Demenz: Technologie für ein einfacheres Leben

In Wien leiden rund 130.000 Personen an demenziellen Erkrankungen und sind im Alltag eingeschränkt. Wie Technologie das Leben der Betroffenen, Angehörigen und BetreuerInnen erleichtern kann, erforscht ein interdisziplinäres Team an der Fakultät für Informatik der Universität Wien.

Die fieberhafte Suche nach dem Wohnungsschlüssel ist kaum einem Menschen fremd. Besonders häufig finden sich Demenzerkrankte in dieser Situation wieder: Sie vergessen oder verlegen Gegenstände, u.a. den Schlüssel zu den eigenen vier Wänden. Wie man diese belastenden Momente mithilfe speziell adaptierter Geräte – beispielsweise dem "Talking Key" – vermeiden könnte, erforscht ein Team der Universität Wien im Rahmen des EU-Projekts SPES (Support Patients through E-Service Solutions).

Beschrieben wurde einer von mehreren Anwendungsfällen, an denen die Informatiker Peter Brezany, Ibrahim Elsayed und Marek Lenart von der Forschungsgruppe Scientific Computing gemeinsam mit der Sozialwissenschafterin Ewa Ciecierska arbeiten. Ziel ist es, Demenzerkrankte dahingehend zu unterstützen, dass sie ihren Alltag so lange wie möglich selbstbestimmt gestalten können.


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Das Forschungsvorhaben ist eines von vier Pilotprojekten im Rahmen von SPES, die sich allesamt mit den Themengebieten Ambient Assisted Living, e-Health und Telemedizin beschäftigen. Weiters beteiligt sind Teams aus Ferrara (Italien), Brno (Tschechische Republik) und Kosice (Slowakei). Diese Gruppen testen und adaptieren neuartige Technologien für Menschen mit Behinderung, Personen mit Atemwegserkrankungen sowie Personengruppen, die von sozialer Exklusion betroffen sind. Die Ergebnisse des zentraleuropäischen Gesamtprojekts, finanziert aus den Mitteln der Central Europe-Strukturprogramme der Europäischen Union, werden über eine Plattform zugänglich gemacht.

Menschen mit Demenzerkrankungen testen Technologie

Das Forschungsteam der Universität Wien kooperiert mit dem Fonds Soziales Wien: SPES-Koordinatorin ist dort Christine Petioky. 22 Personen, die einen Teil ihres Alltags in Tageszentren des Fonds verbringen, dort an Aktivitäten teilnehmen und fachlich begleitet werden, haben sich bisher bereit erklärt, unterschiedliche Geräte zu testen und Feedback zu geben.

Wenn Orientierung schwer fällt

"Ein Symptom von Demenzkrankheiten ist Orientierungslosigkeit", erklärt Ciecierska: "Im Tageszentrum werden die betroffenen Personen durch diverse Aktivitäten dazu motiviert, auch wirklich dort zu bleiben. Es kann aber vorkommen, dass Personen das Gebäude verlassen, dann jedoch nicht mehr zurückfinden." Unterstützung bei der Orientierung kommt daher von GPS/GSM-Ortungsgeräten. Die Informatiker haben sich intensiv mit mehreren Modellen auseinandergesetzt und anschließend mit den Tageszentrums-BesucherInnen getestet: "Der Prozess funktioniert so: Das Gerät empfängt GPS-Signale und schickt Ortungsdaten an einen Server weiter. Die Position des Geräts ist dann im Notfall über das Internet, per Smartphone oder Computer, abrufbar", erklärt Lenart.

Darüber hinaus können die Betreuenden das Gerät anrufen. Nach zweimaligem Läuten besteht eine Verbindung – die Menschen müssen nicht abheben, wie das bei einem gewöhnlichen Mobiltelefon der Fall wäre. Auch wenn die TrägerInnen einen integrierten "SOS-Knopf" betätigen, erhalten die Betreuungspersonen eine SMS, die die Position bekannt gibt. Feedback von den Testpersonen hat gezeigt, dass viele Frauen das Gerät gerne um den Hals tragen, Männer es als Art "Walkie-Talkie" am Gürtel befestigen.

Intelligenter Schlüssel

Zurück zur Ausgangsposition: der Schlüssel. "Auch der 'Talking Key' ist ganz klar eine Anwendung aus dem Bereich 'Ambient Assisted Living'. Damit ist innovative Technik gemeint, die ein selbstbestimmtes Leben möglich macht", so der Informatiker Ibrahim Elsayed. Für den "Talking Key" entwickelte Projektmitarbeiter Marek Lenart einen Prototypen. Danach begann die Suche nach einem Unternehmen, das die Anforderungen umsetzen konnte. Es entstand ein kleines, an die Wand montierbares Gerät, das Großes leistet: Mittels Sensoren erkennt es, ob eine Person die Wohnung bzw. das Haus verlässt oder aber heimkehrt. Ist ersteres der Fall, weist eine Stimme darauf hin, den Schlüssel nicht zu vergessen. Gleichzeitig "meldet" sich dieser per Audio- und Lichtsignal. Allerdings nur, und das ist die große Herausforderung, wenn die Person den Schlüssel nicht ohnehin schon bei sich trägt. Das erkennt das Gerät dank sogenannter Active-RFID-Technologie – gemessen wird die Stärke und Richtung eines Signals, ausgesendet von einem "Tag" am Schlüssel.


"Talking Key": Innovative Technik, die erkennt, ob eine Person beim Verlassen der Wohnung den Haustürschlüssel bei sich trägt. Wenn nicht, "meldet" sich dieser per Audio- oder Lichtsignal.



"Wir wollen dazu beitragen, dass solche Technologien in Zukunft flächendeckend eingesetzt werden können und auch leistbar sind", schließt Ewa Ciecierska. Im Rahmen von SPES koordiniert die Forschungsgruppe der Universität Wien das "Strategisch-Politische Komitee", das die grenzüberschreitende Kooperation in diesem Bereich auch auf politischer Ebene vorantreibt. (dh)

SPES "Support Patients through E-Service Solutions", aus den Mitteln der Central Europe-Strukturprogramme der Europäischen Union, läuft von 1. April 2011 bis 30. März 2014. Ao. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Peter Brezany leitet das Projekt, ProjektmitarbeiterInnen sind Mag. Dr. Ibrahim Elsayed, Marek Lenart und die Sozialwissenschafterin Mag. Ewa Ciecierska (alle Forschungsgruppe Scientific Computing an der Fakultät für Informatik der Universität Wien).