"Patriotische Europäer" – Was ist eigentlich euer Problem?

Nach Deutschland läuft heute zum ersten Mal auch in Wien die PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). uni:view sprach mit dem Soziologen Jörg Flecker über den Boom rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen.

uni:view: Was macht rechtspopulistische Parteien und Bewegungen für einige Menschen so reizvoll?
Jörg Flecker: Es gibt wirtschaftliche, kulturelle und politische Gründe. Rechtspopulistische Parteien greifen Unsicherheiten, Abstiegsängste, Ohnmachtsgefühle und ein empfundenes Demokratiedefizit auf und nutzen diese Mischung für sich, indem sie sie z.B. gegen Flüchtlinge und MigrantInnen umlenken. Zugleich bieten sie rückwärtsgewandte Utopien an, wie etwa traditionelle, ethnisch homogene Gemeinschaften oder eine überholte Geschlechterordnung.


Jörg Flecker war Koordinator des EU-Projekts "Sozio-ökonomische Veränderungen, individuelle Reaktionen und die Attraktivität der extremen Rechten", das von September 2011 bis Ende Dezember 2014 lief, und publizierte 2007 den Band "Changing Working Lives and the Appeal of the Extreme Right" (Ashgate) und "Die populistische Lücke" (edition sigma).



Auch bei PEGIDA finden wir nicht nur den Antiislamismus, sondern auch typische Motive wie soziale Probleme, das Gefühl politisch nicht vertreten zu werden oder Anti-Establishment-Einstellungen. Es ist gar nicht in erster Linie eine gefühlte kulturelle Bedrohung, die sie zur "Verteidigung des Abendlandes" ausrücken lässt. Wie bei den rechtspopulistischen Parteien werden auch hier diffuse Unsicherheits-, Enttäuschungs- und Missachtungsgefühle auf eine konstruierte kulturelle Identität verschoben, wenn auch der Einfluss der rechtsextremen Identitären bei der "Alternative für Deutschland" und PEGIDA nicht übersehen werden sollte.

Zum Aufstieg rechtspopulistischer Parteien haben allerdings auch die konservativen und sozialdemokratischen Parteien beigetragen, indem sie versucht haben, am Erfolg der rechtspopulistischen Themen teilzuhaben.

uni:view: Inwiefern?
Flecker:
Um WählerInnen zu gewinnen, bedienen sich die etablierten Parteien aus dem Topf der RechtspopulistInnen: Ein bisschen Hetze gegen "SozialschmarotzerInnen", ein bisschen Ausländerfeindlichkeit, ein bisschen Autoritarismus. Quer durch das politische Spektrum wird heutzutage viel stärker eine autoritäre Richtung eingeschlagen. Als vermeintliche Problemlöser werden vor allem Strafen konzipiert – so zuletzt die Forderung "integrationsunwillige" ZuwanderInnen strafrechtlich zu verfolgen. Das ist genau der Reflex, der eigentlich von der extremen Rechten kommt, aber inzwischen sehr weit in die Mitte aufgenommen wurde. Das trägt dazu bei, dass die rechtspopulistischen Problemdefinitionen bzw. Lösungsvorschläge bestätigt werden.

uni:view: Und daher fühlen sich auch die über 15.000 PEGIDA-DemonstrantInnen, die montäglich in Dresden auflaufen, "im Recht"?
Flecker: Wir leben in einer Zeit des kulturellen Umbruchs, der Sparpolitik und wirtschaftlichen Krise – es gibt meist nur komplexe Lösungen der Probleme. Natürlich kommen die viel einfacheren populistischen "Lösungen" da besser an. Zugleich haben Gefühle der Missachtung und des Demokratiedefizits aber auch reale Grundlagen: Soziale, kulturelle und vor allem ökonomische Eliten bestimmen politische Entscheidungen. Solange man dieses Spiel weiterspielt und u.a. die soziale Absicherung schwächt, kommt man aus dem Spannungsfeld nicht heraus.


Zum 1. Marsch der Pegida-Wien heißt es auf deren Facebook-Seite:    
"Zieht euch bitte etwas Herzeigbares an, benehmt euch gesittet, lasst euch nicht provozieren und seid kooperativ mit unseren zahlreichen Ordnern und absolut loyal zur Polizei! Wir müssen heute einen astreinen und guten Eindruck machen." Parallel gibt es im Museumsquartier eine Gegendemonstration.



uni:view: Wären Volksabstimmungen, wie sie z.B. von PEGIDA oder der FPÖ gefordert werden, eine Lösung?
Flecker:
Volksabstimmungen würden weiterhin nur an der Oberfläche bleiben und könnten wiederum populistisch genutzt werden. Es ist ja kein Zufall, dass gerade die rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen für mehr direkte Demokratie plädieren. Ich denke, es müsste tiefer gehen. In Spanien beispielsweise gibt es durch soziale (Protest-)Bewegungen eine Gegendemokratie außerhalb parlamentarischer Willensbildung. Diese Art breiter Partizipation erscheint mir vielversprechender als eine Art Kosmetik mit Volksabstimmungen.

uni:view: Machen Ihnen die aktuellen Entwicklungen in Europa Angst?
Flecker:
Ja, schon. Wir blenden das zwar im Alltag meistens aus, aber tatsächlich haben wir z.B. in Ungarn eine autoritäre Regierung. KollegInnen von mir von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest haben ihren Job verloren – aus inhaltlichen Gründen. Die Wissenschaft in Ungarn ist nicht mehr frei. Die KollegInnen mussten dann quasi in Arbeitslager, denn in Ungarn werden Arbeitslose zur Arbeit auf Baustellen herangezogen. Die ungarische Partei Jobbik Magyarországért Mozgalom (Bewegung für ein besseres Ungarn) oder die griechische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) sind erfolgreiche, gewaltbereite neonazistische Parteien. Das ist schon sehr beängstigend.

uni:view: Können Sie als Wissenschafter dazu beitragen, solchen Entwicklungen entgegenzuwirken?
Flecker:
Ja, indem wir diese Entwicklungen analysieren, ihre Dynamiken und Zusammenhänge aufzeigen. Und so versuchen, auch die politischen EntscheidungsträgerInnen zu erreichen, um zu verhindern, dass Antiislamismus und Autoritarismus immer mehr Platz bekommen. (mw)
    


Jörg Flecker, geb. 1959 in Graz, Studium Handelswissenschaft und Soziologie, 1986-1990 wissenschaftlicher Angestellter am IHS mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Industriesoziologie, 1991 Visiting Lecturer und Research Fellow an der University of Central Lancashire in Großbritannien. Von 1991 bis 2013 wissenschaftlicher Leiter von FORBA. 2003 Habilitation an der Universität Wien, seit März 2013 Professor für Allgemeine Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Wien.