Dem Altirischen auf der Spur

Irisch, heute von kaum mehr als 30.000 Menschen gesprochen, ist eine der ersten verschrifteten Volkssprachen Europas. Um an den Ursprung dieser keltischen Sprache zu gelangen, greifen Stefan Schumacher und Bernhard Bauer auf Quellen des 9. Jahrhunderts zurück. In einem dreijährigen FWF-Projekt studiert das Team vom Institut für Sprachwissenschaft frühmittelalterliche Notizen und Anmerkungen, die irische Gelehrte in Priscians Werk über die lateinische Grammatik hinterlassen haben.

Zuverlässige Quellen über den Ursprung einer Sprache zu finden, ist nicht immer einfach: Eine gesprochene Sprache entwickelt und verändert sich im Laufe der Jahrhunderte. So auch beim Altirischen: Die zwischen 600 und 800 n. Chr. in Irland gesprochene Sprache ist nach der Anglo-Normannischen Eroberung kontinuierlich marginalisiert worden – Englisch als germanische Sprache dominiert die Britischen Inseln bis heute.

Um dennoch an authentische Quellen zu gelangen, setzen Stefan Schumacher und Bernhard Bauer einen Kunstgriff ein: Da die Verschriftung des Altirischen erst im 7. Jahrhundert begann, studieren sie seit Oktober 2010 im Rahmen des FWF-Projekts "Wörterbuch der altirischen Priscian-Glossen" ein mehr als 1.500 Jahre altes Textkorpus des Grammatikers Priscian.

Vom Lateinischen zum Altirischen

Dessen irische Leser befassten sich allerdings nicht mit dem Altirischen, sondern mit dem Lateinischen: Priscian gilt als Verfasser der umfangreichsten lateinischen Grammatik seiner Zeit. Irische Gelehrte setzten alles daran, die "Sprache der Gebildeten" zu studieren. Hierbei war es schon damals üblich, sich zwischen den Zeilen oder am Rand Notizen über den Stoff zu machen, häufig direkte Übersetzungen oder Anmerkungen. Diese sogenannten "Glossen" – vom Schreiber vornehmlich für sich selbst verfasst – notierten die Gelehrten in ihrer Muttersprache, in diesem Fall auf Altirisch.

"Während wir durch zahlreiche schriftliche Belege über eine umfangreiche Kenntnis der lateinischen Sprache verfügen, ist es deutlich schwerer, an Quellen des ursprünglichen Altirischen zu gelangen. Durch die Glossen erhalten wir nun neue Erkenntnisse über die keltische Sprache, da wir die lateinische Übersetzung verstehen", erklärt Stefan Schumacher. Im Projekt wird in internationaler Vernetzung mit PhilologInnen aus Irland, Cambridge, Sydney und den Niederlanden ein klassisches Wörterbuch entstehen, das auch über grammatikalische Inhalte verfügen soll.

Drei wichtige Textkorpora

Am Institut für Sprachwissenschaft war bis Dezember 2010 noch ein weiteres FWF-Projekt den Wurzeln des Altirischen auf der Spur: Es befasste sich unter der Leitung von David Stifter, der im Februar eine Professur für Altirisch an der National University of Ireland Maynooth antreten wird, mit den Mailänder Glossen. "Letztere zählen mit den Priscian-Glossen, die übrigens auch St. Galler-Glossen genannt werden, und den Würzburger Glossen zu den drei wichtigsten Handschriften dieser Art", erläutert Schumacher und fährt fort: "Es ist ein kurioses Faktum, dass sich alle drei Textkorpora in Europa abseits der britischen Inseln erhalten haben."

So brachten die irischen Gelehrten, dem Auftrag der Missionierung verschrieben, ihre eigenen Bücher nach Kontinentaleuropa mit. "In Irland hätten die Handschriften wahrscheinlich kaum überlebt, da in den Bibliotheken keine derartige Kontinuität herrschte", erklärt er: "Im Zuge der Englischen Reformation im 16. Jahrhundert wurde ein Großteil der britischen Klöster aufgelöst."

Außergewöhnlicher Wortschatz

Das Besondere an den Priscian-Glossen ist, dass sich das Textkorpus mit Grammatik und nicht mit theologischem Inhalt beschäftigt: "Daher ist darin auch ein anderer Wortschatz enthalten, der die weiteren Korpora gut ergänzt", so Projektmitarbeiter Bernhard Bauer.

Durch den persönlichen Charakter der Randnotizen stoßen die Forscher immer wieder auch auf unterhaltsame Anekdoten aus dem Alltag der Gelehrten. Diese Anmerkungen sagen zwar wenig über den kommentierten Text aus, dafür umso mehr über den jeweiligen Autor und seine persönliche Situation.

Historische Kuriosiäten

In einem Fall äußerte sich ein Gelehrter beispielsweise nicht über die lateinische Grammatik, sondern sehr direkt über seinen aktuellen Gesundheitszustand. "Er hatte anscheinend eine durchzechte Nacht hinter sich und verkündete, dass er sich mit einem Kater herumschlage", schmunzelt Schumacher: "Solche Kuriositäten sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch sprachwissenschaftlich interessant, da wir hier alltagsnahe Begriffe finden, die in dieser Form sonst nie verschriftlicht worden wären." Auch Anmerkungen über das Wetter oder spontane Gedichte lockern den Forschungsalltag der beiden Sprachwissenschafter immer wieder auf. (il)

Das FWF-Projekt "Wörterbuch der altirischen Priscian-Glossen" unter der Leitung von Ass.-Prof. Mag. Dr. Stefan Schumacher vom Institut für Sprachwissenschaft läuft von Oktober 2010 bis Oktober 2013.