Kalte Böden: Eine tickende Klima-Zeitbombe?
| 12. Februar 2018Die arktischen Böden sind der bedeutendste Speicher für organischen Kohlenstoff auf der Erde. Sie gelten als tickende Klima-Zeitbombe. Wie drastisch die Freisetzung klimarelevanter Gase bei Erwärmung sein könnte, untersuchen der Polarforscher Andreas Richter und sein Team von der Universität Wien.
Es ist weniger die Kälte, die dem Expeditionsteam diesmal Stehvermögen abverlangt: "In den polar-maritimen Gegenden der Antarktis liegen die Temperaturen im Jahresschnitt nur um etwa minus fünf Grad Celsius, auch wenn es im Sommer nie mehr als vier bis fünf Grad plus bekommt", sagt Andreas Richter vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien.
Herausfordernd für ihn als Landratte sei vielmehr die viertägige Schiffsfahrt durch die Drake-Passage: Die Meeresstraße zwischen der Südspitze Amerikas und der Antarktischen Halbinsel ist bekannt für ihre mitunter bis zu acht Meter hohen Wellen und heißt nicht umsonst "washing machine". Das Reiseziel von Richter und seinen Mitreisenden: Deception Island, Teil der Südlichen Shetlandinseln. Dort wollen sie die Böden der Vulkaninsel untersuchen. Im Gepäck haben sie Erkenntnisse aus 15 Jahren Polarforschung im hohen Norden.
Großes Reservoir an Kohlenstoff
Böden sind der größte Speicher für organischen Kohlenstoff auf der Erde. Das größte Reservoir des potenziellen Klimagases liegt dabei im Untergrund der Arktis: Die dort dauerhaft gefrorenen und im Sommer nur oberflächlich auftauenden Böden, sogenannte Permafrostböden, nehmen weltweit nur 17 Prozent der Erdoberfläche ein. In ihnen ist aber mit etwa 1700 Gigatonnen fast die Hälfte des globalen organischen Bodenkohlenstoffes gelagert. Zum Vergleich: In der Atmosphäre wird mit 800 Gigatonnen nur halb so viel Kohlenstoff als CO2 gespeichert.
Die Forschung steht erst am Anfang, Permafrostböden und das Problem einer möglichen Kohlenstofffreisetzung in Klimamodellen zu berücksichtigten. In den Modellrechnungen, die den IPCCC-Berichten zugrunde liegen, sind sie als Faktor für die Klimaerwärmung derzeit noch nicht abgebildet. Das Foto zeigt den Ökosystemforscher Andreas Richter bei der Feldarbeit in Ost-Grönland. (Foto: A. Richter)
Die arktischen Böden gelten gemeinhin als "tickende Kohlenstoffbomben". Über die globale Erwärmung tauen die Böden verstärkt auf. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten so "150 bis 300 Gigatonnen Kohlenstoff zusätzlich in die Atmosphäre gelangen", sagt der Ökosystemforscher.
Klima-Rückkopplung verstehen
Der Ökosystemforscher interessiert sich vor allem für die Mikroorganismen in den kalten Böden: "Der Kohlenstoff aus den vergangenen Jahrtausenden bleibt in dieser großen Menge im Permafrostboden nur gespeichert, weil die Mikroorganismen ihn unter den gegebenen Bedingungen schlecht abbauen können." Die Kälte und die Sauerstoffarmut der Permafrostböden hemmt die mikrobielle Aktivität. Wird es wärmer und trockener, arbeiten die kleinen Bodenbewohner intensiver. Sie wachsen schneller und leben kürzer, neue kommen schneller nach.
"Das ist die Basis für die Rückkopplung, um die wir uns so große Sorgen machen", sagt Richter. Denn: "Die Aktivität der Mikroorganismen könnte dazu führen, dass vermehrt Kohlenstoff, aber auch Methan in die Atmosphäre freigesetzt werden – also potente Treibhausgase, die den Klimawandel weiter anheizen könnten."
Norden vs. Süden
Ob solch eine positive Rückkoppelung des Abbaus von Bodenkohlenstoff tatsächlich stattfinden wird, ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Der Ökologe vermutet, dass das Ökosystem Boden samt seiner darin lebenden Organismen die erstaunliche Fähigkeit hat, sich schnell an die neuen Bedingungen anzupassen.
