Ende der Geschichte? Heutige Apokalyptik aus theologischer Sicht (Teil II)

In den 1960er-Jahren kam es gerade auch in der Theologie zur Wiederentdeckung der Zukunft. Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung lotete unterschiedliche Möglichkeiten einer Theologie der Zukunft aus. Dabei spielte auch die Auseinandersetzung mit der biblischen Apokalyptik eine tragende Rolle.

Neben einer Theologie der Hoffnung bedarf es freilich, recht verstanden, einer Theologie der Angst, genauer gesagt einer Theologie des Mutes zum fraglichen Sein. Es wäre zu einfach, wollte man der Utopie die Hoffnung, der Apokalyptik aber das Gefühl der Angst zuordnen. Apokalyptik als eine Form der Gegenutopie thematisiert Hoffnung und Angst zugleich. Untergangsvisionen bilden nur den dunklen Hintergrund für die apokalyptischen Hoffnungsbilder einer neuen Welt. Interessanterweise speist sich auch die religiöse Vorstellungswelt islamistischer Gewalttäter in hohem Maße aus einem apokalyptischen Weltbild. Flutkatastrophen und Klimawandel halten die ökologische Frage im öffentlichen Bewusstsein wach. Gleichzeitig ist der nach 1989 verloren geglaubte Geist der Utopie in Gestalt einer neuen Technikgläubigkeit zurückgekehrt. Auch der biomedizinische und gentechnologische Fortschritt löst sowohl Hoffnungen als auch kollektive Befürchtungen aus.

"Halbierte Apokalyptik"

Neben traditionellen Formen von Apokalyptik, wie sie uns z.B. in Endzeitsekten begegnen, gibt es heute freilich eine säkulare, gewissermaßen halbierte Apokalyptik, die wohl das Ende nahen sieht, aber keine Hoffnung auf Erlösung mehr kennt. Anders als die ältere religiöse Apokalyptik kann die säkulare unserer Tage zwischen Ende und Heil, zwischen Endlichkeit und Vollendung keinen Zusammenhang mehr erkennen.


Buchtipp: Ulrich H.J. Körtner, "Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik", Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1988.



Angesichts periodisch aufbrechender Endzeitängste sollten sich Theologie und Kirchen sowohl mit modernen Spielarten von Apokalyptik als auch mit dem eigenen apokalyptischen Erbe auseinandersetzen. Schließlich hat Jesus den Anbruch der kommenden Gottesherrschaft und das Ende der bestehenden Welt verkündigt. Und mit seinen Worten beten die Christen im Vaterunser bis heute: "Dein Reich komme."

Katastrophalität der Wirklichkeit

Das griechische Wort apokalypsis bedeutet Offenbarung oder Enthüllung. Apokalyptik enthüllt die Katastrophalität der Wirklichkeit, aber auch die Katastrophalität der  Erlösung, für die das Kreuz Christi steht. Apokalyptik ist Enthüllung der Wirklichkeit im Untergang. Ihre Ambivalenz besteht in ihren (Selbst)bestrafungs- und Rachephantasien, die in eine dem biblischen Evangelium widersprechende Lust am Untergang umschlagen können.

Die Haltung des Christentums zur Welt ist dialektisch. Einerseits heißt es bei Paulus, die Gestalt dieser Welt werde vergehen. Andererseits aber lesen wir im Johannesevangelium, dass Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er zu ihrer Errettung seinen eigenen Sohn gesandt hat. Das Kreuz Christi ist gleichermaßen Ausdruck des göttlichen Gerichtes wie der göttlichen Liebe zu seiner Schöpfung. Christlicher Glaube ist Weltbejahung, die durch Weltverneinung hindurchgeht.

Menschheit hat keine Überlebensgarantie

Was aber bedeutet die christliche Botschaft im Zeichen der heutigen globalen Gefahren für Mensch und Natur? Theologisch gilt es ernstzumachen mit der Einsicht, dass die Menschheit keine Überlebensgarantie hat. Auch der christliche Glaube hat eine solche nicht zu bieten und lässt sich nicht auf den ethischen Appell zur Bewahrung der Schöpfung reduzieren.

Christlicher Glaube ist nicht gleichbedeutend mit Hoffnung auf den Fortbestand der Welt. Er wertet sie aber auch nicht wie viele Apokalyptiker oder Gnostiker in Geschichte und Gegenwart ab. Vielmehr bejaht der christliche Glaube die Welt angesichts ihrer real möglichen Vernichtung, weil er von einer kontrafaktischen Hoffnung getragen ist, die über ihr Ende hinaus reicht.

O. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Körtner ist Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien und Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Universität Wien.

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