Prozent des anoxischen Ozeans sind verantwortlich für 30 bis 50 Prozent der ozeanischen Stickstoff-Freisetzung in die Atmosphäre: es entsteht Distickstoffmonoxid (N2O), auch als Lachgas bekannt. Neben Kohlendioxid und Methan zählt es zu jenen Treibhausgasen, die die Klimakrise am schnellsten vorantreiben.
Der prognostizierte ozeanische Verlust an Sauerstoff von etwa 25 Prozent bis 2100 und dem damit verbundenen Ausbreiten der anoxischen Bereiche des Meeres würde demnach zu einer stark erhöhten Freisetzung dieses Treibhausgases in die Atmosphäre führen.
Katastrophale Veränderung des Klimas durch schwachen Golfstrom
Ein Aspekt der im IPCC Report wenig Beachtung fand sind die Auswirkungen einer Verlangsamung der Thermohalinen Zirkulation, angetrieben durch den warmen Golfstroms. Dieser gibt auf dem Weg von Mexiko quer über den Atlantik Wärme an die Atmosphäre ab und beschert dadurch dem nördlichen Europa ein angenehmes Klima. Dieser Golfstrom wird auf Höhe von Norwegen, Grönland und Island kalt genug, um in die Tiefsee abzusinken und bildet dort das Atlantische Tiefenwasser, das wiederum der prinzipielle Motor der Thermohalinen Zirkulation ist, die alle ozeanischen Becken verbindet.
Diese Zirkulation, angetrieben von Änderungen in der Temperatur und dem Salzgehalt des Ozeanwassers, ist weitgehend bestimmend für unser Klima, da sie Wärme aus den Tropen polwärts transportiert. Ein Erlahmen dieser Bewegung, wie in rezenten Publikationen dokumentiert, würde wohl Auswirkungen auf das Klima unserer Erde haben, da sich das globale Strömungsmuster der oberflächlichen Wassermassen drastisch verändern würde. Verantwortlich für die Verlangsamung der Tiefenwasserbildung in subpolaren Atlantik ist die Erwärmung dieser Regionen und der Rückgang des arktischen Meereises.
Ein Aufruf zu schnellen und weitreichenden Maßnahmen
Der detailreiche Bericht des IPCC ist ein Weckruf! Alle Prognosen in dem Bericht wurden penibel auf ihre Wahrscheinlichkeit hin evaluiert und die Änderungen der verschiedenen Parameter unter unterschiedliche Treibhausgasemissionen berechnet. Der größte Unsicherheitsfaktor aber ist wie wir, die globale Bevölkerung, auf diese Herausforderungen reagieren werden.
Die Regierungen aller Länder sind gefordert Maßnahmen zu setzen, um den Umstieg auf saubere Energiequellen zu ermöglichen und die Treibhausgasemissionen drastisch und rasch zu reduzieren. Dies bedarf einer massiven Umstellung unseres Wirtschaftssystems und stellt somit eine enorme Herausforderung dar. Die dramatischsten Effekte der Klimakrise können durch rigorose Maßnahmen noch verhindert werden. Es ist also Zeit, jetzt zu handeln. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft des IPCC Reports.