Finno-ugrisches "Vitalitätsbarometer"
| 01. März 2011Insgesamt 14 finno-ugrische Minderheitensprachen stehen im Mittelpunkt des EU-Projekts ELDIA, darunter Meänkieli in Schweden, Nord-Sámi in Norwegen, Wepsisch in Russland oder Ungarisch in Österreich. Ziel des interdisziplinären Projekts, an dem acht Universitäten aus sechs europäischen Ländern beteiligt sind, ist die Entwicklung eines "Vitalitätsbarometers" für Minderheitensprachen. Im Rahmen von ELDIA erforscht ein Team der Universität Wien unter der Leitung von Johanna Laakso das vielseitige Ungarisch in Österreich.
Die linguistische Landschaft Europas befindet sich im Wandel: "Durch die EU ist eine neue Mobilität entstanden", erklärt Johanna Laakso von der Abteilung Finno-Ugristik: "So hat sich auch die Einstellung zur Mehrsprachigkeit in den letzten Jahren zum Positiven gewandelt. Es herrscht ein Konsens darüber, dass die Pflege der Muttersprache ebenso wichtig ist wie das Erlernen der jeweiligen Landessprache."
Welche Auswirkungen diese neue Mobilität in Europa gerade auf Minderheitensprachen hat, ist eine der Forschungsfragen im EU-Projekt ELDIA (European Language Diversity for All). Dabei werden 14 finno-ugrische Minderheitensprachen aus interdisziplinärer Perspektive untersucht – die teilnehmenden WissenschafterInnen kommen aus den Bereichen der angewandten Sprachwissenschaft, der Soziolinguistik, der Rechtswissenschaft, der Soziologie sowie der Statistik.
"Die finno-ugrischen Sprachen eignen sich deshalb besonders gut zur Erforschung, weil sie ein großes Spektrum von ökologisch-geografischen und sozio-politischen Verhältnissen abdecken", so Laakso: "Weiters sind sie in der Forschungslandschaft bis dato stark unterrepräsentiert, da meistens die gleichen Sprachen zitiert werden, sobald es um das Thema Minderheitensprachen geht – wie etwa Friesisch und Katalanisch."
Weiße Flecken in der Sprachlandschaft
Nach einem Jahr Projektarbeit – ELDIA startete im März 2010 – konnten die ForscherInnen kürzlich einen wichtigen Meilenstein erreichen: den Abschluss der Kontextanalysen. Dabei "durchkämmten" sie bestehende Fachliteratur und Studien, um sich ein umfassendes Bild vom aktuellen Forschungsstand zu machen. "Wir fanden heraus, dass bezüglich finno-ugrischer Minderheitensprachen noch viele 'weiße Flecken' existieren", sagt Johanna Laakso: "Während es zu den Minderheiten oft ethnographisches Material gibt, etwa zu UngarInnen in Österreich oder den estnischen Minderheiten Võro und Seto an der estnisch-russischen Grenze, finden sich zum aktuellen Sprachgebrauch nur wenig Informationen. Diese Löcher wollen wir in den nächsten Jahren Projektarbeit 'stopfen'."
Herausforderung Feldforschung
Mittels Feldforschungen vor Ort wollen die WissenschafterInnen einen umfassenden Ist-Stand erheben. Die ProbandInnen werden u.a. gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, zudem führen die ForscherInnen Einzel- und Gruppeninterviews mit den SprecherInnen durch.
Weitere Daten, wie u.a. die Verbreitung der Sprache, die SprecherInnenanzahl bzw. ihre Wohnorte, erhalten die Projektteams von den statistischen Behörden der jeweiligen Staaten. "In manchen Ländern ist das kein Problem, andere wie etwa Schweden dürfen diese Informationen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht herausgeben. Auch in Österreich ist die Datenherausgabe nicht so einfach. Hier arbeiten wir dafür mit verschiedenen ungarischen Organisationen sehr gut zusammen ", erklärt die Finno-Ugristin: "In unseren jeweiligen Teams forschen auch viele junge WissenschafterInnen, die besonders engagiert in der Feldforschung sind und dadurch die Möglichkeit bekommen, in einem großen EU-Projekt mitzuarbeiten und sich zu vernetzen."
Die Vitalität einer Sprache messen
Das ehrgeizige Ziel des Projekts ist die Erstellung eines sogenannten "Vitalitätsbarometers" zu Minderheitensprachen. Das "European Language Vitality Barometer" (EuLaViBar) soll prinzipiell nicht nur für finno-ugrische Sprachen funktionieren, sondern generell für europäische Minderheitensprachen; es ist ein Gradmesser für den aktuellen Stand und das Ausmaß der Gefährdung – in etwa vergleichbar mit der "Roten Liste gefährdeter Arten".
"Wir verstehen darunter eine Art Handbuch beziehungsweise einen Leitfaden zur Lage von Minderheitensprachen, der nicht nur für SprachwissenschafterInnen interessant ist, sondern besonders auch für politische EntscheidungsträgerInnen." Dabei ist es der Sprachwissenschafterin wichtig zu betonen, dass innerhalb von ELDIA keineswegs im nationalen Rahmen geforscht wird: "Gerade Minderheitensprachen lassen sich nicht an staatlichen Grenzen festmachen, da sie immer länderüberschreitend sind." (td)
Die Abteilung Finno-Ugristik der Universität Wien nimmt unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Johanna Laakso an dem EU-Projekt ELDIA ("European Linguistic Diversity for All") teil, an dem insgesamt acht Universitäten aus sechs EU-Ländern – Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (D), University of Helsinki (FIN), Universität Wien, Stockholm University (S), University of Tartu (EST), The Åland Islands Peace Institute (FIN), University of Oulu (FIN), University of Maribor (SLO) – beteiligt sind. Das Projekt läuft von März 2010 bis März 2013; die Abschlusskonferenz wird 2013 in Wien stattfinden.