Die ProblemlöserInnen aus der Volkswirtschaftslehre
| 27. September 2012Wir sind mitten in der Krise. Was sagen die ExpertInnen? Dazu diskutieren die Volkswirte Monika Merz und Karl Schlag von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien und die Studierenden Daniela Rroshi und Mario Krapfenbauer.
uni:view: Was denkt sich die Volkswirtin, wenn sie am Morgen die Zeitung vor sich hat und die Schlagzeile wieder der Finanzkrise gehört?
Monika Merz: Ich bin Makroökonomin, d.h. ich beschäftige mich mit gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen der Märkte. Im Gegensatz zur Mikroökonomie, die das wirtschaftliche Verhalten Einzelner zum Thema hat und dabei mit mathematischen – oft von der Realität abstrahierenden – Modellen arbeitet, wie mein Kollege Karl Schlag.
Als Makroökonomin interessiert mich daher zunächst einmal, wie es überhaupt zu dieser gesamtwirtschaftlichen Krise kommen konnte. Nun ist es so, dass alle Krisen – auch die jüngste – im Grunde immer wieder nach demselben Schema ablaufen: Am Anfang platzt die Immobilienblase, dann kommen die Kreditgeber ins Schleudern – in diesem Fall die Banken. Die Banken wiederum sind derart wichtig für die ganze Volkswirtschaft, dass man sie nicht hängen lassen kann. Also schreitet der Staat ein und das führt dazu, dass die Staatsschulden ins Aschgraue steigen. Da haben wir die anhaltende Staatsschuldenkrise, und alle Regierungen sind damit beschäftigt, da wieder herauszukommen. Unsere Aufgabe hier am Institut für Volkswirtschaftslehre ist es in erster Linie, diese Zusammenhänge zu verstehen und zu analysieren und dieses Wissen an die Studierenden weiterzugeben.
uni:view: ... und der Mikroökonom?
Karl Schlag: Als Mikroökonom und Spieltheoretiker – diese Theorie hat im Grunde wenig mit "spielen" an sich zu tun, sondern es geht um die theoretische Analyse von gleichzeitigen Entscheidungen mehrerer Menschen, so auch von Entscheidungen, die einzelne MarktteilnehmerInnen treffen und wie sich diese wiederum gegenseitig beeinflussen – beschäftige ich mich zwar nicht direkt mit der Krise, sehr wohl aber mit tiefer liegenden Zusammenhängen. Wir arbeiten mit theoretischen Modellen, und dabei ist beispielsweise das Thema "Möglichkeit" ein ganz wesentliches. Wir untersuchen Entscheidungen in der Wirtschaft sowie ihre Einbettung in Gesellschaft und Staat. Um beim Beispiel Finanzkrise zu bleiben: Die Statuten der europäischen Währungsunion sehen bestimmte Handlungsmöglichkeiten gar nicht erst vor, was die Entscheidungen von vornherein einschränkt. Ein Beispiel: Die Regeln für den Ausschluss eines Landes aus der EU wurden nie definiert, d.h. diese Möglichkeit existiert de facto gar nicht. Wenn ich mir als Ökonom ein derart großes Konstrukt wie die Währungsunion überlege, sollte ich mir bestenfalls auch Gedanken über den "Worst Case" gemacht haben. Letzteren haben wir nun, aber es besteht keine Möglichkeit, z.B. Griechenland aus der EU auszuschließen. Jedoch könnten sich die Griechen entscheiden, freiwillig auszutreten.
Gefährden Sparpakete das Wirtschaftswachstum? |
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uni:view: Unserer Runde gehören auch zwei StudentInnen der Volkswirtschaftslehre an. Bitte stellen Sie sich kurz vor und erzählen, wie Sie zur Volkswirtschaftslehre gekommen sind.
Daniela Rroshi: Ich komme aus Albanien und habe schon dort Volkswirtschaft studiert. Allerdings war ich nicht sehr zufrieden mit dem Studienplan und habe daher begonnen, mich für ein Auslandsstudium zu interessieren. An der Universität Wien hat mich das Curriculum überzeugt, zudem liebe ich die Stadt. Ich habe meine Entscheidung nicht bereut.
