Antiamerikanismus – eine europäische Tradition?

Vor zehn Jahren hat ein Ereignis die Welt tief erschüttert. Die Terroranschläge vom 11. September waren für die USA eine nationale Tragödie. Doch wie reagierte Europa? Die Historikerin Margit Reiter nahm das Ereignis als Ausgangspunkt für ihre Forschung zum "Antiamerikanismus" in Deutschland und Österreich. Warum kippte dort die solidarische Haltung so schnell zur Amerika-Kritik? Wo liegt die Grenze zwischen legitimer Kritik und Antiamerikanismus? Diesen Fragen ging sie im Rahmen eines FWF-Projekts auf den Grund und publizierte einige Forschungsergebnisse in dem Buch "Europa und der 11. September 2001", das sie zusammen mit Helga Embacher herausgegeben hat.

Wie haben Deutschland und Österreich auf die Terroranschläge des 11. September reagiert? Wie wurde das Ereignis wahrgenommen und welche Amerikabilder wurden dadurch indirekt vermittelt? "Unmittelbar nach dem 11. September reagierten die Medien überwiegend solidarisch – Trauer und Entsetzen prägten das mediale Bild", so Margit Reiter vom Institut für Zeitgeschichte, die im Rahmen ihrer Forschungsarbeit ein breites Spektrum an Quellen – von Print- über TV-Medien bis hin zu (populär)wissenschaftlichen sowie literarischen Auseinandersetzungen mit 9/11 und den USA – analysiert hat.

Vom Opfer zum Schuldigen

"Das Interessante und zum Teil auch Überraschende bei dieser Untersuchung war, wie schnell die ursprüngliche Solidarität einer kritischen Haltung gewichen ist: Auf die Frage nach den Ursachen hinter den Anschlägen folgten schnell Erklärungen, die den USA eine Mitschuld zuwiesen", erklärt die Historikerin. Neben der amerikanischen Außen- und v.a. Nahostpolitik fand Reiter in deutschen und österreichischen Medien sämtliche "Sündenfälle" der amerikanischen Geschichte aufgelistet: von der Indianerverfolgung bis zu den Rassenunruhen, der Lateinamerikapolitik und dem Materialismus der AmerikanerInnen: "Das bereits bestehende Arsenal an antiamerikanischen Stereotypen floss in die aktuelle Diskussion einfach hinein".

Politische Eintönigkeit

Die Wissenschafterin hat im rechten als auch linken politischen Lager Antiamerikanismen ausfindig gemacht: "Während es auf der rechten Seite viele tief sitzende Ressentiments gegen die Sieger des zweiten Weltkriegs gibt, kann die linke Seite auf eine lange Tradition antiimperialistischer und antikapitalistischer Amerikakritik zurückgreifen". Die aktuelle Globalisierungskritik stellt dabei den kleinsten gemeinsamen Nenner linker und rechter Amerikakritik dar.

Glücksfall Obama

Nach dem 11. September 2001 vermischte sich berechtigte Amerika-Kritik mit dem in Europa stets latent vorhandenen Antiamerikanismus. George W. Bush lieferte mit seiner Person, seinem Habitus und seiner Sprache die ideale Angriffsfläche. Vor allem nach Beginn des Irak-Krieges herrschte eine flächendeckend negative Einstellung gegenüber den USA. "Für mich war es deshalb sehr interessant zu beobachten, inwieweit sich das mit Obama änderte", führt Reiter fort. Als das genaue Gegenteil von Bush wurde der – als sehr "europäisch" wahrgenommene – Obama vor allem in Deutschland euphorisch aufgenommen. Da vorurteilsbeladene "amerikanische" Zuschreibungen nicht auf den neuen US-Präsidenten übertragen werden konnten, hat sich der unreflektierte Antiamerikanismus von der politischen wieder verstärkt auf die kulturelle oder wirtschaftliche Ebene verlagert.

Un-American?

Wann ist Amerika-Kritik legitim und wann kann man von Antiamerikanismus sprechen? "Kritik an bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen oder politischen Sachverhalten ist legitim. Problematisch wird es dann, wenn sie über das Einzelne hinausgeht und Amerika als Ganzes kritisiert", beantwortet Reiter die zentrale Frage ihres Projekts. Dabei gibt es meist keinen Platz für Differenzierungen. Kritische AmerikanerInnen werden oft als "gute Amis" gegen die "bösen Amis" ausgespielt und als "Kronzeugen" für die eigene Amerikakritik instrumentalisiert. Berühmtes Beispiel dafür ist Michael Moore, der mit seiner plakativen Art die europäischen Vorurteile und Denkmuster bedient hat.

Kritik am Lehrmeister

Beim Antiamerikanismus handelt es sich um das Ressentiment der Schwächeren gegen den Stärkeren. Europa braucht die USA zur eigenen Erhöhung und Selbstdarstellung. In Deutschland wird vor allem auf die eigene moralische Überlegenheit gepocht: "Wir sind Kriegsgegner – wir sind friedlich" lautet der gemeinsame Kanon, denn Pazifismus ist ein Gründungsmoment des deutschen Selbstverständnisses. "Deutschland tadelt seinen ehemaligen Lehrmeister nun nach der Devise: Wir haben aus der Geschichte gelernt – ihr nicht!", erklärt Reiter die deutsche Haltung, die vor allem durch die stets mitverhandelte nationalsozialistische Vergangenheit geprägt ist.

Konstanter Antiamerikanismus

Die Wurzeln des deutschen Antikapitalismus und Antimaterialismus sieht die Historikerin in der deutschen Romantik: "Schon damals grenzte man sich gegenüber dem kulturlosen und materialistischen Amerika ab". In dieser Tradition des "Antiamerikanismus" liegt eine weitere Erklärung, warum gerade in Deutschland und Österreich die Stimmung unmittelbar nach den Anschlägen kippte. "Die letzten zehn Jahre haben deutlich gemacht, dass es in Hinblick auf den Antiamerikanismus gewisse Grundkonstanten gibt, die – je nachdem, ob in den USA Personen oder Politiken auf der Bildfläche erscheinen, auf die unsere Stereotype passen – wieder verstärkt zum Tragen kommen", resümiert Reiter. (ps)


Mag. Dr. Margit Reiter ist Dozentin am Institut für Zeitgeschichte und leitet das FWF-Projekt "Amerika-Perzeptionen seit dem 11. September 2001", das von 1. Februar 2009 bis 31. Jänner 2012 läuft. Einen Teil ihrer Forschungsergebnisse hat sie in dem Buch "Europa und der 11. September 2001" (PDF) publiziert.

Buchpräsentation: "Europa und der 11. September 2001"
Dienstag, 6. September 2011, 10 Uhr
Presseclub Concordia, Innenhof des Palais Epstein
Dr.-Karl-Renner-Ring 1, 1010 Wien