GNTM: Freundschaft? Unprofessionell
| 03. Mai 2018Aktuell läuft wieder jeden Donnerstag Germany’s Next Topmodel im TV – und das bereits im dreizehnten Jahr. uni:view sprach mit den Medienwissenschafterinnen Andrea Seier und Louise Haitz über Wettbewerb als Showformat, Selbstoptimierung und postfeministische Medienkultur.
uni:view: Germany’s Next Topmodel (GNTM) läuft inzwischen seit über zehn Jahren im Fernsehen. Schauen Sie die aktuelle Staffel?
Andrea Seier: Die aktuelle Staffel verfolge ich nicht, allerdings habe ich frühere Staffeln angesehen. Ich muss allerdings sagen, dass mir das zusehends schwerer fällt.
Louise Haitz: Ich habe tatsächlich mit der ersten Staffel 2006 begonnen, in dem Alter war es noch sehr affirmativ. Das heißt ich habe nach der Sendung die hohen Schuhe aus dem Schrank geholt und Laufen geübt. Daher frage ich mich heute, wenn ich die Show aus Forschungszwecken schaue: Wie funktionieren die Mechanismen, die mich damals als Teenager gecatcht haben und denen die jungen ZuschauerInnen ausgesetzt sind? Für diesen emanzipativen Zugang war das Studium der Medienwissenschaften sehr hilfreich. Ich merke selbst, dass ich mich trotzdem nicht ganz entziehen kann und z.B. mitunter denke: "Stimmt, die neue Frisur steht der Teilnehmerin tatsächlich besser", aber das Analysieren und Begreifen von Zusammenhängen empfinde ich hierbei als Befreiungsakt.
Louise Haitz (li.) und Andrea Seier vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft sprachen mit uni:view über die Fernsehsendung Germany’s Next Topmodel. (© Universität Wien)
uni:view: Welche gattungsspezifische Elemente des Reality-TVs spiegeln sich bei GNTM wider, wie funktioniert die Sendung?
Andrea Seier: In den 1980/90er Jahren begann der Trend des Vorher-Nachher Modus im Reality-TV. Daraus lässt sich eine narrative Struktur entwickeln, die fast märchenhafte Züge hat – vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan. Auch bei GNTM geht es um diese Selbstoptimierung, um die Bereitschaft, sich in Wettbewerben zu bewähren, nie zufrieden mit sich zu sein, sondern immer besser werden zu wollen.
Das große Umstyling mit Abigail, Klaudia mit K und Bruna
*Alle Zitate sind Original-Videotitel von Pro Sieben
Louise Haitz: Ein weiteres wichtiges Element bei solchen Formaten ist auch immer die Competition, also das Narrativ der Challenge. Das wird bei GNTM massiv forciert. Es gibt zwei Teams, die gegeneinander antreten, aber letztendlich "kämpft" jede gegen jede. In der aktuellen Staffel z.B. werden zwei Freundinnen aus Wien als starke Konkurrentinnen inszeniert. Ein Zitat aus der Sendung lautet: "Victoria und Zoe sind als Freundinnen gekommen, letztendlich sind sie hier aber Konkurrentinnen." Das birgt eine neoliberale Logik der Vereinzelung. Nicht zusammen kann etwas erreicht werden, sondern nur die bzw. der Einzelne kann die Karriereleiter erklimmen.
Streit beim Shooting - Victoria klaut Zoe ihre Posen
Seier: Die Forschung zum Reality Fernsehen nennt das "Grammatik des Individualismus". Nehmen wir das Beispiel der zwei Freundinnen: Hier wird ausgehandelt, wie private Freundschaften und beruflicher Wettbewerb zusammengehen. Das sind typische Mikronarrationen. Wie weit gehe ich in der Unterwerfung unter die Marktgesetze? In der Regel wird in den Formaten die Hingabe zum Wettbewerb belohnt. Freundschaft steht nicht an erster Stelle, das wäre "unprofessionell":
uni:view: In der aktuellen Staffel ist das immer wiederkehrende Element des Nacktshootings bereits sehr früh vorgekommen. Was bezwecken die MacherInnen damit?
Seier: Sendungen wie GNTM, Dschungelcamp oder Big Brother stehen unter dem Druck der Einschaltquoten und sind gezwungen dramatische Situationen zu erzeugen, um ZuschauerInnen an die Sendung zu binden. Das frühe Nacktshooting der aktuellen Staffel deutet darauf hin, dass die Quoten zurückgegangen sind.
