Das unbekannte Wesen Kalziumkanal

Stanislav Beyls Forschungen sind kompliziert. Trotzdem: Ein Versuch, den Untersuchungen an Kalziumkanälen eines jungen Pharmakologen näher zu kommen.

Manch ein Maori in Neuseeland kann ein Lied davon singen, was so ein defekter Kalziumkanal anrichten kann. Dort ist in manchen Familien eine Krankheit weit verbreitet, die sich durch schwere Kurz- und Weitsichtigkeit, Nachtblindheit und auch Autismus äußert. Ausgelöst wird sie durch einen kaputten, hyperaktiven Kalziumkanal – die Rezeptoren der Netzhaut werden regelrecht von Kalzium überlaufen und der Sehvorgang so empfindlich gestört.

Das Forschungsergebnis aus dem Department für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Wien ist nur ein Beispiel dafür, wie wichtig spannungsaktivierte Kalziumkanäle sind: Sie steuern Körperfunktionen wie die Kontraktion von Herz- und Skelettmuskulatur, die Sekretion von Hormonen und Neurotransmittern sowie die Expression vieler Gene.

Von Moskau nach Wien

Der russische Forscher Stanislav Beyl geht nun an der Universität Wien den spannungsaktivierten Kalziumkanälen und ihren Geheimnissen auf den Grund. Dazu ist er von Moskau nach Wien ans Department für Pharmakologie und Toxikologie gekommen. "Diese Kanäle sind wirklich wichtig", sagt er. "Sie initiieren elektrische Pulse und befördern Kalzium ins Zellinnere, wo es viele wichtige Funktionen erfüllt. Ist ihre Funktion beeinträchtigt, kann es gefährlich werden."



Der russische Jungwissenschafter Stanislav Breyl an seinem Mikroskop. Hier am Department für Pharmakologie und Toxikologie untersucht er spannungsaktivierte Kalziumkanäle, die für wichtige Körperfunktionen essentiell sind.



Beyl erklärt: "Ein Kanalmolekül besteht aus vier miteinander verbundenen Untereinheiten, von denen jede einen Teil der 'Kanaltür' bildet. Das kann man sich wie eine vierteilige Flügeltür vorstellen, wobei jede Einzeltür relativ unabhängig funktionieren kann. Dennoch kommt es zum synchronen Öffnen und Schließen des Kanals. Aufzuklären, wie dieses komplexe Molekül funktioniert, ist Gegenstand meines Forschungsprojektes. Wie können relativ unabhängige Teile ein funktionierendes Ganzes bilden? Fast eine philosophische Frage." Bleibe die Tür zu lange offen, komme es ebenso zu Störungen wie beim verzögerten Öffnen oder vorzeitigen Schließen. Kalzium wird in notwendigem Maß gebraucht, kann die Zellen aber auch schädigen.

Physikalischer und mathematischer Background


Stanislav Beyl kam schon vor mehr als zehn Jahren als Diplomand von Steffen Hering nach Österreich, nachdem er an einer renommierten Universität für Physik und Mathematik in Moskau studiert hatte. Der physikalische und mathematische Background helfe ihm jetzt auf seinem weiteren Forschungsweg sehr. Zwischenzeitig hatte Beyl einen Vertrag an der ÖAW im Radon-Institut. Hering: "Es war wirklich schwierig für mich, ihn zurückzubekommen." Und: "Es ist ein wirkliches Glück, dass er unser Department für die nächsten drei Jahre als Forschungsstätte gewählt hat."

Während Hering ein Loblied auf seinen Mitarbeiter singt, lächelt der nur still und bescheiden. Mittlerweile hat Beyl seinen eigenen Grant. Hering: "Was er mit diesem kleinen Molekül, diesem Kanal macht, ist wirklich wichtig. Denn wir müssen, ehe wir Medikamente entwickeln, noch besser verstehen, wie die Öffungs- und Schließmechanismen des Kanals funktionieren." In einem von Beyls FWF-Projekt-Anträgen ist etwa nachzulesen: "In meinen früheren Untersuchungen konnte ich zeigen, dass Mutationen einer bestimmten Region starke Veränderungen im Aktivierungsverhalten induzieren, wohingegen vergleichbare Mutationen in einem anderen Segment geringe Effekte auslösen und häufig zu nicht exprimierenden Kanälen führen."

Crash-Kurs

Das schreit jetzt nach einem Crash-Kurs, Herr Beyl! "Es gibt viele verschiedene Arten von Kanälen – um die 300. Die, die hochspannungsaktiviert sind, jene, die niedrigspannungsaktiviert sind. Was ihnen aber gemeinsam ist: Sie leiten Kalzium. Sie haben auch ungefähr dieselben Acid-Sequenzen. Im Prinzip arbeiten sie alle gleich. Wir haben unseren Kanal ausgewählt, weil er einer der wichtigsten Angriffspunkte von Arzneistoffen in unserem Körper ist", sagt der Wissenschafter und verrät, dass er mit Kaninchen-DNA arbeitet. Kurz: "Ich analysiere die Funktion des Kanals und versuche zu verstehen, wie seine Struktur das Öffnen und Schließen ermöglicht."

Was er noch macht? Er überprüft, was Medikamente, die Heilung bringen sollen, tatsächlich mit den kaputten Kanälen machen. Nebenbei hat er eine Plattform für E-Learning designed. Ganz nebenbei erzählt Stanislav Beyl dann auch noch, dass er sehr gerne in Wien ist: "Als ich hierher kam, wusste ich nicht, was mich erwartet. Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass es die beste Stadt der Welt ist."

Das FWF-Projekt "Kooperatives Gating von CaV1.2" unter der Leitung von Mag. Dr. Stanislav Beyl vom Department für Pharmakologie und Toxikologie, Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien, läuft von Jänner 2015 bis Jänner 2018.