Die ForscherInnen nutzten für Experimente die heißen Quellen auf der Vulkaninsel Island, genauer die in Abhängigkeit zu den Quellen unterschiedlich stark aufgewärmten Böden und ihre Mikroorganismengemeinschaften. Sie beobachteten im Zuge einer Erwärmung um plus sechs Grad Celsius zwar einen Verlust von 40 Prozent des Kohlenstoffs aus den oberen Bodenschichten. Aber die vermehrte Kohlenstofffreisetzung aus den Böden kam nach einigen Jahren wieder zum Stillstand.
Seit 2013 gibt es mit APRI (Austrian Polar Research Institute) ein Dach für österreichische Polarforschung. Im APRI forschen WissenschafterInnen der Universitäten Wien, Graz und Innsbruck, und der ZAMG gemeinsam an naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ziel des Instituts ist es, die österreichische Polarforschung zu koordinieren und interdisziplinäre Forschungsprojekte auf internationalem Niveau durchzuführen. (Foto: A. Richter)
"Die Mikroorganismen bauen bei Erwärmung mehr Kohlenstoff pro Zeiteinheit ab, und wir konnten zeigen, dass das auch nach mehr als 50 Jahren immer noch so war", so Richter: "Ist aber immer weniger Kohlenstoff im Boden vorhanden, kann dieser auch nur weniger Mikroorganismen ernähren." Die Bevölkerungsanzahl nimmt also ab, damit wird auch wieder weniger Kohlenstoff freigesetzt.
Die WissenschafterInnen vermuten also, dass es mittelfristig zu geringeren Verlusten von Kohlenstoff aus den Böden kommen wird. Und: Sollte sich dies als universelles Prinzip entpuppen, könnte es sein, "dass wir auch nicht so viel Kohlenstoff aus Permafrostböden dauerhaft verlieren, wie derzeit befürchtet".
"Kohlenstoffabbau in Zeitlupe"
Sind die Permafrostböden letztendlich für das Klima weniger gefährlich als angenommen? Die Exkursion zur Antarktis soll weitere Hinweise auf den beobachteten Mechanismus liefern. Zwar gibt es in der Antarktis gerade einmal nur ein Prozent eisfreie Böden. Aber Deception Island ist eine Vulkaninsel, deren Böden ebenfalls durch einen Vulkanausbruch im Jahr 1970 graduell erwärmt wurden. Bestes Terrain also um zu untersuchen, ob sich die bisherigen Ergebnisse von der Nordhalbkugel auf die Mikroorganismen auf der Südhalbkugel übertragen lassen. "Auf Deception Island gibt es nur eine höhere Pflanzenart und Moose und Flechten. Ihr Kohlenstoffeintrag in den Boden ist sehr gering. Aber damit können wir quasi in Zeitlupe die Entwicklung der Böden und den Abbau von Kohlenstoff beobachten", so Andreas Richter.
Der Beitrag ist in der ersten Ausgabe des "Newsletter Forschungsverbund Umwelt" erschienen (Anmeldung). Seit Jahrzehnten wird an der Universität Wien in vielen Instituten erfolgreich zu Umweltfragen gearbeitet. Der Forschungsverbund Umwelt will diese exzellente Umweltforschung nach innen und außen sichtbarer machen. (Foto: Flickr.com/Zach Dischner)
Der ehemalige Leiter des Österreichischen Polarforschungsinstituts APRI wird mit seinem Team ab Mitte Jänner auf Deception Island für drei Wochen eine Forschungsstation unter spanischer Flagge beziehen. Die Forschungsstation ermöglicht einfache Laboranalysen vor Ort. Zudem können gesammelte Bodenproben mit dem Forschungsschiff gefroren nach Spanien und von dort aus nach Österreich transportiert werden. Die durchgehende Kühlung der Proben sei "ein Luxus, der nicht immer gegeben ist", so der Polarforscher.
"Wir sind auf dem Weg, einen fundamentalen Mechanismus aufzuklären, wie Mikroorganismen in den kalten Böden auf die Temperaturerhöhungen reagieren." Jetzt gehe es darum zu belegen, so Andreas Richter, wie fundamental der Mechanismus ist. So lange man das nicht wisse, "muss man die Permafrostböden als tickende Klima-Zeitbombe bezeichnen". (ly)
In dem Projekt "COUP" wollen die PolarforscherInnen der Universität Wien unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Andreas Richter vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung und dem Forschungsverbund Umwelt in Zusammenarbeit mit internationalen Partner die Unsicherheiten im Permafrost-Klima-Feedback klären und ihre Berücksichtigung in den globalen Klimamodellen vorantreiben.