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Haitz: Ob Nacktshooting am Strand oder eines mit nackten männlichen Models: In der Sendung wird immer wieder betont, dass das für ein Model "normal" sei und die Teilnehmerinnen "sich nicht so anstellen sollen". Das ist höchst problematisch. Gerade in diesen Branchen ist sexualisierte Gewalt nicht unüblich. Das, was durch GNTM transportiert wird, nämlich vertraue den FotografInnen und der Agentur und nicht deinem Bauchgefühl, bereitet den Nährboden dafür und macht es TäterInnen einfacher.
uni:view: Frau Seier, in einem Interview sprechen Sie von einer postfeministischen Medienkultur. Was ist damit gemeint?
Seier: Postfeminismus meint nicht etwa eine Phase nach dem Feminismus, sondern ein Aufgreifen und gleichzeitiges Neukodieren feministischer Themen. Den Begriff prägten vor allem zwei Autorinnen, Angela McRobbie und Rosalind Gill. Sie weisen darauf hin, dass es etwa seit den 90er Jahren im Film- und Fernsehprogramm einen ganz spezifischen Umgang mit feministischen Themen, mit Fragen des Empowerments und der Selbstermächtigung gibt.
uni:view: Wie sieht dieser Umgang aus?
Seier: Die traditionellen Konzepte eines liberalen Feminismus werden aufgegriffen und gleichzeitig aber besagter "Grammatik des Individualismus" unterstellt. Das Ganze folgt einer Marktlogik: Frauen leben heutzutage nicht mehr nur in abhängigen Ehekonstellationen, sondern sind Konsumentinnen, Abonnentinnen etc. Auf Grund dessen gibt es gewisse Zugeständnisse und gleichzeitig neue Formulierungen, die Feminismus neu kodieren.
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Haitz: Die Teilnahme an Sendungen wie GNTM wird als selbstbestimmte Handlung definiert, nach den Motti "weil ich es mir wert bin" oder "ich tue das für mich". Auf diese Weise wird suggeriert, dass es den Feminismus gar nicht mehr brauche, weil die Gleichberechtigung längst erreicht sei – "alles ist für jede/n möglich, wenn man es nur stark genug will".
uni:view: Welche Rolle spielt die Inszenierung von Heidi Klum für die Sendung?
Seier: Diese Vorbildinszenierung ist extrem wichtig. Sie wird als ökonomisch erfolgreiche Geschäftsfrau und ebenso als mütterliche Figur inszeniert. Gleichzeitig ist die Figur Heidi Klum aber auch wichtig für die Erzählung, für das Versprechen, das das Format gibt: den Alltag eines Models simulieren.
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Haitz: Heidi Klum verkörpert in der Sendung Professionalität und Erfolg. Sie wird als stets gut gelaunt dargestellt, als selbstbewusst und immer strahlend. Also genau das, was von den Teilnehmerinnen erwartet wird und woran diese regelmäßig scheitern. Es gibt in jeder Folge junge Frauen, die weinen. Diese Frauen sind ein wichtiges Kontrastmoment zur Inszenierung der strahlenden, professionellen Heidi Klum.
uni:view: In der Rezeption der Sendung wird oftmals negativ über die ZuschauerInnen und TeilnehmerInnen von Reality-TV-Formaten gesprochen, nach dem Motto "Selbst schuld, wenn sie bei so einer Sendung mitmachen bzw. so eine Sendung schauen"…
Seier: Natürlich kann mich sich einfach hinstellen und sagen, das ist schlechtes Fernsehen. Das ist allerdings weder aus fernsehwissenschaftlicher Sicht noch vor dem Hintergrund einer Untersuchungsperspektive, die sich für die Herstellung von Gender- und Klassendifferenzen interessiert, gewinnbringend. Sehr viel produktiver ist es dagegen die diskursiven Schnittstellen zu untersuchen, die eine solche Sendung sehenswert macht.
Es geht hier ja beispielsweise auch um die Frage, inwieweit Casting Shows in Konkurrenz treten zu traditionellen Ausbildungswegen und wie sich gegenwärtige Arbeits- und Erwerbsbiographien gestalten. Man kann diese TV Formate, mit anderen Worten, auch als Symptom für weitreichende gesellschaftliche Wandlungsprozesse lesen, dann werden sie – aus analytischer Perspektive jedenfalls – interessanter. Wenn sich junge Frauen mit dem befassen, was die Sozialwissenschaft als "Schönheitshandeln" bezeichnet, egal ob im oder außerhalb des Fernsehens, antworten sie damit außerdem auf eine gesellschaftliche Erwartung. Die "Selbst schuld"-Logik greift daher viel zu kurz.
