Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft

In Kooperation mit internationalen ExpertInnen vernetzt die Forschungsplattform Elfriede Jelinek – unter der Leitung von Jelinek-Expertin Pia Janke – an der Universität Wien Wissenschaft und Kunst. Seit Juni 2013 ist die Plattform der neue Rahmen für die interdisziplinäre Arbeit zu Jelineks Werken.

"Elfriede Jelinek reflektiert unsere Zeit – wer sich mit ihrem Werk auseinandersetzt, beschäftigt sich mit wichtigen aktuellen gesellschaftlichen, politischen und ästhetischen Themen", so Pia Janke, Leiterin der Forschungsplattform. Und das in einem interdisziplinären Rahmen, den Elfriede Jelinek selbst vorgibt: Die Künstlerin arbeitet mit verschiedenen Kunstformen, vernetzt Medien, bezieht philosophische Texte, politische, soziologische und gesellschaftliche Fragen mit ein.

Dieser Interdisziplinarität will auch die Jelinek-Forschung an der Universität Wien gerecht werden: "Über die Forschungsplattform sind sieben Institute und drei Fakultäten miteinander verbunden – mit dem Ziel, Jelineks Werke, Kontexte und Rezeption fächerübergreifend zu diskutieren", erklärt Janke, die selbst als Musiktheaterdramaturgin begann und heute schwerpunktmäßig zu interdisziplinären und intermedialen Fragestellungen in Literatur, Musik, Theater und bildender Kunst sowie zur österreichischen Literatur seit 1945 forscht.

Weltweites Netzwerk

Europa, USA, Mexiko, Südafrika, Indien, Japan und China – die internationalen PartnerInnen und Institute der Forschungsplattform sind über den gesamten Globus verstreut. "Mittlerweile haben wir ein großes Netzwerk an WissenschafterInnen, KünstlerInnen, ÜbersetzerInnen und Jelinek-SpezialistInnen geschaffen", freut sich Pia Janke, eine ausgewiesene Kennerin des Werks von Elfriede Jelinek. Sie hat bereits 2004 das Elfriede Jelinek-Forschungszentrum ins Leben gerufen, das nun eng mit der Forschungsplattform zusammenarbeitet. "Wir untersuchen aber nicht nur Jelineks Werk selbst, sondern auch die österreichischen künstlerischen Kontexte sowie die internationalen Wechselwirkungen", erklärt die Germanistin.


"Nach dem Nobelpreis an Elfriede Jelinek 2004 sind Anfragen aus aller Welt im Elfriede Jelinek-Forschungszentrum eingetroffen, und wir haben uns als Informationszentrum etabliert. Das wurde nun auch zum Schwerpunkt der neuen Forschungsplattform: Wir stellen Material zur Verfügung und arbeiten an einer umfassenden Werk- und Rezeptions-Dokumentation", so Pia Janke vom Institut für Germanistik.



Internationale Tabubrüche

Jelinek wird weltweit übersetzt und gelesen – und auch ihre Themen sind, vom Irakkrieg bis hin zu Fukushima, international. Beim Theaterfestival in Tokio gab es einen Elfriede Jelinek-Schwerpunkt und auch in New York wurde vor kurzem ein Theaterstück der österreichischen Künstlerin aufgeführt. "Natürlich ist es schwierig, ihre sprachbezogene Arbeit zu übersetzen – deshalb untersuchen wir genau das: Wie wird Jelinek international übersetzt, wie wird z.B. ihre Sprache für Sexualität rezipiert oder sogar zensiert?", erklärt Janke einen zentralen Schwerpunkt der Forschungsplattform, der im Teilprojekt "TABU: Bruch. Überschreitungen von Künstlerinnen" bearbeitet wird. Im Fokus steht hier das Spannungsfeld von "Tabu und Frau" im internationalen Kontext.

