Gefangen in der Blume

Blumen aus der Familie der Aronstabgewächse (Araceae) gaukeln Insekten einen Brutplatz vor – und halten sie bis zur Bestäubung in ihrem Kessel gefangen. WissenschafterInnen der Universität Wien veröffentlichen nun neue Ergebnisse zur Evolution der Kesselfallenblumen.

Aronstabgewächse und ihre Bestäuber entsprechen nicht dem klassischen Bild von "Bienchen und Blümchen" – im Gegenteil: "Entgegen der gängigen Vorstellung von 'Blumenliebe', die Blüten und Insekten verbindet, werden die Bestäuber bei den Aronstabgewächsen getäuscht und noch dazu in Kerkerhaft genommen", so David Bröderbauer vom Department für strukturelle und funktionelle Botanik der Universität Wien. In einer aktuellen Publikation im American Journal of Botany zeigen er und Anton Weber gemeinsam mit der britischen Kollegin Anita Diaz (Universität Bournemouth), dass diese Fallenblumen in der Evolution der Aronstabgewächse (Araceae) nicht nur einmal, sondern mindestens zehnmal entstanden sind. Dabei entwickelten die Aronstab-Gewächse eine Vielzahl von Mechanismen, die die Gefangennahme der Bestäuber ermöglichen.

Kotgeruch statt Blumenduft


"Um die bevorzugten Bestäuber, also Aasfliegen, Pilzmücken und Mistkäfer anzulocken, produzieren die Aronstabgewächse Kot- und Aasdüfte", erklärt Bröderbauer: "Einige Arten bilden sogar Pilzkörper nach. Dadurch gaukeln sie den Insekten einen Brutplatz zur Ablage ihrer Eier vor". Sobald die Insekten die Täuschung erkennen, versuchen sie die Blume wieder zu verlassen. Um das zu verhindern, entwickelten die Araceae aus einem Hochblatt einen Kessel, der den Blütenkolben umschließt und mit rutschigen Wänden ("Gleitflächen") ausgekleidet ist.


Das Bild zeigt die 500-fach vergrößerte Gleitfläche des Aronstabgewächses Arum concinnatum. Versuchen die Insekten darauf zu landen, rutschen sie aus und fallen in den Kessel. So kommen sie mit dem Blütenkolben in Berührung und bestäuben die Blüten. Erst nachdem die Bestäubung erfolgt ist, verwittern die rutschigen Oberflächen und die Insekten werden freigelassen.


 
Falltüren, Tore, Gitterstäbe

Mit Hilfe von hochauflösenden Mikroskopen untersuchten das Team der Universität Wien im Labor jene Strukturen, die das Ausrutschen und die Gefangennahme der Bestäuber bewirken. So entdeckten die Forscher eine Vielzahl von unterschiedlichen Fallenblumen. Denn nicht alle Kesselfallenblumen funktionieren wie Rutschen und besitzen Gleitflächen. Manche Arten haben einen Türmechanismus – sie verschließen einfach den aus einem Hochblatt gebildeten Kessel, der die Blüten umgibt, und öffnen erst wieder nachdem die Insekten im mit dem Blütenstaub im Kessel eingestäubt wurden.

Bei anderen Arten wächst der Blütenkolben innerhalb eines Tages aus dem Kessel heraus. Die Insekten nutzen ihn wie eine Leiter und können dadurch aus dem Kessel entkommen, nachdem sie die Blume bestäubt haben. "Und manche Arten, wie der auch bei uns in Österreich heimische gefleckte Aronstab, besitzen Sperrhaare die den Kesselausgang wie Gitterstäbe einer Gefängniszelle versperren."

Von der Brutkammer zur Kesselfalle

Mithilfe von molekularen und statistischen Analysen konnten Bröderbauer und Weber die Entstehungsgeschichte der Fallenblumen innerhalb der Aronstabgewächse rekonstruieren. Die Vorfahren vieler Kesselfallen wurden durch Fliegen bestäubt. Die Wissenschafter vermuten, dass die Eigenart vieler Fliegen, nicht lange auf Blüten zu verweilen, das Entstehen von Fallen begünstigt hat. Denn je kürzer eine Fliege auf der Blüte bleibt, desto unwahrscheinlicher ist die erfolgreiche Bestäubung.

Außerdem sind viele Fliegen gute "Kletterer", denen es keine Probleme bereiten würde, aus einem einfachen Kessel zu entkommen. Darüber hinaus lebten die Vorfahren einiger Kesselfallenblumen in Symbiose mit ihren Bestäubern: Manche Fliegen erhielten tatsächlich als Belohnung für die Bestäuberdienste einen Brutplatz in der Blume, und ihre Larven konnten sich dort ungestört entwickeln. "Durch diese enge Beziehung ist es  zu vielen Anpassungen der Pflanze an Fliegen gekommen", so Bröderbauer: "Die wichtigste dieser Anpassungen war das Entstehen eines Brutkessels." Als einige Aronstabgewächse dann dazu übergingen, Mistkäfer und Aasfliegen anzulocken und ihnen den Brutplatz nur vorzutäuschen, bedurfte es dann nur noch geringer Veränderungen –  und aus einer Brutkammer wurde eine Kesselfalle.

Beziehung zwischen Blüte und Bestäuber


Wechselseitige Beziehungen zwischen Blüten und Bestäubern sind nicht stabil sondern dynamisch. Wie das Beispiel der Aronstabgewächse zeigt, kann Ausbeutung der Bestäuber durch Blumen schneller und öfter entstehen als bisher angenommen. David Bröderbauer: "Obwohl wir schon wussten, dass es mehrere Kesselfallenblumen bei den Aronstabgewächsen gibt, hat uns die große Anzahl von Arten, die diese Fallen unabhängig voneinander entwickelt haben, sehr überrascht. Eine Vielzahl von Voranpassungen ermöglichte es den Blumen der Aronstabgewächse, sich an verschiedene Bestäuber anzupassen und neue, erfolgreiche Fortpflanzungsstrategien zu entwickeln."

Das Paper "Reconstructing the origin and elaboration of insect-trapping inflorescences in the Araceae" (AutorInnen: David Bröderbauer, Anita Diaz und Anton Weber) erschien in der Oktober-Ausgabe des "American Journal of Botany" (Volume 99, Number 10, Seiten 1666-1679). Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen des dreijährigen FWF-Projekts "Evolution und Funktionalisierung der Kesselfallen in Araceae" (Leitung: Univ.-Prof. i.R. Dr. Michael Hesse) durchgeführt.


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