100 Jahre "Arbeitsamt" in Österreich

Die Geschichte der Arbeitsämter spiegelt die turbulente Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert prägnant wider. Johannes Thaler und Mathias Krempl, Zeithistoriker an der Universität Wien, haben diese detailliert aufgearbeitet und erzählen im Interview über die Entwicklung dieser Institution.

Das Sozialministerium hat seit Gründung der Arbeitsämter im Jahr 1917 umfangreiches Archivmaterial angesammelt. Die beiden Zeithistoriker Johannes Thaler und Mathias Krempl haben sich der Aufarbeitung der "Aktenberge" über die letzten Jahre hinweg angenommen. Entstanden sind daraus u.a. die zwei Publikationen "Arbeitsmarktverwaltung in Österreich 1917-1957. Bürokratie und Praxis" und "100 Jahre Arbeitsmarktverwaltung. Österreich im internationalen Vergleich".

uni:view: Die Institutionalisierung von Arbeitsämtern in Österreich fand im Jahr 1917 statt. Wir begehen also heuer das hundertjährige Jubiläum der Arbeitsämter. Was war ausschlaggebend für ihre Gründung?
Mathias Krempl:
Der Erste Weltkrieg war Auslöser und Katalysator für die Errichtung der Arbeitsämter. Grund war die zu erwartende Demobilisierung der abgerüsteten Soldaten, mit deren Arbeitsvermittlung die bisherigen Verwaltungsstrukturen überfordert gewesen wären. Österreich lag damit im internationalen Trend, so sind etwa in Deutschland und Italien 1919 und in Japan 1921 Arbeitsämter gegründet worden.

Buchpräsentation
Am Dienstag, 21. November 2017, im BMASK/Stubenring 1, um 14 Uhr, wird das Buch "100 Jahre Arbeitsmarktverwaltung. Österreich im internationalen Vergleich" von Johannes Thaler und Mathias Krempl präsentiert.
Gewinnspiel: uni:view verlost 3 Exemplare der Publikation! BEREITS VERLOST!

uni:view: Gab es noch weitere Parallelen zwischen den Arbeitsämtern in Österreich und denen anderer Länder?
Krempl:
Eine weitere Parallele ist die Monopolstellung, die die Arbeitsämter erlangen konnten – und zwar im Zusammenhang mit den Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg. Damals wurden private Vermittler im Prinzip verboten. Diese Monopolstellung führte dazu, dass die Arbeitsämter auch danach eine ganz wesentliche Rolle behielten.

uni:view: In Ihren Forschungen haben Sie die Arbeitsämter in beiden Diktaturen in Österreich genauer untersucht. Inwieweit gab es staatliche Einflussnahmen?
Krempl:
Vor allem ab dem austrofaschistischen Regime und im Nationalsozialismus, aber auch danach, wurden die Arbeitsämter politisch instrumentalisiert. Sie sind dazu verwendet worden, regimetreue Kräfte ganz gezielt zu bevorzugen und missliebige ArbeitnehmerInnen benachteiligt zu behandeln.

Johannes Thaler: Nicht nur die Parteizugehörigkeit, sondern auch das ideologische Element spielte bei der Arbeitsvermittlung eine große Rolle: Wer bekommt welche Arbeit? Im Dollfuß/Schuschnigg-Regime wurde zum Beispiel die Arbeitsvermittlung an Frauen durch die sogenannte "Doppelverdienerverordnung" massiv eingeschränkt. Je nach politischer Ausrichtung des Regimes verschob es sich tendenziell, wem man welche Arbeiten zugemutet hat.

uni:view: Herr Thaler, in Ihrem Forschungsbereich haben Sie den Fokus auf die Personalpolitik der beiden Diktaturen Österreichs gelegt. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?
Thaler:
Für das Dollfuß/Schuschnigg-Regime fällt bei den von mir untersuchten Stellen auf, dass es nach 1933/34 keine großen Entlassungswellen gab, aber man bei der Neubesetzung von Stellen akribisch vorgegangen ist. Selbst bei der Besetzung von kleinsten Dienststellen durchleuchtete man die Personen, um sicherzustellen, dass dort ein/e ParteianhängerIn sitzen wird, z.B. bei TrafikantInnen. Das hat natürlich auch mit der wirtschaftlichen Lage der damaligen Zeit zu tun, denn Stellen waren rar und Posten sehr begehrt.

Im NS-Regime war es etwas anders, da wurden Menschen aus rassischen Gründen bereits in den ersten Monaten aus den Ämtern entfernt und natürlich politisch unliebsame Personen entlassen. Bei Neubesetzungen von Stellen scheint das NS-Regime hingegen nur bei den Führungspositionen sehr gezielt vorgegangen zu sein. Man wollte diese mit verlässlichen Nationalsozialisten besetzen – und zwar vorzugsweise mit Reichsdeutschen. Da gab es auch zahlreiche Beschwerden von österreichischen Parteigängern der NSDAP. Hier wurden ganz gezielt die Schlüsselpositionen ausgetauscht. Beim Gros der Stellen, solange es sich nicht um Führungspositionen handelte, wurde die Neubesetzung scheinbar weniger akribisch durchgeführt als im Dollfuß/Schuschnigg-Regime.

Buchtipp: "Arbeitsmarktverwaltung in Österreich 1917-1957" von Mathias Krempl und Johannes Thaler, OGB Verlag 2015
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uni:view: Was waren die Besonderheiten von Arbeitsämtern in Österreich?
Krempl:
Ab 1917 wurde in Österreich ein staatliches Netz von Arbeitsämtern aufgezogen. Das ist in dieser Zeit in kaum einem anderen Land so früh erfolgt. Im Jahr 1924 hat es in Österreich bereits 80 Arbeitsämter gegeben. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die ZwangsarbeiterInnen-Thematik, hier war das besetzte Österreich gemeinsam mit Deutschland zentral in die Verwaltung der Zwangsarbeit eingebunden. Und zu nennen ist auch noch die Sozialpartnerschaft. Es gab schon in der Ersten Republik proto-sozialpartnerschaftliche Tendenzen, dass die arbeitsamtlichen Ausschüsse auf allen Ebenen mit InteressensvertreterInnen der ArbeitnehmerInnen und der ArbeitgeberInnen besetzt wurden.

uni:view: Für wie wichtig halten Sie Arbeitsämter in einer demokratischen Gesellschaft?
Thaler:
Grundsätzlich halte ich Arbeitsämter für gut und wichtig. Arbeitssuchende und Kriegsheimkehrer nicht sich selbst zu überlassen, finde ich einen schönen Gedanken und eine positive Entwicklung in Europa ab 1917. Grundsätzlich sind Arbeitsämter für die Demokratie eine wichtige Einrichtung. In der praktischen Ausführung gab und gibt es aber auch starke Spannungsverhältnisse zwischen den Ämtern und den Arbeitssuchenden.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (td)

Johannes Thaler (re.) ist am Institut für Zeitgeschichte und Mathias Krempl am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, beide an der Universität Wien, tätig.