Galaxien am Computer nachbauen
| 02. Februar 2012Wissenschafter der Universität Wien und des National Astronomy Observatory of China (NAOC) der Chinesischen Akademie der Wissenschaften modellieren die Entstehung einer Galaxie am Computer.
Die Dimensionen der astronomischen Objekte – Sterne und Galaxien –, die in der Gruppe um Gerhard Hensler, Dekan der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie, erforscht werden, sind für das normale menschliche Vorstellungsvermögen schwer fassbar. Alleine die Milchstraße, die "Heimatgalaxie" unseres Planetensystems, misst im Durchmesser rund 100.000 Lichtjahre und beherbergt 100 Milliarden Sterne und wahrscheinlich zig Millionen Planetensysteme wie das unsere. "Die einzige Möglichkeit, Galaxien und ihre permanenten Veränderungsprozesse zu beschreiben, ist die Simulation bzw. Modellierung am Computer. Und diese wollen wir im Zuge der neuen Kooperation mit China optimieren", erklärt Hensler.
Österreichisch-chinesisches Kooperationsprojekt
Im Rahmen des österreichisch-chinesischen Forschungsvorhabens "High-Performance Computational Astrophysics" wird nun die Entwicklung und Anwendung eines numerischen Codes, dem "chemo-dynamischen Mehr-Phasen smoothed particle hydrodynamic Code" (cdSPH), auf die Entstehung und Entwicklung von Zwerggalaxien durchgeführt.
"Das erfordert Berechnungen auf Hochleistungscomputern und gegenseitige Kooperationsbesuche", so Hensler, der das Projekt gemeinsam mit Rainer Spurzem vom National Astronomical Observatoriy (NAOC) der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Beijing (zeitweise auch Universität Heidelberg) leitet. Weiters ist der Astrophysiker Weipeng Lin, Professor am NAOC in Shanghai, ein weiteres Institut der Akademie, beteiligt. Unterstützt werden sie dabei von einem der weltweit größten Rechen-Cluster für Graphical Processing Units (GPU) in Beijing und vom schnellsten Rechner Österreichs, dem Vienna Scientific Cluster.
Die numerische Behandlung einer Galaxie
Als Ausgangspunkt für die computergestützte astrophysikalische Forschung dienen Objekte im All, die nur durch Teleskope betrachtet werden können. Diese Beobachtungen werden am Computer "nachgebaut", um beide – Realität und Modell – miteinander zu vergleichen. Hierzu ist es notwendig, die Komponenten der Galaxien – Gas, Sterne und, falls existent, Dunkle Materie – so detailliert wie möglich zu beschreiben.
Da eine Galaxie von ihrer Umgebung beeinflusst wird, also mit anderen Galaxien wechselwirkt oder extragalaktisches Gas einfängt, muss in numerischen Simulationen eine Dimension von weit mehr als 100.000 Lichtjahren "überschaut" werden, während die Sternentstehung in "kleinen" Gaswolken von wenigen bis zu zig Lichtjahren Durchmessern vorkommt.
Gerhard Hensler erklärt, wie diese komplexen Systeme am Computer erforscht werden: "Zuerst bereiten wir die Galaxienbedingungen für den Computer vor. Dazu zerteilen wir sie in ihre Komponenten, repräsentiert durch Millionen von Massenpaketen. Dann geben wir die sie beeinflussenden inneren und äußeren Kräfte und Prozesse ein, wie etwa Gravitation, Abkühlung, Erwärmung oder Gaszusammensetzung und die Wechselwirkungen zwischen ihnen, wie Sternentstehung und stellaren Massenverlust."
Anschließend werden die Bereiche oder Teilchen für einen begrenzten Zeitschritt auf die Prozessoren des Computers verteilt, entsprechend den Kräften und Prozessen durchgerechnet und danach mit allen anderen wieder verbunden, so der Professor weiter: "Dadurch werden die globalen Einflüsse der einzelnen Bereiche ermittelt, bevor alles wieder parallel auf die Prozessoren verteilt wird. Der jeweilige Status des Modells ist während des Rechenvorgangs jederzeit abrufbar." Am Schluss steht das fertige Modell der Entwicklung einer Galaxie.
Vienna Scientific Cluster (VSC)
Der Vienna Scientific Cluster, der schnellste Rechner Österreichs, wird von der Gruppe um Hensler für große Modellrechnungen mit hoch-parallelisierten Gitterverfahren genutzt und "ist in allen seinen bisherigen Ausbaustufen eine immense Hilfe bei der Bewerkstelligung von High-performance Computing (HPC)". Der Supercomputer wurde im Herbst 2009 von der Universität Wien, der Technischen Universität und der Universität für Bodenkultur in Betrieb genommen, 2011 wurde die Ausbaustufe VSC2 eröffnet.
"In den Grafikkarten normaler PCs befinden sich allerdings auch bereits sehr leistungsfähige Prozessoren, sogenannte Graphical Processing Units (GPU), die zwar weniger 'intelligent' sind, beim Zusammenfassen zu einem Cluster, aber unschlagbar schnell", so Hensler.
Zusätzliche Rechenleistung in China
Am National Astronomical Observatory of China (NAOC) der Chinese Academy of Sciences (CAS) in Beijing wurde 2009 einer der schnellsten GPU-Cluster mit 171 GPUs (bei 1.368 sogenannten Threads) für nur rund 5 Mio. Yuan installiert, der 2011 für seine Leistung von 50 Teraflops (das sind 50.000 Mrd. floating-point Operationen pro Sekunde) mit dem "PRACE Award of the International Supercomputing Conference ISC11" ausgezeichnet wurde. Zusätzlich haben die projektbeteiligten Wissenschafter aus Beijing Zugriff auf das Mole-8.5-System am Institute of Process Engineering (IPE, CAS) mit über 2.000 GPUs, die eine Leistung im Petaflop-Bereich erzielen. (vs)
Das chinesisch-österreichische Kooperationsprojekt "High-Performance Computational Astrophysics" wird im Rahmen des Austauschprogramms für Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit (WTZ) vom Österreichischen Austauschdienst (OeAD) und dem chinesischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie durchgeführt.