Die Arktis und der Klimawandel

Mit der Arktis verbinden die meisten Menschen nicht mehr als öde Eislandschaften ohne viel Vegetation. Dass diese Region in Bezug auf den Kohlenstoffkreislauf der Erde - und somit auch auf das Weltklima - eine entscheidende Rolle spielt, ist weniger bekannt. Der Ökologe Andreas Richter koordiniert im Rahmen eines vom FWF geförderten Projekts der European Science Foundation zehn Forschungsgruppen aus acht verschiedenen Ländern und unternimmt abenteuerliche Expeditionen nach Sibirien und Grönland, um diesen spannenden Zusammenhang aufzuklären.

"Wenn wir die Polargebiete nicht vernünftig begreifen, haben wir keine Chance, das System Erde zu verstehen", ist Andreas Richter vom Department für Chemische Ökologie und Ökosystemforschung überzeugt. Schon im Jahr 2002 hat der Ökologe im Zuge eines Forschungsaufenthalts in Sibirien bislang völlig ungeklärte Phänomene entdeckt, die ein neues Licht auf die Speicherung - die sogenannte "Sequestrierung" - von Kohlenstoff in den Permafrostböden der Arktis werfen könnten. Seitdem hat ihn die Faszination für die konkreten biologischen und chemischen Prozesse, die hierfür verantwortlich sind, nicht mehr losgelassen.

Doppelt so viel Kohlenstoff wie in der Erdatmosphäre


Auf den ersten Blick mag es etwas seltsam erscheinen, dass gerade einer Region wie der Arktis eine derart hohe Bedeutung für den Kohlenstoffhaushalt unseres Planeten zukommen soll. Damit verbindet man sonst eher tropische Wälder mit enormer Biomasse. Im Vergleich dazu haben die arktischen Gebiete in Sibirien und Grönland nur sehr wenig aufzuwarten: Aufgrund extremer Umweltbedingungen und kurzer Vegetationsperioden von ein bis zwei Monaten kann sich nur eine sehr bescheidene Pflanzenwelt herausbilden.

"Trotz all dieser Faktoren hat die Arktis ein riesiges Potenzial, den globalen Kohlenstoffkreislauf zu beeinflussen. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass rund 1.670 Gigatonnen des chemischen Elements in den arktischen Böden gespeichert sind. Das ist mehr als doppelt so viel wie derzeit in der Erdatmosphäre zu finden ist", stellt Richter klar. Auch wenn nur ein Bruchteil dieser Menge in die Atmosphäre austreten würde, hätte das dramatische Konsequenzen für das Weltklima. Ob hier eine Zeitbombe tickt, die den Effekt der globalen Erderwärmung in Zukunft noch deutlich verstärken oder sich vielleicht sogar begünstigend auswirken könnte, ist bislang vollkommen unklar.

Sonderfall Arktis

Ursache für die gewaltigen Kohlenstoffmengen in der Arktis sind die spezifischen Umweltbedingungen. Feuchtigkeit und Kälte verringern das Pflanzenwachstum und beeinflussen den Abbau von organischem Material durch Mikroorganismen. Dabei wird Sauerstoff benötigt, der in Permafrostböden nur in sehr geringem Ausmaß vorhanden ist. "Der Abbau von organischem Material geht dort viel langsamer vonstatten als der Aufbau. Kurzfristig gesehen macht das zwar keinen großen Unterschied, langfristig hat das aber dazu geführt, dass sich im Laufe von Zehntausenden von Jahren immer mehr Kohlenstoff angesammelt hat", erläutert Richter.

Die Entstehung der arktischen Böden unterscheidet sich grundlegend von jener in unseren Breiten: Im Normalfall wird organisches Material in den Boden eingearbeitet, was dazu führt, dass verschiedene horizontale Schichten entstehen. In arktischen Regionen fehlt diese Schichtung und es kommt zu einer Durchmischung (Turbation) des Erdreichs. Der Antriebsmotor für diesen Vorgang ist das ständige Gefrieren und Wiederauftauen der Böden, weshalb man in diesem Zusammenhang auch von sogenannter "Cryoturbation" spricht.

Expeditionen nach Sibirien und Grönland


Die Zielsetzung des Forschungsprojekts von Richter und seinem internationalen Team ist klar: Einerseits soll überprüft werden, wie viel Kohlenstoff tatsächlich auf Landschaftsebene durch Cryoturbation in den arktischen Böden gespeichert ist. Andererseits wollen die WissenschafterInnen auch verstehen, welche Mechanismen die Geschwindigkeit des Kohlenstoffabbaus beeinflussen können. "Es ist das erste Mal, dass dieses Phänomen genauer untersucht wird", betont Richter.

Um die spezifischen Verhältnisse in der Arktis zu ergründen, ist der Ökologe Anfang August zu einer einmonatigen Forschungsexpedition nach Ost-Sibirien und Nordost-Grönland aufgebrochen. Dort wurden drei sogenannte "Transekte" abgesteckt und insgesamt 120 Bohrkerne nach einem bestimmten System in der Landschaft angebracht. "Große Stahlrohre müssen mit einem schweren Hammer in den Permafrostboden hineingetrieben werden. Anschließend wird der Bohrkern herausgezogen", schildert Richter. Doch die mühevolle Arbeit lohnt sich: Der Gehalt und die Qualität des Kohlenstoffs der Böden wird gemessen, und es entsteht eine Karte, die den WissenschafterInnen einen Einblick in die Kohlenstoff-Dichte der gesamten Region verschafft. (ms)

Das ESF-Projekt "CryoCARB - Long-term Carbon Storage in Cryoturbated Arctic Soils" von Ao. Univ.-Prof. Dr. Andreas Richter vom Department für Chemische Ökologie und Ökosystemforschung läuft vom 1. Mai 2010 bis zum 30. April 2013.