Gefährden Sparpakete das Wirtschaftswachstum?
| 27. September 2012Wie kommt es, dass die einen verstärkte Sparanstrengungen, andere hingegen eine aktive Wachstumspolitik fordern? Müssen Sparprogramme notwendigerweise durch aktive Wachstumsförderungsprogramme ergänzt werden? Die Volkswirte Monika Merz und Alejandro Cunat von der Universität Wien gehen diesen Fragen auf den Grund.
In den vergangenen Wochen hat sich die wirtschaftspolitische Debatte in Europa um die Frage gedreht, ob die Sparprogramme, die den stark angeschlagenen Volkswirtschaften Griechenlands, Portugals und Spaniens verordnet wurden, ausreichen, um deren öffentliche Schulden abzubauen und ihre Wirtschaftskraft wiederherzustellen. Vermehrt wurden Bedenken geäußert, dass das Sparen der öffentlichen Hand die Rezession verschärfe und eine konjunkturelle Abwärtsspirale in Gang setze, wodurch Konsolidierungsziele gefährdet würden. Daher wurden Forderungen nach aktiven Wachstumsprogrammen auf EU-Ebene laut, denen bei dem jüngsten Gipfel in Brüssel bereits nachgegeben wurde, obwohl die Finanzierungsfrage ungeklärt bleibt.
Die ExpertInnen: Univ.-Prof. Monika Gehrig-Merz, Ph.D. hat seit September 2010 die Professur für Angewandte Ökonomie im Bereich der Makroökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre inne. Univ.-Prof. Alejandro Cuñat, PhD ist seit September 2011 Professor of Development Economics am Institut für Volkswirtschaftslehre sowie am Institut für Internationale Entwicklung. |
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Sinkender Verschuldungsgrad
Eine gängige Maßzahl für die tatsächliche Belastung der BürgerInnen eines Landes durch die Schulden der öffentlichen Hand ist die Schuldenquote. Sie gibt das Verhältnis zwischen den ausstehenden Schulden und dem Bruttoinlandsprodukt an. Je höher die Schuldenquote, desto größer ist der Teil des gesamtwirtschaftlichen Einkommens, den ein Land zur Bedienung und Tilgung der Schulden aufwenden muss, und desto schwieriger und teurer wird es, weitere Kredite aufzunehmen.
Ein Blick auf die Bestimmungsgrößen der öffentlichen Schuldenquote kann helfen, das Verhältnis zwischen Sparen und Wirtschaftswachstum besser zu verstehen. Mit Hilfe einfacher Arithmetik ergibt sich folgender definitorischer Zusammenhang:
zeitliche Änderung der Schuldenquote = (Realzins - Wachstumsrate) x Schuldenquote + Defizitquote
Danach steigt der Verschuldungsgrad eines Landes tendenziell an, wenn die realen Zinsen – d.h. die Nominalzinsen abzüglich der Inflationsrate –, die auf die ausstehenden Schulden zu zahlen sind, oder aber die Defizitquote steigt. Die Defizitquote entspricht dem Verhältnis zwischen dem staatlichen Primärdefizit – also den Staatsausgaben abzüglich der Staatseinnahmen – im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Staatskäufe, die nicht über höhere Steuern finanziert werden, lassen also die Schuldenquote steigen. Der Verschuldungsgrad sinkt tendenziell, wenn das reale Wirtschaftswachstum positiv ausfällt.
Drei alternative Wege
Die Gleichung zur Beschreibung der dynamischen Entwicklung der Schuldenquote zeigt außerdem drei alternative Wege auf, die ein Land wählen kann, um sich zu entschulden. Zum einen kann die zuständige Zentralbank durch expansive Geldpolitik die nominalen Zinsen niedrig und die Inflationsrate hoch halten. Dadurch sinken der Realwert der ausstehenden Schuld sowie die effektive Zinsbelastung. Zum andern lässt hohes reales Wirtschaftswachstum die Schuldenquote sinken. Außerdem erreichen Budgetüberschüsse der öffentlichen Hand – also Steuereinnahmen, welche die Staatsausgaben übertreffen – aber auch sinkende Primärdefizite das gleiche Ziel.
Die ProblemlöserInnen aus der Volkswirtschaftslehre Wir sind mitten in der Krise. Was sagen die ExpertInnen? Lesen Sie hier ein Interview mit den Volkswirten Monika Merz und Karl Schlag von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien und den Studierenden Daniela Rroshi und Mario Krapfenbauer. Zum Artikel |
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Selbstverständlich sind die drei aufgezeigten Alternativen zur Entschuldung nicht unabhängig voneinander. Im Idealfall verstärken sie sich gegenseitig. Außerdem produziert jede Alternative Kosten für die einen und Gewinne für andere Bevölkerungsgruppen. Es kommt also zu Umverteilungen. Reales Wirtschaftswachstum kann das Verschuldungsproblem eines Landes merklich lindern und so zu sinkenden Zinsen beitragen. Umgekehrt begünstigen sinkende Zinsen Wachstum. Wirtschaftswachstum entsteht durch gestiegene Produktivität, d.h. wenn bei gleichem Ressourceneinsatz mehr Güter und Dienste hergestellt werden können. Solche Produktivitätssteigerungen ergeben sich erfahrungsgemäß durch verstärkte Forschung und Entwicklung, welche innovative Produktionsprozesse oder Produkte begünstigen.
Sparprogramme und Wirtschaftswachstum nicht unbedingt Gegensätze
Eine kluge Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand, welche die konsumtiven Ausgaben zugunsten investiver reduziert, lässt beides zu. Verstärkte Sparanstrengungen können erzielt werden, indem der Staat seinen Verwaltungsapparat verschlankt, die Summe der Löhne und Gehälter öffentlich Bediensteter deutlich reduziert oder diejenigen Steuern erhöht, die Forschung und Entwicklung nicht beeinträchtigen. Wenn er zugleich verstärkt in moderne Infrastruktur oder Technologieparks investiert und Spitzenforschung fördert, schafft er damit eine zentrale Voraussetzung für mehr Wachstum. Eine solche Förderung umfasst die gezielte Anwerbung exzellenter ForscherInnen in Schlüsselbereichen. Schließlich ist Wirtschaftswachstum nicht ausschließlich das Ergebnis verstärkter Investitionsanstrengungen, sondern auch von institutionellen Gegebenheiten.
Ein Umfeld, das Wettbewerb fördert, Korruption verhindert und dafür sorgt, dass verfügbare Ressourcen denjenigen zu Gute kommen, die am ehesten innovative Ideen produzieren und somit die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sichern, ist deutlich preisweiter und eher zielführend als große, mit öffentlichen Geldern finanzierte Investitionsprojekte, die von Bürokraten am grünen Tisch entworfen werden. Summa summarum gilt, dass teure Wachstumsförderprogramme als flankierende Maßnahmen für Sparpakete durch eine kluge Ausgabenpolitik des Staates obsolet werden.