Flüssige Körperbilder

Wie interagieren Körper und Geist - oder was hält Leib und Seele zusammen? Bereits seit der Antike beschäftigt sich die abendländische Philosophie mit dem "Leib-Seele-Problem", das sich in unterschiedlichen Körpervorstellungen manifestiert. Die Romanistin und Elise-Richter-Stipendiatin Marlen Bidwell-Steiner vergleicht im Rahmen des vierjährigen FWF-Projekts "Beharrliche Leiblichkeit" frühneuzeitliche Körperkonzepte mit postfeministischen Körpermodellen.

Das Zusammenspiel zwischen Körper und Geist bzw. Form und Materie wurde in der Geschichte immer wieder thematisiert. "Diesen diskursiven Wiedergänger beschreibt auch der Titel meines Forschungsprojekts 'Beharrliche Leiblichkeit'", erklärt Marlen Bidwell-Steiner vom Institut für Romanistik. Seit März 2010 untersucht die Elise-Richter-Stelleninhaberin, wie Körpermodelle in der frühen Neuzeit beschrieben wurden - hauptsächlich in den Mittelmeerländern Spanien, Italien und Frankreich - und vergleicht sie mit postfeministischen Körperkonzepten der Gegenwart.

Revolutionäre Ansätze

Im 16. Jahrhundert war die Medizin noch kein eigenständiger Wissenschaftsbereich, sondern Teil der Naturphilosophie, weshalb sich Bidwell-Steiner vor allem anhand naturphilosophischer Texte in die Welt der Renaissance begibt. Zu jener Zeit galt die Humoralpathologie, die sogenannte Säftelehre, als Leitvorstellung medizinischer Körperbilder. "Die frühe Neuzeit war von der Vorstellung geprägt, dass verschiedene Körperflüssigkeiten den menschlichen Organismus und das menschliche Leben konstituieren", erklärt die Wissenschafterin.

Die von ihr untersuchten AutorInnen des 16. Jahrhunderts gehen von der Seele als Steuerungsorgan des menschlichen Körpers aus: "In dieser Konzeption reguliert die Seele als feinstofflicher Spiritus sowohl Kognition und Sinneswahrnehmung als auch den Stoffwechsel des Körpers", so die Romanistin und Genderexpertin. In diesem Ansatz ortet sie feministisches Potenzial: "Auf diese Weise werden die Hierarchien innerhalb des Körpers nivelliert - die Vorstellung, dass es wertvollere und weniger wertvollere Funktionen des menschlichen Körpers gibt, wird tendenziell aufgehoben."

Verkörperter Geist

Ähnlich wie im 16. Jahrhundert - als Körpervorstellungen nicht über Organe bzw. Körperteile gedacht wurden, sondern als flüssiges Konzept - geht auch die heutige Neurophysiologie wieder verstärkt dazu über, den Körper als Netzwerk, bzw. als ein "verflüssigendes Modell" von Körperfunktionen, zu begreifen: "Während noch vor zehn bis 15 Jahren der Fokus auf den Organen und später auf den Genen lag, argumentieren heutige Embodiment-Theorien verstärkt über Hormone sowie deren neuronale Wirkungen", so die Forscherin.

Dieses Denken in Netzwerken und nicht in Hierarchien stellt eine wichtige Parallele zwischen den beiden Epochen - der frühen Neuzeit und der Gegenwart - dar. "Die Materialisierung des Geistes ermöglicht geschlechteregalitäres Denken", erklärt Bidwell-Steiner, die lange Zeit Leiterin des Referats Genderforschung war. "Die Trennung von Körper und Geist lässt Hierarchien entstehen: Der Geist, der innerhalb der abendländischen Kultur parallel zum männlichen Prinzip geführt wird, gilt demzufolge als höherwertig", fährt die Wissenschafterin fort und betont, dass erst die Beseitigung dieser Hierarchien beweglichere Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit erlaubt: Neuere feministische Embodiment-Ansätze argumentieren ähnlich.

Aus alt wird neu

"Wissenschaftsgeschichte bewegt sich nicht kontinuierlich ins Bessere", glaubt Bidwell-Steiner: "Einige vielversprechende Ideen der Vergangenheit wurden aufgrund soziologischer oder politischer Rahmenbedingungen einfach wieder vergessen." In ihrem vierjährigen Elise-Richter-Projekt will sie deshalb zeigen, wie sich vermeintlich überholte philosophische Paradigmen in einem neuen Kontext wiederfinden, rezipiert, verarbeitet und teilweise wieder verfremdet werden. (ps)

Im Rahmen einer Elise-Richter-Stelle forscht Mag. Dr. Marlen Bidwell-Steiner vom Institut für Romanistik und vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie zum Thema "Beharrliche Leiblichkeit". Das FWF-Projekt läuft von März 2010 bis Februar 2014.