"Die RechtspopulistInnen gewinnen nicht immer"
| 20. September 2017Niederlande, Frankreich, Deutschland und bald auch Österreich – in Europa ist Superwahljahr. uni:view spricht mit der Politologin Karin Liebhart über "einfache Rezepte" des Rechtspopulismus und den Einzug rechter Positionen in die politische Mitte.
uni:view: Zu Beginn des Superwahljahres trafen sich europäische RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen in Koblenz und propagierten "die Geburt einer neuen Welt." Worin sind sich die Rechten Europas einig?
Karin Liebhart: Die EU-Feindlichkeit ist ein gemeinsamer Nenner, des Weiteren die Idealvorstellung ethnisch-kulturell homogener Nationalstaaten. Dieses Konzept wird auch auf die europäische Ebene transformiert und so getan, als gäbe es eine kulturelle Einheit Europas, die durch Zuwanderer aus nicht-europäischen Regionen gefährdet wäre. Deren "fremde" Wertvorstellungen werden als mit europäischen Werten nicht kompatibel definiert – aktuell geht es vor allem um muslimische MigrantInnen. Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen eint aber auch ein Konzept von Politik, das auf dem konstruierten Gegensatz von "Volk" und Eliten aufbaut.
uni:view: Wie realistisch ist das "neue Zeitalter", von dem beim Treffen in Koblenz die Rede war?
Liebhart: Das halte ich für ziemlich übertrieben. Eher sind graduelle Verschiebungen im politischen Mainstream zu beobachten. Parteien der Mitte übernehmen rechtspopulistische Positionen, in der Hoffnung, WählerInnen zu halten bzw. verlorene WählerInnen zurückzugewinnen. Das ist allerdings kein neues Phänomen. Man muss dafür nur einen Blick auf Österreich werfen: Die FPÖ gibt schon seit längerem Themen vor, die von den Regierungsparteien teilweise aufgegriffen und adaptiert werden.
Karin Liebhart lehrt u.a. im postgradualen Masterprogramm "Europäische Studien". Der Studiengang vermittelt in zwei Semestern wissenschaftliche, praxisorientierte und interdisziplinäre Kenntnisse über die wirtschaftlichen, rechtlich-politischen und soziokulturellen Entwicklungsperspektiven der europäischen Integration. (Grafik: pixabay CCO 1.0)
uni:view: 2017 wurde und wird in vielen Ländern Europas gewählt. Was sie alle gemeinsam haben, ist ein Aufschwung der Rechtsparteien. Wie erklären Sie das?
Liebhart: Ein wichtiger Faktor ist sicher der Verlust an sozialer Sicherheit, vor allem durch das Zerbrechen des Wohlfahrtsstaates. Immer mehr WählerInnen befürchten, zum Teil zu Recht, in diesem Prozess letztlich auf der Seite der VerliererInnen zu stehen. Traditionelle politische Parteien der Mitte sprechen große Bevölkerungsgruppen nicht mehr an, da sie auf legitime soziale und ökonomische Fragen keine Antworten haben. Dazu kommt ein Gefühl politischer Alternativlosigkeit. Das kann zu einem Verzicht auf Wahlbeteiligung führen, oder eben zur Suche nach Alternativen, die die Interessen der BürgerInnen besser repräsentieren. Dies ist selbstverständlich legitim.
Die Frage ist nur welche Alternativen angeboten werden. Da würde ich doch einen gravierenden Unterschied zwischen tendenziell autoritären Parteien aus dem Spektrum der Neuen Rechten bzw. Bewegungen wie "Pegida" oder die "Identitären" einerseits, und Demokratisierungsbewegungen wie "Podemos" andererseits sehen. Das Problem ist ja nicht der populistische Stil, den eine wahlwerbende Gruppe oder eine Initiative pflegt, sondern der Inhalt, den sie damit kommuniziert. Rechtspopulistische Parteien betreiben eine Politik der Angst, sie spielen mit der Unsicherheit, die eine immer mobilere und komplexere Welt erzeugt und die nicht zuletzt auch aus realen sozioökonomischen Bedrohungen erklärbar wird.
uni:view: Das klingt nach einem "einfachen Rezept" der Rechten…
Liebhart: Im Grunde genommen ja. Rechtspopulistische Parteien bieten einfache Erklärungen für komplexe Probleme. Sie stimmen nur nicht und enthalten kaum konstruktive politische Lösungen. Stattdessen kreieren sie eine umfassende symbolische Bedrohung, Stichwort: "Überfremdung". Und sie haben damit Erfolg – ein großer Teil der Debatte in Zusammenhang mit der sogenannten "Flüchtlingskrise" dreht sich weniger um konkrete politische Problemstellungen und Lösungsansätze, er läuft vielmehr auf der eher abstrakten Ebene "kultureller Werte", meist ziemlich schematisch.
uni:view: Eine dieser Parteien ist die Alternative für Deutschland: 2013 gegründet, mittlerweile in dreizehn Landesparlamenten vertreten: Die rechtspopulistische AfD gewinnt in Deutschland an Zustimmung. Warum?
Liebhart: Lange Zeit waren Rechtsaußen-Parteien in Deutschland nur auf lokaler und regionaler Ebene vertreten – das hat sich mit dem Erfolg von Pegida geändert. Die AfD, der mangelnde Abgrenzung zu rechtsextremen Gruppierungen vorgeworfen wird, setzt auf Themen wie Schließung der Grenzen für Flüchtlinge, Erhalt des eigenen Staatsvolkes durch "nationale Bevölkerungspolitik", Austritt aus der EU, Wiedereinführung der D-Mark und vor allem Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Viele WählerInnen geben ihre Stimme aus Protest dieser Partei, nicht weil sie von deren politischen Standpunkten gänzlich überzeugt sind.
Wie die Wahl am 24. September für die AfD ausgehen wird, ist aber nicht nur aufgrund der stetig zunehmenden Zahl an WechselwählerInnen schwer prognostizierbar. Mehr als ein Drittel hat sich laut Umfragen noch nicht für eine der Parteien entschieden. Das muss nicht unbedingt heißen, dass die AfD einen besonders großen Erfolg erzielen wird. Die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden haben gezeigt, dass die RechtspopulistInnen nicht immer gewinnen.
uni:view: Danke für das Gespräch! (hm)
Mag. Dr. Karin Liebhart, Privatdoz. ist Senior Lecturer am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sie forscht zu visueller politischer Kommunikation, politischer Werbung und diskursiven Strategien sowie Bildpolitiken der Neuen Rechten (Foto: Parlamentsdirektion)