Im Namen der Grammatik
| 28. Januar 2015"Ála kəléwa!" Fast fünf Millionen Menschen verabschieden sich täglich auf Kanuri – wissenschaftlich ist die westafrikanische Sprache jedoch noch unzureichend erfasst. Ein Team um Norbert Cyffer von der Universität Wien beschäftigt sich in einem FWF-Projekt mit der Grammatik des Kanuri.
"Viele Sprachbeschreibungen funktionieren für Englisch, Deutsch oder Französisch, nicht aber für außereuropäische Sprachen. Aus diesem Grund galten afrikanische Sprachen lange als 'primitiv'", erklärt Norbert Cyffer von der Universität Wien. Mit diesem Vorurteil möchte er nun vollends aufräumen: Gemeinsam mit Akin Wewe, Doktorand am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien, und den Kollegen Umara Bulakarima und Andrew Haruna von der nigerianischen University of Maiduguri arbeitet er derzeit an einer wissenschaftlichen Grammatikbeschreibung der westafrikanischen Sprache Kanuri. "Diese Regionalsprache wird im Nordosten Nigerias, in Kamerun, Niger und im Tschad gesprochen", so Cyffer.
Das Bild zeigt das internationale Forscherteam um Norbert Cyffer. Die Wissenschafter arbeiten gemeinschaftlich – mit Hilfe von Skype, E-Mail und Gastaufenthalten – an der grammatikalischen Erfassung des Kanuri. Hier zu Besuch in Wien (von links nach rechts): Andrew Haruna (University of Maiduguri, Nigeria), Norbert Cyffer (Universität Wien), Umara Bulakarima (University of Maiduguri, Nigeria) und Akin Wewe (Universität Wien) |
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Weit verbreitet und doch vernachlässigt
Weltweit sprechen etwa fünf Millionen Menschen Kanuri – zum Vergleich: Ebenso hoch ist die Anzahl der Personen, die Finnisch beherrschen – und dennoch ist die Sprache in der Wissenschaft vernachlässigt. "Das Kanuri ist über 1.500 Jahre alt", schätzt Norbert Cyffer. "In Afrika haben wir allerdings das Problem der Dokumentation: Quellen überlebten nur selten. Die meisten der wenigen Grammatikbeschreibungen stammen von europäischen Missionaren aus dem 19. Jahrhundert, die das Kanuri für ihre Zwecke nutzen wollten", erklärt Projektmitarbeiter Akin Wewe.
Kanuri auf 700 Seiten
Eine zeitgemäße Beschreibung braucht eine zeitgemäße Herangehensweisen: "Wir wollen das Kanuri nicht mit unseren 'eingepaukten' theoretisch-linguistischen Methoden untersuchen, sondern aus der Sprache heraus linguistische Kategorien entwickeln. Wir brauchen Vokabular, das die Sprache adäquat beschreibt", so Cyffer über sein ambitioniertes Vorhaben.
Dazu studieren die Forscher der Universität Wien und der University of Maiduguri zum einen Kanuri-Texte, zum anderen interviewen sie Kanuri-SprecherInnen: "Wir können die ProbandInnen nicht gezielt nach grammatischen Strukturen fragen, sondern arbeiten stattdessen mit konkreten Beispielen. Wir bilden Konstruktionen und fragen unterschiedliche Personen, 'ob es sich korrekt anfühlt'", erklärt Cyffer. Das Endprodukt dieser Bemühungen wird ein 700 Seiten starkes Werk über die Kanuri-Grammatik sein.
Bewusstsein für die eigene Sprache
"Sprachen beeinflussen sich gegenseitig. Und in Afrika werden mehr Sprachen gesprochen als im gegenwärtigen Europa – allein in Nigeria allein gibt es um die 500. Die SprecherInnen übernehmen nicht nur das Lexikon, sondern auch grammatikalische Strukturen anderer Sprachen. In Afrika ist es ganz normal, dass Menschen bi- oder trilingual sind – auch ohne formale Schulbildung", erzählt der Kanuri-Experte.
Aufgrund der sprachlichen Vielfalt ist Englisch – ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft – Amtssprache in Nigeria. An Schulen und Universitäten wird in Englisch gelehrt; die aktuelle Sprachpolitik zielt aber auf frühen Unterricht in der jeweiligen Regionalsprache: "In einem Vorgänger-Projekt haben wir Lehrkräfte vor Ort ausgebildet, um ihren Unterricht in Kanuri zu gestalten – und ein Bewusstsein für die eigene Sprache zu vermitteln."
Das Bild zeigt Norbert Cyffer (hintere Reihe, Mitte) bei einem linguistischen Workshop an der University of Maiduguri. "Ursprünglich war geplant, dass wir jährlich nach Nigeria reisen, doch aufgrund der politischen Situation vor Ort ist es momentan nicht möglich", bedauert der Afrikanist. |
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Vom Märchen zur SMS
Die Kanuri-Gesellschaften sind muslimisch und das Arabische – die Sprache des Korans – wurde lange zur schriftlichen Kommunikation verwendet. "Mittlerweile wird aber immer mehr in Kanuri geschrieben: Märchen und Sagen werden verschriftlicht, es entstehen Krimis, Biografien, Reise- und Sachbücher", so Cyffer. "Und mit der Verbreitung der 'neuen Medien' entwickelt sich aktuell – gerade unter den jungen SprecherInnen – eine innovative Internet- und SMS-Version des Kanuri", berichtet der Afrikanist über sein langjähriges Forschungsfeld.
"In the year, when the Resident, the Representative of the King of England, had come to the country of Borno, he went to the Shehu’s palace to pay a courtesy call to the Shehu …" – Mustapha Ganyes heitere Erzählung beschäftigt sich mit Kolonialismus und Gesellschaft in Nigeria. (Foto: 1.000 Jahr-Feier des Königreichs Borno) |
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Früher und heute
Norbert Cyffer hat insgesamt zwölf Jahre in Nigeria gelebt und selbst Kanuri gelernt: "Ich kann mich ausdrücken, bin aber noch lange nicht vollendet." Der deutsche Forscher hat Afrikanische Linguistik an der Universität Hamburg studiert und sich dort von der Nigeria-Leidenschaft seines Professors anstecken lassen. "Ich bin nach meinem Studienabschluss nach Nigeria gegangen und habe dort an verschiedenen Universitäten unterrichtet. Es war eine gute Zeit, in der sich sprachpolitisch viel getan hat", erinnert sich der mittlerweile emeritierte Professor zurück. "Ein 'weißer Kanuri-Sprecher' fiel und fällt in Nigeria auf, aber die Menschen schätzen unsere Arbeit und haben ein großes Bedürfnis, ihre eigene Sprache wissenschaftlich aufzuarbeiten – das motiviert mich, früher und heute." (hm)
Das FWF-Projekt "Grammatik Verstehen und Missverstehen" von emer. o. Univ.-Prof. Dr. Norbert Cyffer und Mag. Akin Wewe vom Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien sowie Prof. Dr. Andrew Haruna und Prof. Dr. S. Umara Bulakarima von der University of Maiduguri läuft seit 1. Dezember 2012 bis zum 30. November 2015.