Homoacceptance versus Homophobie

In der Popkultur spürt Amerikanistin Katharina Wiedlack Gesellschaftsdiskurse auf. Ihre These: US-Werte wie Toleranz und Homoacceptance werden in Abgrenzung zu Russland konstruiert. Mit uni:view spricht sie über ihr aktuelles Projekt – und warum mit Donald Trump (vielleicht) alles anders wird.

2013 stellt Russland die "homosexuelle Propaganda" unter Verbot: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden nicht anerkannt, positive Äußerungen über solche im Internet oder in Anwesenheit von Minderjährigen mit Verwaltungsstrafen geahndet. US-Medien reagieren auf Putins Gesetze entsetzt: Fotos von verletzten Körpern, die in Russland anti-homosexuelle Gewalt erlebten, flimmern über die Bildschirme; gleichzeitig wird Solidarität mit der russisch-feministischen KünstlerInnengruppe Pussy Riot verkündet.

Für die USA ein guter Zeitpunkt, sich als modern und offen zu präsentieren, merkt Amerikanistin Katharina Wiedlack an. Kurz vor dem russischen Gesetzeserlass wurde die "Homo-Ehe" in allen US-Bundesstaaten eingeführt und die polarisierende "Don't ask, don't tell"-Klausel abgeschafft: SoldatInnen dürfen sich seit 2012 auch im Militär zur Homosexualität bekennen.

Zurück zum "evil empire"

Inmitten dieses Spannungsverhältnis nimmt die Wissenschafterin mit Hang zur Popkultur ihre Forschung auf, erst in New York, dann an der Universität Wien. Im Rahmen eines Hertha-Firnberg-Projekts am Institut für Anglistik und Amerikanistik untersucht sie seit 2013, wie inneramerikanische, progressive Diskurse in Abgrenzung zu Russland thematisiert werden – und welche eben nicht: "Medial wird Russland als 'evil empire' dargestellt, welches Homosexuelle, Frauen oder Menschen mit Behinderung unterdrückt. Im Kontrast dazu werden moderne US-Werte präsentiert: Homoacceptance, Toleranz und Offenheit", erklärt sie: "Themen wie rassialisierte Diskriminierung, die in den USA nicht erst seit Ferguson ein Problem ist, wird wiederum nicht im Russland-Vergleich angeführt."  

Bei der medialen Konstruktion werden oft Motive aus der Zeit des Kalten Kriegs hervorgeholt: "turning back the clock", altmodisch, rückständig – Attribute, die für das post-sowjetische Russland noch immer verwendet werden. All das sind erste Ergebnisse von Wiedlacks intersektionalen Diskursanalyse: Seit Projektbeginn untersucht die Cultural Studies-Forscherin News und Popkultur auf Russland-Darstellungen im Kontext von Diskriminierung(en).

TV-Serien als Untersuchungsgegenstand

Ein Beispiel aus der Forschungspraxis: Die Dramedy-Serie "Orange is the new black" gibt Einblick in ein US-Frauengefängnis, en passant werden Homosexualität und Diversität thematisiert. Für Katharina Wiedlack ein gefundenes Untersuchungsobjekt: "Die Serie ist so spannend, weil sie die USA nicht glorifiziert, durchaus aber die modernen Werte."

Wiedlack analysiert die Figur der Red, einer russischen Immigrantin erster Generation. "Schon ihr Körper ist als slawisch rassialisiert, als 'anders' markiert: eine stämmige Arbeiterin mit starker Persönlichkeit und Hang zur Emotionalität – so das Klischee", erklärt sie. Ihre These: "Red repräsentiert das anti-homosexuelle Russland, wie es in aktuellen Diskursen dargestellt wird. Daher kann sie in der Serie auch kein homosexuelles Begehren empfinden." (Foto: Screenshot aus der Serie "Orange is the new black")

Widerstand ja, aber anders

"Natürlich herrscht in Russland (auch) ein repressives System und Widerstand ist problematisch", lenkt Wiedlack ein: "Aber die mediale Inszenierung lässt wenig Raum, um eine Perspektive der in Russland aktiven LGBTS zu zeigen." Die zivile Bevölkerung hat auch in Russland eine Handlungsmacht, nur hat Widerstand andere Formen, als im westlichen Kontext: "Eine Pride Parade ist nicht unbedingt eine Maßnahme, die in Russland ergriffen wird, wohl aber Community Building, Aufklärungsarbeit oder der Dialog mit lokalen PolizistInnen, um Festivals etc. zu veranstalten."