Mario Krapfenbauer: Ich komme aus Niederösterreich, genauer aus dem Kamptal im Waldviertel. Meine Begeisterung und Interesse an der Volkswirtschaft wurde schon in der Schule geweckt. Für mich war deshalb klar, dass ich dieses Fach studieren möchte.
uni:view: Inwieweit ist die Krise Diskussionsgegenstand am Institut für Volkswirtschaftslehre?
Daniela Rroshi: Das Thema wird in vielen Vorlesungen behandelt und wir diskutieren auch viel darüber mit unseren ProfessorInnen. Am Institut lernen wir die Grundlagen, um besser zu verstehen, wie die Marktmechanismen funktionieren und ineinandergreifen und dadurch im späteren Berufsleben – vor allem als Entscheidungsträgerin – etwas verändern zu können.
Mario Krapfenbauer: Sicher ist die Krise Thema, und da das Betreuungsverhältnis am Institut wirklich gut ist, haben wir auch viel Kontakt mit unseren ProfessorInnen. Sie nehmen sich die Zeit, mit uns zu diskutieren, und stehen uns auch bei der Themensuche für Arbeiten oder bei der Literaturrecherche zur Seite.
uni:view: Und aus der Lehrendenperspektive?
Monika Merz: Die Krise liefert uns natürlich spannendes Anschauungsmaterial. Im Universitätskurs "Makroökonomie" rede ich u.a. über die Bedeutung der Unabhängigkeit einer Zentralbank eines Landes. Diese Unabhängigkeit ist kein zufälliges Konstrukt, sondern es gibt sehr gute ökonomische Argumente dafür – das gleiche gilt natürlich für die Europäische Zentralbank und ihre Unabhängigkeit von allen beteiligten Regierungen. Hier kann ich zum einen auf die Theorie zurückgreifen, zum anderen kann ich auch Beispiele aus der Geschichte bringen, z.B. die deutsche Hyperinflation, die ja der Grund war, warum die deutsche Bundesbank 1948 unabhängig konstruiert worden ist.
Karl Schlag: Gerade durch die überschaubare Größe unseres Instituts mit rund hundert Erstsemestrigen und zehn internationalen ProfessorInnen können wir ein ausgezeichnetes Betreuungsverhältnis gewährleisten.
Nobelpreisträger am Institut für Volkswirtschaftslehre |
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uni:view: Zurück zur Krise: Kommen wir da wieder raus?
Monika Merz: Ja, wir werden wieder rauskommen. Die Frage ist nur, wann – und wie. Die Folgen werden wir allerdings noch sehr lange spüren. Diejenigen aus den hochverschuldeten Ländern spüren sie schon jetzt, ob Spanien oder Griechenland. Aber auch der Wohlstand der jetzigen Geberländer wird darunter leiden. Für mich ist die anhaltende Krise in Europa Ausdruck von mehr als nur einer Eurokrise, es ist ein Ausdruck davon, dass im Zuge der Globalisierung Europa immer mehr ins Hintertreffen gerät. Darüber spricht man in Europa nur sehr ungern, aber wir können nicht leugnen, dass es in Asien junge, dynamische Volkswirtschaften gibt, die seit einigen Jahren aufstreben.
Mario Krapfenbauer: Dass wir sicher rauskommen, davon bin ich überzeugt. Man muss aber auch sehen, dass die Krise eine Chance ist, auf Probleme hinzuweisen. Jetzt kann man verkrustete Strukturen aufbrechen und sich neu ausrichten.
uni:view: Und schließlich provokant gefragt: Können VolkswirtInnen die Welt retten?
Monika Merz: Unser Ziel hier am Institut für Volkswirtschaftslehre ist es, die marktwirtschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen, sie zu analysieren und den Studierenden zu vermitteln. Aufklären, informieren – das bedeutet Ausbildung. Das ist auch der Anspruch, mit dem alle KollegInnen hier am Institut in ihren Vorlesungen auftreten. Insofern können wir die Welt zwar nicht retten, sie aber verstehen, Zusammenhänge analysieren und – besonders wichtig – zukünftige EntscheidungsträgerInnen ausbilden.