"Dabei stellen wir uns die Frage, wie Jelinek in ihren Arbeiten Tabus thematisiert, kenntlich macht und überschreitet", so die Expertin. "In allen unseren Arbeiten sind wir im ständigen Kontakt mit der Nobelpreisträgerin selbst, die uns mit Auskünften und Materialien hilft."


Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter November 2013.
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Internetportal

Die internationale Rezeption Jelineks ist dabei ein Aspekt. Ein weiterer Fokus liegt auf den verschiedenen Formen der Präsentation: "Wir arbeiten verstärkt mit neuen Medien und planen Internetportale, um wissenschaftliche Beiträge, Videokonferenzen, Chats, E-Mail-Wechsel, Video- und Audiostatements zu veröffentlichen und einen internationalen Dialog zu ermöglichen", erklärt Janke und betont: "Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist uns ein besonderes Anliegen. Junge WissenschafterInnen können bei uns ihre Arbeiten veröffentlichen und an Workshops mit internationalen ExpertInnen teilnehmen."

Postdramatik

Jelinek wird oft als "typisch österreichische Autorin" bezeichnet. Immerhin hat sie die österreichische Öffentlichkeit und Literatur stark geprägt. "Mit ihrer Sprache bzw. Sprachkunst, die mich übrigens an Jelinek besonders fasziniert – und mit der sie Gewaltmechanismen und Ideologien sichtbar macht –, steht sie in einer großen österreichischen Tradition von Johann Nestroy, Karl Kraus bis zur Wiener Gruppe", meint Janke.

Und die österreichische Autorin prägt eine neue Form von Dramatik: "Wir widmen uns deshalb in einem weiteren Teilprojekt der Forschungsplattform dem Begriff der Postdramatik: Wir untersuchen aktuelle Theatertexte sowie das für sie verwendete wissenschaftliche Vokabular und bringen internationale ExpertInnen – RegisseurInnen, AutorInnen und DramaturgInnen – mit WissenschafterInnen in einen interdisziplinären Dialog", so Janke, "und vernetzen damit Wissenschaft und Kunst."


"Neben einem Schwerpunkt zu Intermedialität – in welchen Jelineks intermediale Strategien einfließen – starten wir im nächsten Jahr ein großes Projekt zu Ökonomie und Gender", erzählt Pia Janke, Leiterin der Forschungsplattform: "Jelinek hat die Frage, wie Wirtschaft und patriarchale Strukturen mit dem Thema Gender zusammenhängen, von Anfang an thematisiert und auch zuletzt in mehreren Werken erneut aufgegriffen." Alle aktuellen Projekte der Jelinek-Plattform



Lesevergnügen


Die Literatur-Nobelpreisträgerin sei "an den Wunden und Themen unserer Zeit dran" und hat laut Pia Janke ein "seismographisches" Gespür. "Sie nimmt Dinge sehr früh wahr. Von der Aufarbeitung des Nationalsozialismus bis hin zur Wirtschaftskrise – Jelinek war den öffentlichen Debatten oft voraus". Die größte Herausforderung für eine Jelinek-Expertin sei es, am letzten Stand der Dinge zu sein, "da Jelinek einfach enorm viel schreibt" und ständig Neues produziert. "Jelinek lesen ist nicht einfach – und auch anstrengend", gibt die Forscherin zu, "aber nach dem dritten oder vierten Lesen stellt sich das Vergnügen ein. Dann nimmt man den Witz und die Klanglichkeit ihrer Texte wahr und sie werden unglaublich unterhaltsam." (ps)


LESETIPP und GEWINNSPIEL: BEREITS VERLOST!

uni:view verlost ein Exemplar des "Jelinek-Handbuchs" (Hg. Pia Janke, Stuttgart 2013). 49 renommierte internationale ExpertInnen haben darin Beiträge zu Leben, Werk und Wirkung von Österreichs einziger Literaturnobelpreisträgerin verfasst.


Teilnahmebedingungen für Online-Gewinnspiele der Universität Wien