"Wenn der politische Wille da ist"

Vor 100 Jahren wurde gleichzeitig mit der Republiksgründung das Frauenwahlrecht eingeführt. Über Herausforderungen für eine geschlechtergerechte Gesellschaft sprechen die Historikerin Johanna Gehmacher und die Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner im Interview mit uni:view.

uni:view: Anlässlich des Jubiläums 100 Jahre Frauenwahlrecht führen Sie das vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die ÖAW geförderte Projekt "Partizipation – Repräsentation – Politik: Herausforderungen für eine geschlechtergerechte Gesellschaft" durch. Was sind Ihre Beweggründe?
Johanna Gehmacher: Wir wollen das Jubiläum der Einführung des Frauenwahlrechts und den damit einhergehenden Demokratisierungsschub in Österreich sichtbar machen. Der komplexe Zusammenhang zwischen Partizipation und Geschlechterdifferenz ist weder historisch noch gegenwärtig umfassend aufgearbeitet. Uns geht es um die Erinnerung an das historische Ereignis, aber auch um die Auseinandersetzung mit den Veränderungen der Partizipationschancen von Frauen seither und um die konkrete Situation in den letzten Jahrzehnten.

Elisabeth Holzleithner: Unser interdisziplinärer Ansatz – beteiligt sind Historikerinnen, Politologinnen und Rechtswissenschafterinnen – ist auch hilfreich in der Fragestellung: Was heißt das Jubiläum heute und welche Herausforderungen sind weiter aktuell, was die demokratische Partizipation von Frauen anbelangt?

uni:view: Wie gestalteten sich die Anfänge weiblicher politischer Partizipation?
Gehmacher: Rechtlich wurde die politische Partizipation für Frauen als Wählerin, Aktivistin, Partei- und Regierungsmitglied mit der Republikgründung im November 1918 möglich. In der Realität hat es aber kaum weibliche Abgeordnete oder Regierungsmitglieder gegeben. Die politischen Parteien waren ausgesprochene Männerbünde – notgedrungen, da Frauen bis 1918 die politische Beteiligung an Vereinen verboten war, aber auch mit großer Überzeugung gepflegte Männerbünde. Diese wollten sich nun einerseits die weibliche Wählerinnenschaft sichern, ließen aber eine tatsächliche Inklusion von Frauen in die politischen Handlungs- und Entscheidungsprozesse nicht zu.

uni:view: Was für Instrumente sind notwendig, dass Partizipation mehr als nur ein formaler Rahmen des Möglichen bleibt? 
Holzleithner: Für eine weitere Hebung des Frauenanteils ist durchaus an Quotenregelungen zu denken. Die im Parlament vertretenen Parteien können durch eine entsprechende Listengestaltung dafür sorgen, dass eine gleichmäßige Partizipation von Frauen erreicht wird. Diskutiert werden auch verpflichtende Quoten für Parteien, allerdings ist das ein Reizthema, und eine solche Regelung ist in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten.

Gehmacher: Für die Frauen, die politisch tätig sind, ist die politische Praxis eine komplizierte Angelegenheit, denn sie werden immer wieder auf sogenannte Frauenthemen verwiesen, die ihnen aus eigener Anschauung ein Anliegen sind. Allerdings geht damit oft die Ausgrenzung von machtvollen Politikfeldern einher. Es gab und gibt daher Politikerinnen, die bewusst keine 'Frauenthemen' verhandeln möchten. Tatsächlich berührt jedes Thema auch beide Geschlechter. Was die Politikerinnen der Ersten Republik beschäftigt hat, waren nicht zuletzt auch soziale Fragen. Auch die rechtliche Gleichstellung war keineswegs umfassend durchgesetzt, so hat das Eherecht Frauen lange keine Gleichheit gegenüber ihren männlichen Ehepartnern gewährleistet.

