Die dunkle Seite der Globalisierung
| 28. Januar 2011Durch Online-Propaganda zum Dschihadismus: Neben den "klassischen" Ausbildungslagern verbreiten heute vermehrt moderne Kommunikationskanäle – wie das Internet – das ideologische Gerüst des Dschihadismus. Die neue Generation der radikalislamischen KämpferInnen ist in ein globales Netzwerk eingebunden und Teil einer Jugendkultur. In einem FWF-Projekt untersucht der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker dschihadistische Webseiten und zeichnet dabei die gängigen Rekrutierungsstrategien nach. Am Freitag, 4. Februar 2011, stellt er sein Projekt im Rahmen einer Konferenz über Dschihadismus-Forschung am Institut für Orientalistik vor.
Dschihad bedeutet "Anstrengung auf dem Wege Gottes". Während die meisten MuslimInnen unter dem Begriff die friedliche Anstrengung zur Selbstverbesserung verstehen, interpretiert eine kleine Minderheit den Dschihad als militärischen Kampf auf dem Wege Gottes."Dabei geht es faktisch um terroristische Anschläge, die religiös legitimiert werden", erklärt Rüdiger Lohlker vom Institut für Orientalistik.
Zusammen mit vier ProjektmitarbeiterInnen in Wien, Rom und Berlin durchforscht er das Internet nach terroristischen Webseiten, die islamistisch motiviert sind. Im Rahmen des Projekts "Dschihadismus online" will der Wissenschafter die Propaganda und Überzeugungsstrategien im Netz – die dazu dienen, neue Anhänger zu motivieren und zu rekrutieren – analysieren.
Androzentristisches Weltbild
Der Religionswissenschafter beschreibt den Dschihadismus als eine moderne Erscheinung, die strukturelle Ähnlichkeiten mit terroristischen Bewegungen auf der ganzen Welt aufweist: "Egal ob diese nationalistisch, links- oder rechtsradikal eingestellt sind – es bestehen oft verblüffende Ähnlichkeiten", betont Lohlker. So werden im Dschihadismus – analog zum Rechtsradikalismus – Frauen in erster Linie als Bedrohung wahrgenommen. Es handelt sich somit im Wesentlichen um ein männliches Phänomen. "Interessanterweise verfügen lokale Gruppen, wie die Hamas in Palästina oder die Hisbollah im Libanon, über einen weit größeren Anteil an Frauen, die Attentate begehen, als transnationale Gruppen", fügt Lohlker hinzu.
Hinter diesen transnationalen Gruppen steht eine neue Subkultur, die – mit einigen Schwerpunktregionen – weltweit vertreten ist. "So sind die Mitglieder der dschihadistischen Netzwerke in Europa keineswegs auswärtige AgentInnen, sondern Produkte der europäischen Gesellschaft", beschreibt Lohlker das Phänomen. "Überspitzt formuliert wären die DschihadistInnen der Traum eines jeden Personalverantwortlichen: Sie sind hochmobil, fremdsprachenkundig, technisch bewandert und in vielen Kulturen unterwegs – sprich globalisierte Individuen."
Religion und Gewalt
"Das Projekt hatte eine längere Vorlaufzeit, weshalb wir schon etliche Gigabytes an Videos und Texten zusammentragen konnten: Es handelt sich dabei um die umfangreichste Materialbasis, die – im akademischen Bereich – zu dieser Thematik besteht", erzählt der Projektleiter, der das Material auf sprachlicher, visueller und theologischer Ebene untersucht: "Zwei zentrale Fragen des Projekts sind: Welche rhetorischen Mittel werden benützt, und wie werden bestimmte Bilder oder Videos eingesetzt?"
Auf der theologischen Ebene sind vor allem die verwandten religiösen Argumente interessant: "Hier wollen wir untersuchen, wie religiöse Überzeugungen zur Legitimation gewaltsamer Aktivitäten missbraucht werden und warum religiöses Denken überhaupt zu Gewalt führt."
Entradikalisierung im Netz
Um solch radikale Entwicklungen einzudämmen, sollen im Rahmen des Pilotprojekts gewisse Gegenstrategien entwickelt werden, die auch über Internetplattformen umgesetzt werden können. Doch dafür müssen die ForscherInnen zunächst klären, wie religiöse Argumente zugunsten von Gewalt entkräftet werden können.
Erste systematische Untersuchung
Die Forschungsarbeit im Internet birgt natürlich auch jede Menge Stolpersteine. Sie erfordert eine gute Kenntnis der Subkultur, da manche Seiten schwer zugänglich sind: "Es kommt vor, dass wir nach der Anmeldung auf einer dschihadistischen Webseite rausgeschmissen oder gesperrt werden", meint Lohlker. Außerdem sei es schwierig, auf dem Laufenden zu bleiben, da viele der Seiten immer wieder aus dem Netz genommen werden.
Gemeinsam mit sprachlichen Schwierigkeiten sind dies die Hauptgründe, weshalb der "Dschihadismus online" bis jetzt noch nie systematisch untersucht worden ist. "Wir sind die ersten, die eine derartige systemorientierte Betrachtung vornehmen und somit den Grundstein für längerfristige Forschungsstrategien legen", betont Lohlker, der bereits seit den 1990er Jahren zu dschihadistischen Internetpräsenzen forscht. (ps)
Univ.-Prof. Mag. Dr. Rüdiger Lohlker vom Institut für Orientalistik leitet das FWF-Projekt "Dschihadismus online", das von 15. September 2010 bis 14. Oktober 2012 läuft. Am Freitag, 4. Februar 2011, findet am Institut für Orientalistik die internationale Konferenz "Studying Jihadism" statt, im Rahmen derer Lohlker einleitend sein Forschungsprojekt vorstellen wird.
Internationale Konferenz "Studying Jihadism"
Freitag, 4. Februar 2011, 10 bis 17 Uhr
Institut für Orientalistik der Universität Wien
Spitalgasse 2-4, 1090 Wien
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