Haitz: Solche Klassenfragen sind auch für Narrative in den Sendungen selbst relevant. In fast jeder Staffel von GNTM gibt es eine Frau, der vorgeworfen wird, zu stark geschminkt, zu blond oder zu sexy zu sein und deren "Abschminken" im Rahmen der Show exerziert wird. In Staffel 3 war es etwa Gina-Lisa Lohfink und in der aktuellen Gerda Lewis. Dieses "zu künstlich sein" wird häufig klassistisch abgewertet und als "prollig" oder "billig" konnotiert. Damit verlinkt sich ein Sexismus, der im Endeffekt sexuelle Gewalt doch irgendwie entschuldigt.
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uni:view: Dieses Jahr gibt es die Initiative "Not Heidis Girl", bei der u.a. Schülerinnen mit Unterstützung der Organisation Pinkstinks gegen die in der Sendung vermittelten Frauenbilder und Schönheitsideale protestieren. Wie effizient ist eine solche Kritik?
Haitz: Die Grundidee ist natürlich gut, allerdings geht es hier ebenfalls wieder um Fotos und Videos, die unter einem bestimmten Hashtag verbreitet werden. Sie speisen sich somit ein in die Social Media-Struktur, die stets mit Likes und Dislikes und der Lust am Anschauen, Bewerten, Bestrafen und Loben arbeitet. Es wäre wichtig, dass Proteste dieses Grundproblem verlassen. (die ausführliche Kritik von Louise Haitz und Mandy Gratz dazu gibt es hier)
Seier: Oft bleibt solche Kritik auch an der Oberfläche, wenn anhand des Reality-Fernsehens Probleme diskutiert werden (z.B. das Thema der Essstörungen), die über gutes oder schlechtes Fernsehen weit hinausgehen. Reality-TV-Formate leben außerdem von dieser Kritik. Auf Debatten im Feuilleton folgen Sendungen bei GNTM, in denen z.B. Heidi Klum und die Teilnehmerinnen beim Essen von Burgern gezeigt werden. Aus Kritik entwickeln diese Formate neue Sendungen.
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Im Zusammenhang mit der #metoo-Kampagne hat sich meiner Meinung nach aber durchaus Kritik auf einer anderen Ebene entwickelt, in der es um generelle Konzepte von Weiblichkeit geht. Und um die Schwierigkeit, sich gesellschaftlichen Vorstellungen zu entziehen. Das ist die interessante Frage, die im Alltag vieler Frauen, auch in unterschiedlichen sozialen Milieus, eine Rolle spielt: Was investiere ich, um eine Arbeitsbiografie zu bewerkstelligen? Welcher Körpereinsatz ist dafür notwendig?
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uni:view: Welches Sendungsformat würden Sie sich stattdessen im TV wünschen?
Seier: Grundsätzlich wäre eine größere Bandbreite an Weiblichkeits- bzw. Geschlechterentwürfen wünschenswert. Allerdings müsste man sich dann im nächsten Schritt ansehen, wofür diese stehen. Bei GNTM gibt es inzwischen auch Plus Size-Models und das sogenannte "Team Diversity". Neoliberale Logiken werden damit nicht unterbrochen, sondern verstärkt. Es müsste also um Variationen gehen, die sich weniger dazu eignen, Geschlechter- und Klassenhierarchien zu befördern. Fernsehen könnte in dieser Hinsicht mutiger sein und müsste vor allem daran arbeiten, sämtliche Formen des Zynismus und der Ausbeutung abzustellen.
Haitz: Meine Traumsendung hätte keine Challenges und Competitions. Also wäre es definitiv keine Castingshow. Es ginge nicht mehr um Konkurrenz, sondern darum, kollektives Handeln zu üben. Ich möchte eine Show, die feministisch politisiert. In der z.B. Frauen nicht fotografiert werden, sondern lernen, wie sie fotografieren – und dabei nicht schon wieder Frauen zum bloßen Bild machen. Und in der auch andere Weiblichkeits-, Männlichkeits- oder queere Entwürfe vorkommen, als es sie bislang im TV gibt.
uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (mw)
Andrea Seier ist seit März 2017 Professorin für Kulturgeschichte audiovisueller Medien am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Mikropolitik der Medien, Mediale Technologien des Selbst, Dispositivtheorien, Theorien der Schwäche: Verletzbarkeit, Passivität, Anhänglichkeit sowie Gender & Medien.
Louise Haitz ist Praedoc am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Sie forscht zur medialen Herstellung von Un-/Glaubwürdigkeit in Fällen sexualisierter Gewalt, mit dem Schwerpunkt auf Medien-Diskursanalysen und feministischer Theorie. Sie hat ihren Bachelor und Master an der Universität Konstanz in Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften absolviert.