Keine Energie ohne Risiko?
| 26. November 2010Wenn ein Lichtschalter betätigt wird, muss der dafür benötigte Strom erst erzeugt werden: Elektrizität ist nur in geringen Mengen speicherbar, Stromproduktion auf Vorrat sehr kostenintensiv. Für stromerzeugende Unternehmen bedeutet dies eine große Unsicherheit, die nur durch umfangreiches Risikomanagement abgefedert werden kann. In Kooperation mit dem Institut für Betriebswirtschaftslehre, der Universität St. Gallen und Siemens entwickeln Georg Pflug und Raimund Kovacevic mathematische Modelle zur Optimierung von Entscheidungen auf dem Energiesektor.
In ihrem dreijährigen Forschungsvorhaben - gefördert aus dem WWTF-Call 2009 "Mathematik und …" - zum Thema "Energiepolitik und Risikomanagement für das 21. Jahrhundert" setzen sich die Wissenschafter mit einer komplexen Situation auseinander: Noch in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts waren die Energiemärkte reguliert. Es gab relativ feste Preise und klare Abnahmegarantien.
"Im Grunde genommen hat jedes ordentlich produzierende Energieunternehmen auch seinen Gewinn gemacht. Heute ist es anders: Der Kunde kann aus verschiedenen Anbietern auswählen, auch elektrizitätsproduzierende Unternehmen müssen sich auf dem Markt behaupten", erklärt Georg Pflug vom Institut für Statistik und Decision Support Systems die Ausgangslage.
Stromhandel an der Börse
Ähnlich wie beim Handel mit Wertpapieren spielt sich auch Kauf und Verkauf von Strom an den Börsen ab: Energieproduzenten und große Abnehmer handeln am Terminmarkt langfristige Geschäfte aus - Preis und Menge werden für einen in der Zukunft liegenden Termin ausgehandelt. Am sogenannten Spotmarkt hingegen werden kurzfristig benötigte Strommengen eingekauft oder verkauft.
"Da Elektrizität nicht ökonomisch speicherbar ist, hat ein Händler - der beispielsweise am kurzfristigen Markt schnell Energie liefern muss - ein hohes Risiko. Dasselbe gilt für Produzenten, die genau zur vertraglich vereinbarten Stunde eine bestimmte Energiemenge zu liefern haben: Mathematische Modelle zur Energieplanung sind daher schon seit vielen Jahren ganz wesentlich", so Pflug.
Mathematische Modelle zur Optimierung
Die mathematische Methode der stochastischen Optimierung ermöglicht den Forschern nun, für eine zukünftige - im Energiesektor oft besonders unsichere - Situation eine Planung vorzunehmen: "Folgende Ausgangslage: Im Oktober wird ein Vertrag abgeschlossen, im November soll geliefert werden. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung ist unklar, wie sich die Preise entwickeln werden. Es braucht daher eine Strategie, die die verschiedensten Faktoren berücksichtigt und somit eine gewisse Vorhersehbarkeit ermöglicht", erläutert Projektmitarbeiter Raimund Kovacevic.
Die beiden Mathematiker arbeiten in diesem Zusammenhang eng mit Karl Frauendorfer von der Universität St. Gallen zusammen, einem Experten für stochastische Optimierung in den Bereichen Finanz- und Energiewirtschaft.
Erneuerbare Energie
Es sind sogenannte Kraftwerkseinsatzplanungen, die die Köpfe der Statistiker zum Rauchen bringen. Für welche Energiemenge setze ich wann welche Kraftwerke ein? Zu berücksichtigen sind dabei die u. a. die Energieerzeugungskosten der verschiedenen Kraftwerkstypen - inklusive Kosten für CO2-Emissionszertifikate -, die Stromverbrauchsspitzen im Laufe eines Tages, verschiedenste Wetterszenarien oder auch das "Verbrauchsverhalten" der AbnehmerInnen.
"Wir haben es hier mit mathematisch sehr aufwendigen Multiagenten-Modellen zu tun. Am Beispiel der Windenergie kann die Komplexität verdeutlicht werden: Ob der Wind wehen wird oder nicht, können wir nicht vorhersagen. Das heißt, es braucht für jedes Windkraftwerk ein anderes Kraftwerk im Hintergrund, das bei Bedarf hinzugeschaltet werden kann", so Pflug, dessen mathematische Modelle diverse Szenarien abdecken und so eine Optimierung der Entscheidungen zulassen.
Momentan haben Produzenten von Windkraft eine Abnahmegarantie. Weht der Wind, so geht die dadurch erzeugte Energie auch ins Netz und andere Kraftwerke müssen zurückgeschaltet werden - wird nämlich zu viel Strom erzeugt, bricht das Netz zusammen.
Vom CO2-Zertifikat zur Steuerung von Anlagen
In Kooperation mit David Wozabal vom Institut für Betriebswirtschaftslehre beschäftigen sich die Forscher zudem mit CO2-Zertifikationsmärkten: Der Ausstoß von CO2 hat nicht nur Folgen für die Umwelt, sondern bedeutet zusätzliche Kosten für energieproduzierende Unternehmen. Am Institut für Betriebswirtschaftslehre setzt man sich daher in erster Linie damit auseinander, wie diese Zertifikationsmärkte funktionieren und Verträge gestaltet werden können.
Für das ebenfalls am Projekt beteiligte Unternehmen Siemens geht es vor allem darum, Steuerungsprobleme zu lösen: Die AbnehmerInnen ihrer Energieerzeugungsanlagen fragen verstärkt nach optimaler Nutzung der Anlagen. Für die Wissenschafter sind das mathematische Herausforderungen, denen sie sich gerne stellen. (dh)
O. Univ.-Prof. Mag. Dr. Georg Pflug und Mag. Dr. Raimund Kovacevic forschen am Institut für Statisitik und Decision Support Systems. Das aus dem WWTF-Call 2009 "Mathematik und …" geförderte Projekt zum Thema "Energiepolitik und Risikomanagement für das 21. Jahrhundert" läuft von März 2010 bis März 2013. Projektpartner sind Mag. Dr. David Wozabal vom Institut für Betriebswirtschaftslehre, Prof. Dr. Karl Frauendorfer von der Universität St. Gallen sowie die Siemens AG Österreich.