Adressbüros: Das "Google" des 18. und 19. Jahrhunderts

Lange Zeit vor der Erfindung des Internets hatten Adressbüros als Vermittlungseinrichtungen Hochkonjunktur. Der Historiker Anton Tantner untersucht seit Jahren ihre Geschichte. In seinem aktuellen OeNB-Projekt stehen erstmals die Städte Wien, Graz und Budapest im Mittelpunkt.

Heutzutage nutzen viele Menschen zur Immobilien- und Arbeitsplatzsuche, für Verkaufs- und Kaufgebote das Internet. Ein ähnliches Angebot machten in der frühen Neuzeit die Adressbüros. "Wollte jemand zur damaligen Zeit z.B. seine Wohnung verkaufen, ging er in ein Adressbüro und konnte gegen Gebühr sein Gebot in ein Registerbuch eintragen lassen. Oder eine Suchanfrage stellen", erklärt Projektleiter Anton Tantner vom Institut für Geschichte der Universität Wien die Arbeit der Adressbüros, länderspezifisch auch Comptoirs oder Fragämter genannt.

Uhren, Möbel, Schokolade


Während es durchaus als Privileg galt, ein Adressbüro zu führen, war dessen Nutzung prinzipiell für alle Stände und Klassen offen. Das Pariser Adressbüro allerdings verbot – als einziges seiner Art – Frauen die Nutzung. "Zudem fällt bei der Durchsicht der Registerbücher auf, dass primär Wertgegenstände wie Uhren, Möbel oder Tapeten zum Kauf oder Verkauf angeboten wurden", ergänzt der Historiker. Allerdings finden sich auch Waren wie Mineralwasser oder Schokolade. Einige Adressbüros boten darüber hinaus zusätzliche Services an, wie beispielsweise kostenlose medizinische Betreuung, manche fungierten zusätzlich als Pfandhaus oder Kunstgalerie.


 

Eines der wenigen Beispiele für das Innere einer Redaktion eines Anzeigenblatts bzw. Adressbüros ist diese Abbildung aus dem Paris der Mitte des 18. Jahrhunderts. 



Neue Fragen an die Vergangenheit stellen


Primär gab es solche Adressbüros in größeren Städten. In seiner 2012 fertiggestellten Habilitation hat sich Anton Tantner bereits die Adressbüros in Prag, Brünn und Innsbruck angeschaut. In seinem aktuellen OeNB-Projekt stehen nun Wien, Graz und Budapest im Mittelpunkt. Dabei geht es dem Historiker darum, einen neuen Blick auf die Informationsvermittlung in der frühen Neuzeit zu gewinnen und wenig bekannte Informationslandschaften der Vergangenheit sichtbarer zu machen – im Speziellen jene in der Zeit der Habsburgermonarchie. "Diese ganze Landschaft an privaten Vermittlungseinrichtungen ist bis jetzt noch nicht umfassend untersucht worden. Gerade durch das Internet und seine Suchmaschinen ist es wichtig, neue Fragen an die Vergangenheit zu stellen", konstatiert der Wissenschafter.

Thema: Datenschutz

Denn ähnliche Debatten zum Thema Datenschutz, wie sie heutzutage geführt werden, waren auch damals bei den Vermittlungseinrichtungen, die Anton Tantner als frühzeitliche Suchmaschinen bezeichnet, aktuell. "Bestimmte Verkaufsgebote gaben ja unter Umständen Auskunft darüber, wie es um das Vermögen bzw. die Liquiditätsprobleme einer Person bestimmt war", erklärt der Historiker. Deshalb bemühten sich die Adressbüros, den Datenschutz zu bewahren, indem sie beispielsweise zwei verschiedene Register führten. Ein "geheimes" mit Namen und Adressen und ein öffentliches, in dem ausschließlich die Waren verzeichnet waren.

Hier zieht Anton Tantner Analogien zur Neuzeit: "An den Adressbüros wird deutlich, dass viele Probleme, mit denen wir uns heutzutage auseinandersetzen, nicht ganz neu sind. Obwohl es heutzutage natürlich durch das Internet eine andere Dimension an zugänglichen Daten gibt."

Wiener Adressbüros

Das langlebigste der Wiener Adressbüros war das 1707 gegründete Frag- und Kundschaftsamt, das bis circa 1810 existierte. Seine Quellen fand Anton Tantner vor allem im niederösterreichischen Landesarchiv, dem Österreichischen Staatsarchiv (hier vor allem im Hofkammerarchiv) sowie im Wiener Stadt- und Landesarchiv. "Oft handelt es sich aber nur um spärliche Informationen. Viele Akten wurden im Laufe der Zeit vernichtet oder fielen z.B. dem Justizpalastbrand 1927 zum Opfer. Zudem handelte es sich bei den meisten Büros ja um private Einrichtungen, deren Archive schlichtweg verloren gegangen sind."


 

 


Das Comptoir der Künste, Wissenschaften und Commerzien, gegründet von Jacob Bianchi, existierte in Wien von 1770 bis 1774. Dort wurden u.a. auch physikalische und landwirtschaftliche Modelle ausgestellt, wie beispielsweise ein Wiesenhobel, mit dem Maulwurfshügel abgetragen wurden.



Altes vs. neues Medium

Viele Adressbüros gaben zusätzlich Anzeigenblätter heraus, in denen die Verkaufsangebote auch in gedruckter Form erschienen. "Das kann man sich in etwa so vorstellen wie die Zeitschrift 'Bazar'", erläutert Anton Tantner. Aus diesen Blättern haben sich manchmal auch richtige Zeitungen entwickelt, wie die "Brünner Zeitung".


Eine Titelseite des Wiener Kundschaftsblattes, dem Anzeigenblatt des Fragamts. Dieses wurde vom Drucker des Wienerischen Diariums, der heutigen Wiener Zeitung, Johann Peter van Ghelen herausgegeben. 



Die Herausgabe dieser Blätter wurde für die Adressbüros immer mehr zur Haupteinnahmequelle – bis die Adressbüros Anfang des 19. Jahrhunderts schließlich ganz verschwanden bzw. in den Zeitungen aufgingen.

Das OeNB-Projekt läuft noch bis Jänner 2015. Doch bereits jetzt stehen bei Anton Tantner weitere, wie er sagt, interessante Adressbüros in der Pipeline. Als nächstes möchte er sich u.a. den Städten München und Dresden widmen. (mw)

Das Projekt "Auskunftscomptoire und Adressbüros in der Habsburgermonarchie, 1750-1850" (Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, Nr. 15275) von Mag. Dr. Anton Tantner, Privatdoz. läuft von Februar 2013 bis Jänner 2015.