Problematisch ist, dass "der Westen" vorgibt, wie aktivistischer Widerstand auszusehen hat, denn: "Das 'Russland Shaming' von oben herab empfinden viele AktivistInnen vor Ort eher als kontraproduktiv. Der Mainstream oder der Staatsapparat reagiert darauf schnell mal mit Abwehr à la 'Wir wollen eure Rezepte nicht, wir haben unsere eigenen!'", berichtet Wiedlack, die sich selbst in der LGBT-Community engagiert und mit vielen russischen AktivistInnen zusammenarbeitet.

Und dann kam Trump


"Diese Abwehrstrategie ist nicht genuin russisch, sondern lässt sich auch in den USA beobachten", so Wiedlack und leitet zur aktuellen, politischen Lage in den USA über: "Wir wollen uns von den Eliten nicht sagen lassen, was zu tun ist" – dieser Diskurs ist auch in den USA stark präsent und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. "Es wird jedoch komplett ignoriert, dass er als Multimillionär und Teil der privilegierten 1% nicht das Wohl der 'working class' im Sinn hat", gibt Wiedlack zu Bedenken.

Was für die Cultural Studies-Forscherin nun interessant ist: Trumps positive Einstellung zu Russland und die mediale Ausverhandlung, beispielsweise seiner Aussage gegenüber Fox News, dass Putin zwar möglicherweise ein 'killer' sei, die USA jedoch auch zahlreiche dieser 'killer' hätten: "You think our country's so innocent?".

Die Medien stehen Trumps freundlicher Russlandeinstellung mehr als kritisch gegenüber. Sie nehmen überwiegend die konträre Position ein und warnen vor der Verbündelung mit Russland und nutzen die weitverbreitete Kritik an oder sogar Furcht vor Russland, um gegen Trump Stimmung zu machen. Die progressive News-Seite "The Daily Beast" tituliert, dass Putin die Pläne von Trump besser kenne als US-Behörden, in "The Late Night Show" tauschen Putin und Trump als Cartoon-Figuren einen Zungenkuss aus und auch in einer Folge von "The Simpsons" wird die Trump-Putin-Beziehung aufgegriffen.



In der Simpsons-Folge "Homer Votes 2016" macht Putin mit Maske und Red Sox-Trikot getarnt Werbung für Trump. Vergeblich: Homer ist Clinton-Anhänger, denn diese hat ihrem Ehemann ja alles verziehen. Schließlich reißt Homer Putin die Maske vom Gesicht und entlarvt ihn: Putin darf dennoch wählen, Homer allerdings scheint nicht im Wählerregister auf. "Fraud, Hacking, Putin als Einflüsterer für Trump – hier werden aktuelle Diskurse popkulturell verarbeitet", so Wiedlack.

Eine ungewisse (Projekt-)Zukunft

Inklusiv, homophil, divers: Obama stand stark hinter den liberalen US-Werten und hat sich für diese eingesetzt. Das wird sich mit Donald Trump ändern – davon ist Katharina Wiedlack überzeugt und Trumps ersten Amtswochen haben es bereits gezeigt. Mit der politischen Neuausrichtung wird sich auch das Forschungsprojekt der Amerikanistin in eine bis dato unbekannte Richtung entwickeln. Für Katharina Wiedlack ist aber momentan die Frage zentraler, wie sich der neue Kurs auf z.B. Asylansuchende auswirken wird, die aufgrund homosexueller Diskriminierung aus ihrer Heimat fliehen mussten: "Das geht dann über die kulturwissenschaftliche Ebene hinaus und kann reale Konsequenzen für Menschenleben haben." (hm)

Das Hertha Firnberg-Projekt "Der Blick gen Osten: US-Identität, Westliche Werte und Russische Verletzliche Körper" von Mag. Dr. Maria Katharina Wiedlack vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien läuft vom 1. Oktober 2015 bis zum 30. September 2018.