Die Bakterien-WG in unserem Darm

Menschen und Bakterien leben in einer engen Symbiose. Gerade im Darmtrakt herrscht eine Win-Win Situation: Die Bakterien unterstützen uns bei der Gewinnung wertvoller Nährstoffe – und wir sorgen für den notwendigen Nachschub. Der Mikrobiologe David Berry erforscht dieses Zusammenspiel.

Anders als der Körperbau, die Haarfarbe oder andere physiognomische Merkmale erben wir die Darmflora nur zum Teil von unseren Eltern – sie ist gewissermaßen ein Zufallsprodukt unserer natürlichen Umgebung. Wie diese erfolgreiche Koexistenz zustande kommt, untersucht ein internationales Team von ForscherInnen rund um David Berry am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung an der Universität Wien.

Zu Beginn unseres Lebens ist der Darmtrakt weitestgehend steril. "Im Prinzip werden wir mit einem leeren Ökosystem geboren, das in den ersten Lebensjahren sukzessive von hilfreichen Bakterien kolonisiert wird", erklärt Berry. Diese Bakterien sind unter anderem für Verdauung, Vitamin- und Energieproduktion verantwortlich.
 
In Summe besteht unser Körper aus etwa ebenso vielen Bakterienzellen wie menschlichen Zellen – allein im Darm siedeln sich mehrere hundert Mikrobenstämme an. Gesammelt werden diese teils überlebenswichtigen Mikroben über die Muttermilch, die Nahrung und die Umgebung des heranwachsenden Kleinkindes. Dabei reift in unserem Verdauungstrakt ein bakterielles Ökosystem heran, dessen Ausmaß nicht nur zahlenmäßig gewaltig erscheint.

Ein Zufallsprodukt?

David Berry von der Universität Wien vergleicht diese externe Kolonisation des Darmtrakts mit dem Neubezug einer WG: Zu Beginn findet man eine leere, unmöblierte Wohnung vor. Wie zukünftige MitbewohnerInnen teilen die Bakterien die Zimmer untereinander auf und übernehmen jeweils andere Aufgaben. Nach einer gewissen Phase des Einlebens (Stabilisierung) entwickelt sich eine ausgereifte Routine, mit der der Alltag bewältigt wird. Externe Faktoren, wie unliebsame Eindringlinge oder Gäste, finden ein bestenfalls reibungslos funktionierendes System vor.

Für Berry und sein Team rührt das grundsätzliche Forschungsinteresse daher, dass diese Kolonisierung wie von Geisterhand erfolgt und funktioniert, ohne ein substanzielles Zutun des menschlichen Körpers. Ihr aktuelles Projekt befasst sich mit der These, dass diese mehr oder weniger nach Zufallsprinzip angesammelten Bakterienstämme während der Stabilisierung kleinere Anpassungen an ihren Genomen vornehmen, um die vorhandenen ökologischen Nischen im Darm auszufüllen. Es entsteht eine "gewachsene Gesellschaft", bei der es nach der Stabilisierung zusehends schwerer für neue Stämme wird, sich noch einzufügen.

So wie unser Fingerabdruck ist auch unsere Darmflora einzigartig: Ihre genaue Zusammensetzung hängt von unserer Umgebung ab. Je nach Region lassen sich jedoch durchaus grundsätzliche Parallelen ziehen: "Die Bevölkerung der japanischen Inseln verfügt über einen Bakterienstamm im Darm, dessen Enzyme bei der Verdauung von Seetang behilflich sind. Diese Bakterien stammen wahrscheinlich von Meeresorganismen, die Teil der regionalen Ernährung sind", so David Berry. (Foto: Alessandra Riva)

"Die Herausforderung liegt darin, Kausalitäten innerhalb der Prozesse der Darm-Mikrobiota nachzuweisen"

Um das Zusammenspiel der Bakterien besser zu verstehen, bedient sich das Team einer Reihe von Verfahren: "Beispielsweise wird ein bereits genetisch analysierter Bakterienstamm unter Laborbedingungen mit ausschließlich einem Nährstoff wie Pektin 'gefüttert', zur Kontrolle erhält eine zweite Probe das komplette Buffet", so Berry. Während dieser Züchtungsphase beobachtet man die Reaktion der Bakterienkultur auf beide Arten der Ernährung. Dabei entstehen Mutationen unter den Bakterien, die einer effektiveren Verwertung des Nährstoffs dienen. Gelingt einem der mutierten Bakterien der Abbau besser als seinen Artgenossen, hat sich diese Mutation eine Nische geschaffen.

Den entstandenen Wettbewerbsvorteil versuchen Berry und sein Team nachzuvollziehen, indem sie die erfolgten genetischen Veränderungen der Bakterien analysieren. Darüber hinaus untersuchen sie, inwiefern das "vorhandene Buffet" an Nährstoffen die Spezialisierung der Bakterien beeinflusst. Diesen Prozess bezeichnen die Wissenschafter als "genetische Diversifikation".

Bemerkenswert an David Berrys Arbeit an der Universität Wien ist die Weiterentwicklung von Untersuchungsstrategien, die über die herkömmlichen Methoden hinausgehen –  wie etwa das Verfahren "Stable Isotope Probing". Dabei werden die Bewegungen von Nährstoffen bei der Verarbeitung durch Bakterien nachverfolgt, und zwar mithilfe chemischer Marker.

Den gebürtigen Kalifornier David Berry zog es nach seinem Doktorat in Environmental Engineering (University of Michigan) nach Wien. Im September 2015 begann er mit seiner aktuellen Forschungsarbeit über öko-evolutionäre Prozesse in Darm-Bacteroides. Im März 2016 erhielt er eine assoziierte Professur im Forschungsverbund Chemistry meets Microbiology und an der Fakultät für Lebenswissenschaften. Im September 2016 erhielt der den hochdotierten ERC Starting Grant. (Foto: Universität Wien)

Wie hilft uns das weiter?

Obwohl der Fokus dieses Forschungsprojekts auf das Verständnis grundlegender Prozesse in der Darmflora liegt, existieren bereits jetzt diverse Anwendungsfelder für die erzielten Erkenntnisse – das Team um Berry arbeitet beispielsweise mit der Neonatologie des Allgemeinen Krankenhauses in Wien zusammen, um mehr über den Aufbau der Darmflora von Neugeborenen zu erfahren.

Blutvergiftungen in Verbindung mit bakteriellen Infekten gehören zu den häufigsten Todesursachen bei Neugeborenen und Frühchen. Zumal die Darmflora in den ersten Lebenswochen rasanten Veränderungen ausgesetzt ist, untersucht das Team Bewegungen in den Bakterienpopulationen im Darm und auf der Haut. Man erhofft sich, davon Verfahren zur Vorhersage von drohenden Blutvergiftungen ableiten zu können. (Foto: erysipel/pixelio.de)

Im Hinblick auf weitere Anwendungsmöglichkeiten ist David Berry guter Dinge: "Das wissenschaftliche Feld, in dem wir uns bewegen, erfreut sich in den letzten Jahren großer Fortschritte. Ich bin zuversichtlich, dass uns eine Reihe von weitreichenden Erkenntnissen unmittelbar bevorsteht." (hma)

Das FWF-Projekt "Öko-evolutionäre Prozesse in Darm-Bacteroides" läuft seit September 2015 bis September 2018 unter der Leitung von Assoz. Prof. David Berry am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Fakultät für Lebenswissenschaften.