Bis zur Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts ging ein langer Kampf der Frauenbewegung voraus, der im 18. Jahrhundert begann. In Österreich wurde das Frauenwahlrecht am 12. November 1918 eingeführt. (© Wikimedia Commons / CC0)

Holzleithner: Das gilt bis Mitte der 1970er Jahre. Nach altem patriarchalem Eherecht war der Mann das Haupt der Familie, die Ehefrau traf die Folgepflicht, sie musste sich an seine Vorgaben halten, und er konnte ihr sogar rechtswirksam die Erwerbsarbeit verbieten. Diese Situation muss man sich einmal vorstellen: Als verheiratete Frauen waren Politikerinnen keine vollwertigen Rechtssubjekte, gleichzeitig standen sie in der Öffentlichkeit "ihre Frau". Diese Spannung war sicher auch ein Motor für die offensichtlich notwendigen Veränderungen, darunter die Umstellung des Eherechts auf das Prinzip der Partnerschaftlichkeit ab 1976. 

uni:view: Sie alle bringen unterschiedliche Expertise in das Projekt ein und widmen sich eigenen Teilthemen. Können Sie diese bitte kurz skizzieren.
Holzleithner: Ich beschäftige mich mit der Geschlechtergleichstellung im Spiegel zeitgenössischer fachjuristischer Kommentare. Dabei interessiert mich, wie die Rechtswissenschaft Mitte der 1970er Jahre auf die Reformvorhaben reagiert hat – speziell im Eherecht, beim Schwangerschaftsabbruch und im Sexualstrafrecht. Ein erster Blick hat ergeben, dass die damals tätigen Juristen an Universitäten – es waren fast ausschließlich Männer, später allesamt prominente Professoren – gerade die Eherechtsreform mit extremer Ablehnung aufgenommen haben. Sie haben in ihren Texten regelrecht den Untergang des Abendlandes beschworen. So wurde etwa argumentiert, das Gerichtswesen könnte zusammenbrechen, wenn es kein Familienoberhaupt mehr gibt, das in ehelichen Konflikten entscheidet, weil dann jede Menge Ehestreitigkeiten vor Gericht landen würden.

Ich finde es wichtig, die damaligen Stellungnahmen aufzuarbeiten, um deutlich zu machen, wie hartnäckig die etablierte Rechtswissenschaft den Status Quo verteidigt hat.

uni:view: Frau Gehmacher, Ihr Beitrag beschäftigt sich mit Entdemokratisierung und NS-Zeit.
Gehmacher: Genau. In den letzten 100 Jahren hat ja in Österreich nicht immer die Demokratie geherrscht. Sie endete vorerst mit dem Austrofaschismus Anfang der 1930er Jahre und der Einführung einer neuen, demokratisch nicht legitimierten Verfassung. Ein wesentliches Kennzeichen war, dass der Gleichheitsgrundsatz der Geschlechter darin nur 15 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts aufgehoben wurde.

Politische Partizipation im demokratischen Sinne spielte, sowohl für Frauen als auch Männer, keine Rolle mehr. Das gilt noch viel mehr für den Nationalsozialismus. Gleichwohl gab es in beiden Regimen hierarchisierte Formen der politischen Partizipation. Was mich daran interessiert, ist, wie Diktaturen Frauen einbinden – zwar nicht als Gleiche, aber als Gruppe, mit eigenen Organisationen, Uniformierungen und Sichtbarkeit in einer rassistisch segregierten Öffentlichkeit. Das finde ich höchst interessant, vor allem auch deshalb, weil die Verhandlung der Geschlechterverhältnisse in der NS-Zeit auch Einfluss auf die Denkweisen in der Republik nach 1945 hatte.

uni:view: Ein Projektbeitrag steht unter dem Thema "Universitäten als Quotenavantgarde". Was ist damit gemeint?
Holzleithner: In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber das Universitätsrecht vielfach als eine Art progressive Spielwiese verwendet. So hat man vor einigen Jahren verpflichtende Geschlechterquoten für Kollegialorgane wie Senat oder Universitätsrat eingeführt. Lange hat es geheißen, dass dies verfassungsrechtlich gar nicht möglich sei. Doch als der politische Wille da war, ging es sehr wohl. Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(td)

Das Jubiläumsfonds-Buchprojekt "Partizipation – Repräsentation – Politik: Herausforderungen für eine geschlechtergerechte Gesellschaft" von Ass.-Prof. Mag. Dr. Birgitta Bader-Zaar (Institut für Geschichte), ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Johanna Gehmacher (Institut für Zeitgeschichte), Univ.-Prof. Mag. Dr. Gabriella Hauch (Institut für Geschichte), Univ.-Prof. Mag. Dr. Elisabeth Holzleithner (Institut für Rechtsphilosophie), Doz. Mag. Dr. Maria Mesner (Institut für Zeitgeschichte) und Univ.-Prof. Dr. Birgit Sauer (Institut für Politikwissenschaft) läuft von 1. Jänner 2018 bis 31. Dezember 2018.